Rodeln:Sensoren und blaue Flecken

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Höhepunkt: Natalie Geisenberger, Felix Loch, Tobias Wendl und Tobias Arlt (von links) siegen bei den Spielen in Sotschi in den Einzeln und als Team.

(Foto: imago/Rene Schulz)

Den deutschen Rodlern fällt es immer schwerer, ihre Position an der Weltspitze zu halten. Je mehr ein Athlet schon erreicht hat, "desto kürzer werden die Sprünge, die er noch machen kann", sagt Bundestrainer Norbert Loch.

Von Volker Kreisl

Rodler sprechen davon, dass "es weh tut". Zum Beispiel neulich im November, da hat "es ziemlich weh getan" im Eiskanal, sagt Tobias Arlt. Manchmal tut es weniger weh, manchmal mehr, etwa bei den Verbrennungen, die man sich auf Eis schnell zuziehen kann. Manchmal tut es weh, weil einer vor einem Sturz ganz einfach nicht richtig bei der Sache war. Und manchmal, weil sich auf einem neuen Schlitten Fehler kaum vermeiden lassen, so wie jetzt im Oktober. "Da", sagt Tobias Wendl, "hat's in der Saison zum ersten Mal sauber weh getan."

Ansonsten sind Wendl und Arlt, die beiden Doppel-Rodler, aber ziemlich gut drauf. Sie sind ja Weltmeister und Olympiasieger wie ihre Einsitzer-Freunde Felix Loch und Natalie Geisenberger, die anderen aus der szeneweit gefürchteten, selbsternannten "Trainingsgruppe Sonnenschein" vom Königssee. Ihr Leben ist das Rodeln, und am Samstag beginnt die Saison mit dem Weltcup in Winterberg, da ist die Vorfreude groß. Immer kleiner allerdings wird ihr Vorsprung zum Rest der Welt. Der holt immer mehr auf, während die Sonnenschein-Gruppe kaum noch zulegen kann, denn sie ist ja schon ganz oben.

Hackl staunt: "Die steigen aus, ziehen ihren Stick aus dem Rodel - und haben alles!"

Je mehr ein Athlet schon erreicht hat, "desto kürzer werden die Sprünge, die er noch machen kann", sagt Bundestrainer Nobert Loch. Umso kreativer muss also der Kufensportler sein, und deshalb haben Wendl und Arlt ihren Schlitten wieder einmal ganz neu gebaut. Alle paar Jahre machen sie das, und alle paar Jahre durchlaufen sie die Wochen der Neu-Entwicklung, der Feinjustierung und dann die Testphase mit den Stürzen, eine Art Geburtsschmerz im Eiskanal.

Der Zwang zur ständigen Optimierung betrifft aber alle vier Top-Fahrer vom Königssee. Seit vier Wintern halten sie konstant ihre Position als Weltbeste. Seit 2013 haben sie alle Siege bei Weltmeisterschaften oder Olympia geholt, nur Loch hatte 2015 in Sigulda einmal gepatzt und kam dort auf Platz zwei. Trotzdem wurden es insgesamt 15 von 16 Goldmedaillen in dieser Zeit, und so soll es nach Wunsch des Verbandes BSD weitergehen, mindestens bis zu den Olympischen Spielen in 14 Monaten in Südkorea. Dafür müssen die Methoden allerdings weiter verfeinert und die Aufmerksamkeit geschärft werden. Denn wer nur noch kleine Sprünge machen kann, muss auf kleine Details achten.

Die mentale Stärke der Sonnenscheinler ist ja längst voll entwickelt. Das hängt viel mit Arbeit zusammen, sagt Trainer Loch, aber auch mit Glück. Die vier sind fast gleich alt, und wenn sich andere Kinder regelmäßig auf dem Bolzplatz treffen oder heute vielleicht zum Pokemon-Go-Spielen, so trafen sich einst Geisenberger, Loch und Wendl/Arlt am Eiskanal. Das Verhältnis war nie von Rivalität belastet, weil ja jeder in einer anderen Kategorie antritt, es ist vielmehr familiär. Die vier helfen sich gegenseitig, streiten sich zwar auch, raufen sich im Sinne der Gemeinschaft aber wieder zusammen, sagt Trainer Loch.

In diesem Milieu entstand genügend Selbstvertrauen und viel Fahrgefühl, und wenn die Kraft für das Anschieben am Start immer wieder fleißig antrainiert wird, dann gibt es eigentlich nur noch einen Bereich, um sich zu steigern: die Material-Technik. Das neueste entscheidende Sprüngchen ist vielleicht in der Messtechnik gelungen. Die Rodler haben da zusammen mit ihrem Sponsor, einem Autobauer, etwas nie Dagewesenes entwickelt. Immer geht es im Rodeln ja um die Ideallinie und um die "Lenkpunkte", jene Stellen auf der Bahn, die man zum rechtzeitigen Lenken treffen muss. Immer schon hatte sich der einstige Olympiasieger und heutige Sonnenschein-Mechaniker Georg Hackl ein präzises Tempo-Messsystem gewünscht. Eines, das über die wenigen Zwischenzeiten der Bahnanlage hinausgeht.

Jetzt hat er es - und staunt: "Die steigen unten aus, ziehen ihren Stick aus dem Rodel, stecken ihn in den Laptop und haben alles! Jede Geschwindigkeit, an jedem Punkt der Bahn!" Das Geheimnis liegt wie im Motorsport in mobilen Hochleistungssensoren, und vielleicht fahren sie auch wegen dieser Technik Gegnern wie den Amerikanern Tucker West, Summer Bridger und Erin Hamlin oder der Russin Tatjana Iwanowa noch ein paar Jahre lang davon.

Insgesamt zeigt dies zwar, dass Rodeln ein Materialsport ist, in dem die reicheren Verbände Vorteile haben, andererseits kann sogar die modernste Technik nicht verhindern, dass Rodeln auch den Besten mal weh tut. Wendl erzählt, dass die erste Fahrt mit einem neu entwickelten Rodel immer spannend sei. Schon auf den ersten Metern merke man, wenn etwas nicht stimme, aber dann gewinnt der Schlitten schnell an Fahrt, und dann ist es auch schon zu spät: Der Punkt für einen kontrollierten Stopp ist verpasst.

Im Oktober hatten Wendl/Arlt mit ihrer Neuentwicklung diesen Stopp verpasst, sie verloren die Kontrolle und gerieten in ein Rodel-Rodeo mit vielen Bandenremplern, Beulen und blauen Flecken: "Der Schlitten hat gemacht, was er will", sagt Wendl. Einen Monat später war es der Übermut. Vor zwei Wochen stürzten sie im Training im unteren Abschnitt und schlitterten mit Tempo 130 seitlich zu Tal - Wendl auf Arlt, Arlt auf seiner rechten Hand und die Hand auf dem Eis. Die Reibung führte zu Verbrennungen.

"Wenn was neu ist, schauen auch wir erst mal aus wie Anfänger", sagt Wendl. Arlt muss einen Verband tragen, sie üben aber weiter. Ob das neue Gerät den entscheidenden Vorsprung bis Olympia 2018 bringt, das zeigen wohl schon die Dezember-Weltcups in den USA und Kanada. Vielleicht sind Wendl, Artl und ihr Schlitten bald richtig gute Freunde, vielleicht tut er ihnen aber auch noch eine Weile weh.

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