Rodeln:Vom Scharfrichter gestoppt

Die Geschichten über Felix Lochs dritten Olympiasieg im Rodeln waren schon geschrieben - dann bremst ihn völlig überraschend ein Aussetzer.

Von Volker Kreisl

Es war der Tag seines Sportlerlebens. Johannes Ludwig, der 31-Jährige aus Suhl, war am Sonntag nach vier fabelhaften Läufen, mit denen auch seine Verbandschefs nicht gerechnet hatten, in Pyeongchang zu Bronze gefahren. Nach zwölf Jahren im Weltcup trat er endlich aus dem Schatten der Spitzenrodler, die stets vor ihm lagen. Und doch wurde Ludwigs Leistung an diesem Abend abermals überlagert von einem anderen, von einem großen Rodler-Namen: von Felix Loch.

Der hatte um viertel nach zehn Uhr abends in der Bahn von Pyeongchang unfreiwillig ein Drama vorgeführt, wie es im Rennrodeln schon lange nicht mehr vorkam. Dieses hatte alles, was im Publikum an einer Olympiabahn erst spitze Schreie auslöst, dann anschwellendes Raunen, und schließlich ein Durcheinander der Reaktionen. Es jubelten und hüpften der Sieger David Gleirscher aus Österreich und der Silbergewinner Chris Mazdzer aus den USA, während der deutsche Anhang erstarrt war, und Loch selber minutenlang stumm und gebeugt im Ziel auf seinem Rodel sitzen blieb. Plötzlich war es nur noch Platz fünf für den Favoriten dieser Spiele.

Zehn Jahre lang, seit dem ersten WM-Titel, war es Loch gewohnt zu gewinnen. Er siegte und siegte

Die Geschichten über seinen dritten Olympiasieg waren im Pressezentrum schon vorgefertigt, im Grunde fehlte nur noch die Siegerzeit. Er hatte ja aus seinem Tief des vergangenen Winters herausgefunden, hatte zudem seine Konzentrationsschwächen dieser Saison vermeintlich überwunden, als er vor drei Wochen in Sigulda wieder Zweiter wurde und damit auch den Gesamtweltcup gewann. Vor allem aber hatte Loch die ersten drei der vier Läufe perfekt hingelegt, auf einer Bahn, die viele Tücken aufweist und eine entscheidende Stelle. Rund zwei Zehntelsekunden betrug sein Vorsprung, und er hielt diesen auch mit seiner defensiven Vorführung im ersten Teil des finalen Laufs, bis er zur entscheidenden Stelle kam, der Kurve Nummer neun.

Luge - Winter Olympics Day 2

"Es waren drei gute Läufe und ein beschissener", klagte Felix Loch nach dem Rennen. Im Ziel kniete sich Bundestrainer Norbert Loch zu ihm und versuchte, ihn aufzumuntern.

(Foto: Adam Pretty/Getty)

Ein Aussetzer, ein Moment des Ungleichgewichts auf dem Schlitten vielleicht, ein leicht verspätetes Zucken mit dem rechten Bein beim Lenken: Loch wusste, dass er an der Neun nicht zu spät nach links ziehen durfte, doch diesmal verpasste er den rechten Moment um wenige Millimeter. Er schrammte mit dem rechten Horn seines Schlittens ans rechte Eis, schleuderte gegen die linke Bande und nahm sie noch einmal 40 Meter weiter hinten an einem Buckel, was ihn leicht abheben ließ.

Im Zielraum gingen die Emotionen schon hoch, während Loch noch die letzten drei Kurven hinter sich bringen musste. Er, seine Trainer, das Publikum, alle wussten über die Monitore, dass nach so einem Patzer die grüne Zeitangabe des Führenden im nächsten Moment umspringt auf die rote Farbe des Zurückliegenden. Der Tempoverlust war einfach zu hoch. Im Ziel kniete sich dann der Bundestrainer Norbert Loch zu ihm, und versuchte vergeblich, ihn zu trösten, wobei dies auch eine Geste in seiner Eigenschaft als Vater war.

Pyeongchang 2018 - Rodeln

Von rechts: Der Thüringer Johannes Ludwig freute sich über Bronze, der Österreicher David Gleirscher über Gold und Chris Mazdzer aus den USA über Silber.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Später, als er die Fassung wieder gefunden hatte, erklärte Felix Loch, dass so etwas nun mal vorkomme in seinem Sport: "Es waren drei gute Läufe und ein beschissener." Was nicht ganz stimmt. Dass der geschlagene Fünfte diesmal mit zu den Hauptfiguren dieses Olympia-Wettkampfs zählte, lag ja auch an der großen Überraschung. Denn Loch hatte die Regel einer ständig drohenden Niederlage lange Zeit außer Kraft gesetzt.

Die spannende Frage ist jetzt, ob er noch gegen die jüngere Konkurrenz bestehen kann

Zehn Jahre lang, seit seinem ersten WM-Titel, war er es gewohnt zu gewinnen. Loch siegte und siegte. Wenn er mal nicht ganz oben stand, dann war er doch auf dem Podest, und wenn er auch das mal verpasste, dann, so sagte er selber, "hat es im nächsten Rennen gleich wieder gepasst". Lange war ein Gesamtweltcupsieg des Berchtesgadeners so gewiss wie die Tatsache, dass es in einer Rodelbahn bergab geht: Fünfmal hatte er schon den Saisontitel gewonnen. Außerdem war er zwölfmal Weltmeister und zweimal Olympiasieger geworden.

Loch war wie eine Rodelmaschine, 38 Einzelsiege hatte er im Weltcup geholt, bis er im vergangenen Winter erstmals in ein längeres Tief schlitterte und den Titel des besten Weltcupfahrers verpasste. Die Ursachen hatte er erst nach einer zehrenden Saison geortet: eine zu aggressive Schlitteneinstellung, entsprechende Unruhe und Mängel am Start, dazu eine gewisse Ablenkung, weil er ja im Herbst zuvor Vater geworden war.

Nun war er wieder im Aufwind, hatte seine alten Stärken als überragender Bahnpilot zurück, und die spannende Frage bleibt, wie gut er sich von dieser Niederlage erholt, ob er gegen die junge Konkurrenz aus Russland und Italien weiterhin ankommt. Dazu müsste er beherzigen, was sein Heimtrainer und Schlittenbauer, der dreimalige Olympiasieger Georg Hackl, nach der Niederlage sagte: "Die Kurve neun ist ein Scharfrichter für diesen Wettkampf gewesen." Es seien reihenweise Favoriten an ihr gescheitert.

Der Bronzegewinner Johannes Ludwig aus Suhl gehört nicht dazu. Er, der so lange auf den hinteren Plätzen des Teams durch den Weltcup-Winter reiste, ohne im Rampenlicht zu landen, war diesmal glatt durchgekommen bis zum Schluss. Auch durch die Kurve neun.

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