Fußball-WM:Ronaldo jagt die Ziege

Christiano Ronaldo beim WM-Spiel 2018 gegen Marokko

Was hat dieser Torjubel nun zu bedeuten? Ronaldo nach seinem Treffer gegen Marokko.

(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Von Maik Rosner, Moskau

Cristiano Ronaldo rannte mit weit ausgebreiteten Armen Richtung Eckfahne, er sprang ab und stand für einen Moment in der Luft, ehe er gewohnt breitbeinig landete. Kurz darauf führte er seine Hände zum Kopf. Doch anders als beim 3:3 zum Auftakt gegen Spanien kratzte er sich nun nicht an seinem Kinn. Als sogenannter Ziegenjubel war dies nach seinen ersten drei Toren interpretiert worden, als pantomimisches Eigenlob in Anlehnung an das englische Wort "goat", das gerne auch als Akronym für greatest of all times (Größter aller Zeiten) verwendet wird. Doch nun, nach seinem bereits vierten Tor dieser WM im erst zweiten Spiel Portugals, beließ es Ronaldo mit seiner Geste bei dem Hinweis, mit dem Kopf getroffen zu haben.

Einen kurz ausgeführten Eckball hatte João Moutinho vor das Tor geflankt, wo Ronaldo einlief und seinen Ruhm mit einem Hechtsprung und der Stirn mehrte. Es war sein 85. Länderspieltor, mit dem er Ungarns Stürmerlegende Ferenc Puskás in der ewigen Liste der Top-Torschützen aus Europa überholte. Der weltweit Führende, der Iraner Ali Daei (109 Tore), ist ihm allerdings noch ein gutes Stück voraus. Und selbst der ehemalige Bundesliga-Profi weiß nicht, ob seine Bestmarke wirklich für alle Zeiten Bestand haben wird. Ronaldo wusste immerhin, dass er sich gerade an die Spitze der aktuellen WM-Torschützen geköpfelt hatte. Alle vier Tore Portugals hat er erzielt. Und beim bislang letzten waren gerade mal fünf Minuten gespielt.

Am Ende reichte Ronaldos frühes Tor gegen Marokko zu einem 1:0 (1:0)-Sieg, der nicht nur wegen des Ergebnisses als äußerst knapp bezeichnet werden konnte. Denn Portugal war die meiste Zeit des Spiels damit beschäftigt gewesen, den Vorsprung zu verteidigen. "Ich bin sehr glücklich über mein Tor und die drei Punkte", sagte Ronaldo, aber: "Wir müssen uns verbessern." Trainer Fernando Santos sagte: "Wir haben das Spiel aus der Hand gegeben und viele Bälle einfach hergeschenkt."

Vor allem in der zweiten Halbzeit geriet der amtierende Europameister unter Dauerdruck. Doch auch dank Torwart Rui Patrício näherte sich Portugal dem Achtelfinaleinzug mit nun vier Punkten vor dem letzten Gruppenspiel gegen Iran an. Marokko ist dagegen trotz einer beachtlichen Leistung als erste Mannschaft aus dem Turnier ausgeschieden. Den Auftakt gegen Iran hatten es ebenfalls unglücklich 0:1 verloren. "Wir haben gezeigt, dass wir Fußball spielen können. Leider waren wir nicht effektiv genug", sagte Trainer Hervé Renard. "Man wird bestraft vom besten Fußballer der Welt. Aber der Sieg der Portugiesen war nicht verdient", sagte Angreifer Aziz Bouhaddouz vom FC St. Pauli, der gegen Iran ins eigene Tor getroffen hatte.

Marokko greift mutig und forsch an

Nachdem Ronaldo kurz nach der Führung mit einem Rechtsschuss beinahe das zweite Tor des Nachmittags im Moskauer Luschniki-Stadion gelungen wäre, gehörten die Offensivszenen überwiegend dem Außenseiter. Mutig und forsch griff Renards Mannschaft an, und mehrfach ließen sich in Portugals Defensive Turbulenzen beobachten. Schon beim spektakulären Auftakt gegen Spanien war dies mehrfach der Fall gewesen. Doch anders als beim 3:3 verstanden es die Marokkaner nicht, die Unordnung in Portugals Abwehrverbund in einen Ertrag zu überführen. Moubarak Boussouffa köpfelte knapp am Tor vorbei, der ehemalige Münchner Medhi Benatia scheiterte kurz darauf an Patrício ebenfalls mit dem Kopf, und auch Hakim Ziyech konnte den Torwart mit einem Distanzschuss nicht überwinden.

Nicht nur wegen dieser Chancen prägte Marokko zunehmend das Geschehen, es hatte mehr Ballbesitz und gewann auch die Mehrzahl der Zweikämpfe. Doch über einen Spieler wie Ronaldo, der seine Chancen oft mit einer enormen Kühle und Effizienz nutzt, verfügen die Marokkaner nicht. Und auch vom Schiedsrichtergespann sowie dem deutschen Videoassistenten Felix Zwayer kam keine Hilfe, als Noureddine Amrabat sich mit Raphael Guerreiro von Borussia Dortmund im Strafraum einen Zweikampf lieferte, der vor allem als intensiver Textiltest eingestuft werden konnte. Doch weil dabei beide Spieler gleichermaßen zogen und rangelten, sah Schiedsrichter Mark Geiger korrekterweise davon ab, Marokko einen Strafstoß zuzusprechen. Videoassistent Zwayer und sein Team um Bastian Dankert griffen gar nicht erst ein.

Auch in der zweiten Halbzeit rannte Marokko weiter an, um das drohende WM-Aus abzuwenden. Gute Chancen stellten sich dabei mehrfach ein. Wie nach knapp einer Stunde, als Ziyech einen Freistoß in den Strafraum flankte, wo Younes Belhanda mit dem Kopf verlängerte. Doch erneut konnte Patrício mit den Fingerspitzen retten. Ronaldo eilte herbei, um sich bei seinem Torwart zu bedanken. Er sah es vermutlich so, dass der Schlussmann von Sporting Lissabon zum Zweitgrößten des Nachmittags aufgestiegen war.

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