Roger Federer in Wimbledon:Eigenartig zurückhaltend

Wimbledon Championships

Raus in Runde zwei: Roger Federer.

(Foto: dpa)

Zum ersten Mal seit 2004 scheidet Roger Federer vor dem Viertelfinale aus einem Grand-Slam-Turnier aus. In seiner Niederlage gegen den Ukrainer Stachowski, lediglich Nummer 116 der Welt, gipfeln viele Merkwürdigkeiten des bisherigen Wimbledon-Turniers.

Von Michael Neudecker, London

Sergej Stachowski schrieb und schrieb, Fotoapparate und Fotohandys blitzten, Stachowski lächelte, schrieb weiter, und man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet: Sergej Stachowski aus Kiew hat am Mittwochabend um 20:20 Uhr Ortszeit London in fünf Minuten so viele Autogramme geschrieben wie in den 27 Jahren seines Lebens zuvor, zusammen natürlich.

Roger Federer war da schon in der Kabine. Er schrieb nicht, nicht diesmal.

Wimbledon 2013 ist ein merkwürdiges Turnier, am Montag schon war Rafael Nadal ausgeschieden, nach einer glatten Dreisatzniederlage gegen den Belgier Steve Darcis, der danach den Fernsehleuten erklären musste, wie man seinen Namen ausspricht. Am Dienstag gab zuerst der Weltranglistensiebte Jo-Wilfried Tsonga während seines Matches gegen den Letten Ernests Gulbis auf, wegen einer Knieverletzung; er war einer von sieben Spielern, die am Dienstag verletzt aufgeben oder zurückziehen mussten, so viele waren es noch nie bei einem Grand-Slam-Turnier an einem Tag.

Dann verlor die eigentlich fürs Finale gebuchte Weltranglistendritte Maria Scharapowa gegen die Portugiesin Michelle Larcher De Brito, Weltranglistenplatz 93, und dann: verlor das Turnier den Mann, von dem nicht wenige erwartet hatten, in knapp zwei Wochen der erste Tennisspieler überhaupt zu werden, der Wimbledon acht Mal gewinnt.

Roger Federer, derzeit Nummer drei der Welt und Träger so vieler Rekorde und Superlative, dass die Auflistung bisweilen ermüdet, verlor 7:6 (5), 6:7 (5), 5:7, 6:7 (5), in vier Sätzen. Gegen Sergej Stachowski.

Seit den French Open 2004, wo Federer in der dritten Runde gegen Gustavo Kuerten verlor, hat der Schweizer 36 Grand-Slam-Turniere bestritten, 17 davon hat er gewonnen, nie ist er in dieser Zeit vor dem Viertelfinale ausgeschieden. Wimbledon 2013 war seitdem Nummer 37, er ist jetzt zum ersten Mal in der zweiten Runde eines Grand-Slam-Turniers ausgeschieden. Sergej Stachowski ist in Wimbledon noch nie in die dritte Runde eingezogen, er hat noch nie in seiner Karriere gegen einen Top-Ten-Spieler gewonnen. Er ist gegenwärtig Nummer 116 der Welt, war aber immerhin schon mal auf Rang 31 - im September 2010, vor drei Jahren.

Als es vorbei war, wurde Stachowski gefragt, wie er das Unglaubliche, diesen Sieg erklären könne, gegen den großen Federer, den besten Gras-Spieler der Welt?

"Magic", sagt Stachowski, sonst nichts.

Federer schaut nach vorn

Roger Federer hat schon häufig in seiner Karriere Matches gegen Außenseiter bestritten, in denen er kämpfen musste, in denen er Schwierigkeiten hatte, ins Match zu finden. Die meisten Tennisprofis sind Außenseiter gegen Federer, wenn sie nicht Andy Murray, Rafael Nadal oder Novak Djokovic heißen, sie versuchen immer alles, für ein paar Stunden über sich hinauszuwachsen; Federer aber ist bislang am Ende immer Federer geblieben, der Elegante, der Souveräne, der dann doch gewinnt.

Im vergangenen Jahr war das so gegen den Franzosen Julien Benneteau, Federer lag damals sogar 0:2 nach Sätzen zurück, aber dann gewann er. Auch jetzt sah es von Beginn an nicht gut aus für Federer, Stachowski schlug gut auf, stand gut, retournierte gut, er bereitete Roger Federer mehr Probleme, als alle dachten, alle, inklusive Sergej Stachowski.

Federer gewann den ersten Satz im Tie-Break, aber das genügte nicht. Stachowski gewann den zweiten Satz im Tie-Break, er gewann den dritten Satz, es änderte sich nichts: Stachowski wackelte nicht, Federer stabilisierte sich nicht.

Im vierten Satz führte Federer irgendwann 6:5, Stachowski schlug auf, Federer bemühte sich wirklich, und dann hatte er Satzball: die Chance, zurückzukehren ins Spiel. Aber Federer blieb auf eigenartige Weise zurückhaltend, er spielte den Aufschlag auf gewisse Weise mutlos zurück, ein paar Schläge später musste Stachowski am Netz stehend nur noch seinen Schläger in die Flugball des Balles halten, um zu punkten. Bald darauf gewann Stachowski das Spiel, der vierte Satz ging in den Tie-Break, und Sergej Stachowski verwandelte dann seinen zweiten Matchball.

Eine halbe Stunde später kam Roger Federer zu seiner letzten Pressekonferenz in Wimbledon 2013, er sagte, es sei "immer sehr enttäuschend, ein Match zu verlieren", aber er wolle nach vorne schauen, er habe "noch viele Jahre vor mir". Und: Er habe sich okay gefühlt, als er vor dem Match auf den Platz ging, "normales Aufwärmen, normales Match".

Ein normales Match: Die Realität auf dem Centre Court am späten Dienstagabend war weit, weit davon entfernt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: