Rodeln:Ideallinie verlassen

Felix Loch

Fahrten zum Kopfschütteln: Felix Loch erlebt nach seinem guten Saisonauftakt einen Rückschlag in Lake Placid.

(Foto: Jeff McIntosh/AP)

Nach Felix Lochs Patzern in Lake Placid wird die Entscheidung um Olympia-Gold in Pyeongchang wieder spannend.

Von Volker Kreisl

Kurz nach dem Start ging es schon los. Aus der zweiten längeren Kurve schoss Felix Loch ein wenig zu spät heraus und wurde gegen die linke Bande geschleudert. Das ergab einen Abprall-Effekt, ähnlich den Kräften, die auf die Kugel in einem Flipper-Automat wirken: Loch versuchte gegenzulenken, driftete trotzdem hinüber, prallte gegen die rechte Bande - und gleich wieder zurück.

Damit ist ein Rodelrennen im Prinzip gelaufen, zu hoch ist der Zeitverlust, aber es waren noch mehr als zehn weitere Kurven in Lake Placid zu befahren und Loch schrammte weiter unten abermals gegen die Rinnenwand, ehe er die Fahrt endlich zu Ende brachte, kopfschüttelnd und mit wegwerfenden Handbewegungen. Loch wurde zum Abschluss dieser ersten Saisonphase im Einzelrennen von Lake Placid in den USA Sechster, im Sprint sogar Siebter. Und plötzlich war da wieder diese Frage: Ist der zweimalige Einzel-Olympiasieger nur noch ein normaler Rodler?

Etwas übertrieben ist das, denn Loch hat ja bislang die Saison dominiert, drei Weltcupsiege zuletzt eingefahren, war dazu schon zuvor verheißungsvoll gestartet in Innsbruck und Winterberg - mit einem dritten und einem zweiten Platz. Andererseits, war Felix Loch aus Schönau am Königssee nicht immer ein ausgemachter Dominator? Führend in der Athletik, stets auf der Ideallinie. Einer, der irgendwie alles richtig macht, dessen Siege bei Rodel- Höhepunkten als sicher galten, bis zur vergangenen Saison.

Da war er karrieremäßig von der Ideallinie abgedriftet. Nur dreimal stand er auf dem Podest, bei den Heimrennen in Winterberg, Oberhof und Altenberg. Bei der WM 2017 in Innsbruck-Igls, auf einer Bahn, die er gut kennt, ging er nach fünf WM-Einzelsiegen und sieben Podestplätzen leer aus. Dann hatte Loch auch noch Pech: Beim Weltcup in Pyeongchang, auf der Olympiabahn, musste er vom Bett aus vor dem Fernseher zuschauen, weil ihn eine schwere Grippe niedergestreckt hatte.

Loch war am Ende noch Gesamtweltcupzweiter, aber er weiß auch, dass sein Ruf ein anderer ist. "Ich kenne das aus all den Jahren", sagte er zu Beginn dieser Saison, "der Loch, der muss gewinnen oder mindestens auf eins, zwei oder drei landen." Dass ihn irgendwann eine längere Folge von Rückschlägen erwischen würde, war eine Frage der Zeit. Die Phase kam im vorolympischen Winter 16/17, als Loch 27 Jahre alt war, ein bisschen zu viel mit einer neuen Schieneneinstellung riskiert hatte, zudem tendenziell weniger ausgeschlafen und eher mal abgelenkt war - wie das eben ist, wenn man Vater wird.

Da gerät man als Dominator trotz aller Vernunft schnell in einen Teufelskreis. Der Ruf droht zu leiden, die Versuchung wächst, mehr zu riskieren, also die Kufen immer mehr abzurunden, wodurch weniger Reibungswiderstand entsteht, aber auch hässliche Drift-Szenen dazwischen kommen, womit wiederum der Ruf leidet und so weiter. Irgendwann, sagt Loch, kam er an den Punkt, an dem es nur noch darum ging, "das Beste daraus zu machen".

Der Bundestrainer hatte vorab vor einer Enttäuschung gewarnt

Er verließ den Risikokurs. Er berichtet von Tests und von Versuchen im Windkanal: "Wir haben uns die Bestätigung geholt, wo es gehapert hat", sagt er. Mit der Einstellung des Schlittens ist er einen Schritt zurückgegangen, hatte bei den letzten Trainings vor dem Weltcupstart ein "gutes Gefühl" und war nach einer starken ersten Saisonhälfte zunächst wieder der alte Herrscher auf dem Rodel.

Dass er diese Position nun eingebüßt hat, steigert bei den Rodlern wieder die Spannung im Olympiawinter. Für Pyeongchang in sechs Wochen haben die Deutschen in den anderen Abteilungen ja klare Favoriten: Toni Eggert und Sascha Benecken, die Doppelsitzer, und Natalie Geisenberger und Tatjana Hüfner, die beiden Führenden bei den Frauen. Felix Loch dürfte sich in den kommenden Heimrennen am Königssee und in Oberhof zwar weiter absetzen, aber erst die Rennen auf den schwierigen Bahnen in Lillehammer/Norwegen und Sigulda/Lettland werden Hinweise darüber geben, ob der Top-Fahrer der vergangenen Jahre in Pyeongchang zum dritten Mal Olympiasieger wird.

Der Eiskanal von Lake Placid hatte Loch noch nie gelegen. Auf allen Bahnen der Welt haben die Heimrodler wegen des Trainingsüberschusses Vorteile, in Lake Placid ist dies noch ausgeprägter. Mit ihren teils unrhythmischen Kurven und Ecken stellt sie eine extreme Herausforderung für die Gäste aus Europa dar, speziell für Loch. Bundestrainer Norbert Loch hatte schon vorab vor einer Enttäuschung gewarnt.

In Pyeongchang wird es wieder gerechter zugehen. Weil Südkorea kein starkes Rodelteam aufbietet, kommen die Favoriten alle aus dem Ausland. Und von den Gold-Aspiranten aus den USA, Russland, Österreich, Italien und Oberbayern haben alle in etwa gleich wenig Ahnung von der Olympia-Bahn.

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