Robin Dutt im Gespräch:"Unser Hirn hat acht Teile"

Freiburgs Trainer Robin Dutt über das Taktik-Duell mit Bayern-Coach Louis van Gaal, den großen Fortschritt der Fußballmethodik und den enttäuschenden Weinjahrgang 2006.

Christoph Ruf

SZ: Herr Dutt, Sie beklagen sich immer wieder, dass in der Fußballberichterstattung der Fußball zu oft in den Hintergrund rückt.

Werder Bremen - SC Freiburg

"Louis van Gaal ist aber auch ein Taktikfuchs": Freiburgs Trainer Robin Dutt freut sich auf das Duell mit dem FC Bayern.

(Foto: dapd)

Robin Dutt: Manchmal hat man zumindest den Eindruck, dass es interessanter ist, zu welchem Bäcker meine Frau geht, als wie das Spiel gelaufen ist, das gerade zu Ende ist. Ich glaube, dass das viel weniger Leute interessiert als die fußballspezifischen Fragen.

SZ: Dann lassen Sie uns doch einfach über Fußball sprechen.

Dutt: Ich bitte darum.

SZ: Nach der Niederlage gegen St. Pauli am ersten Spieltag waren sich die Beobachter einig: Der SC Freiburg ist ein sicherer Abstiegskandidat, der zu allem Unglück nicht einmal fit ist.

Dutt: Ich fürchte, jetzt müssen wir sogar über Fußball sprechen. Das Erarbeiten von Ausdauer und Kraft findet in der ersten Phase der Vorbereitung statt. Erst in den letzten 14 Tagen kommen Schnelligkeit und damit die sogenannte Spritzigkeit dazu. Man versucht, taktische Dinge wie das Konterspiel daran auszurichten. Dieser Block ist bei uns fast weggefallen, weil sechs bis acht verletzte Stammspieler nicht teilnehmen konnten. Wenn das in diesem Segment passiert, hast du eine Mannschaft, die taktisch und konditionell nicht 100 Prozent fit ist.

SZ: Man kann nicht zuerst die Spritzigkeit trainieren - und dann die Ausdauer?

Dutt: Können schon, das ist aber nicht ratsam. Es ist eher wie beim Wein: Es kann wie im Jahr 2006 ein toller Sommer gewesen sein, ein Spitzenjahrgang wurde erwartet. Und was ist passiert? Ein verregneter Herbst und nichts war es mit dem guten Jahrgang. Im Gegensatz zu den Winzern konnten wir das aber wieder korrigieren - zwei Wochen nach Saisonbeginn war ich deutlich zufriedener.

SZ: Vergangene Saison hat der SC Freiburg den Klassenerhalt geschafft, nachdem Sie zum Spiel in München auf ein 4-1-4-1-System umgestellt haben. Zwar hatten Sie im März durch zwei späte Arjen-Robben-Tore noch 1:2 verloren, aber das System habe Sie dann bis zum Saisonende beibehalten.

Dutt: Nach zwölf negativen Spielen hatte die Mannschaft ein klares System gebraucht, jetzt aber ist eine Phase, in der mancher seine Kreativität mehr ausleben will. Im Grunde ist es mir lieber, die Systeme zu switchen. Deshalb haben wir in dieser Spielzeit schon 4-1-4-1, 4-4-2 und 4-1-2-2-1 gespielt.

SZ: Ist die taktische Variabilität ein Mittel, um gegen individuell besser besetzte Mannschaften wie die des FC Bayern bestehen zu können?

Dutt: Am Dienstag haben wir in Cottbus auch deshalb verloren, weil taktisch sehr viel schlecht lief. Louis van Gaal ist aber auch ein Taktikfuchs. Im Fußball trifft eben Strategie auf Strategie - das Problem daran ist, dass sich leider nur eine davon durchsetzen kann.

SZ: Im Sommer haben Sie angefangen, nach den Grundsätzen der "Life Kinetik" zu trainieren. Was ist darunter zu verstehen?

Dutt: Den Begriff hat Horst Lutz geprägt. Ihn habe ich auf einer Bundesligatagung kennengelernt, wo er einen Vortrag gehalten hat. Mich hat diese Thematik schon immer sehr interessiert.

"Eine unausrottbare Mär"

SZ: Worum ging es in dem Vortrag?

Dutt: Die Ausgangsthese ist, dass wir nur zehn Prozent unserer geistigen Fähigkeiten nutzen, weil es unser Alltag nicht erfordert, dass wir andere Bereiche hinzuziehen. Grob gesagt ist unser Hirn in acht Teile unterteilt - hier das kreative Denken, dort die Motorik. Diese Bereiche müssten viel besser miteinander kommunizieren. Denn umso mehr Synapsen verbunden sind, umso schneller kann man kommunizieren.

SZ: Inwiefern lässt sich daran mit einer Fußballmannschaft arbeiten?

Dutt: Es gibt spezielle Übungsformen, die wir mit unserer Mannschaft in den Trainingsalltag eingebaut haben. Dabei geht es oft darum, konträre Handlungen auszuführen. Je mehr Synapsen verbunden sind, desto mehr können wir auf konträre Situationen reagieren.

SZ: Mit Verlaub: Es entspricht nicht dem Klischeebild vom Fußballer, dass er mit Feuereifer seine Synapsen trainiert.

Dutt: Das könnte am Klischeebild liegen. Meine Spieler hier sind jedenfalls stinksauer, wenn wir abbrechen oder die nächste Übung machen, bevor sie es können. Jeder Mensch, der sagt, ich mache das so, weil ich es schon immer so gemacht habe, ist auf dem Weg nach unten, davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt.

SZ: Wie vermittelt man einem Spieler wie Ihrem Torjäger Papiss Cissé, der noch nicht fließend Deutsch spricht, solch komplexe Sachverhalte?

Dutt: Indem wir visualisieren, was wir erzählen, es durch Bilder an der Wand veranschaulichen. Und natürlich haben wir in Cédrick Makiadi für Französisch einen guten mannschaftsinternen Dolmetscher. Papiss ist zudem ein sehr neugieriger, ehrgeiziger Spieler, der sich kein bisschen auf seinen Lorbeeren ausruht. Das gefällt mir sehr.

SZ: Was im Fußball als Innovation gilt, wird in anderen Ballsportarten . . .

Dutt: Entschuldigung, aber das ist eine unausrottbare Mär - genauso wie das Gerede, wonach im Fußball so wenig intensiv trainiert werde. In einem Teilbereich wie beispielsweise der Ausdauer haben wir natürlich gegen einen Leichtathleten keine Chance. Fußballer müssen jedoch Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination in ein optimales Verhältnis bringen. Daher wäre ein Marathonläufer nicht in der Lage, das geforderte Spieltempo eines Fußballspielers über 90 Minuten zu gehen.

SZ: Der Vorwurf mangelnder Innovation zielt eher auf die Trainingsmethoden als auf Ausdauer und Kraft.

Dutt: Aber auch das ist Quatsch. Fußball ist eine sehr komplexe Ballsportart: Die oben genannten Faktoren brauchen Sie in der Kombination nirgendwo sonst. Hockey kommt dem vielleicht noch am nächsten - jedoch muss man da eher selten springen. Wir brauchen uns vor anderen Sportarten nicht zu verstecken, ganz im Gegenteil, in manchen Bereichen haben wir vielleicht schon die Nase vorne.

SZ: Trotzdem finden sich auch in Ihrer Zunft Kollegen, die der Meinung sind, dass Gras fressen schon reicht, um erfolgreich Fußball zu spielen.

Dutt: Absolute Ausnahmen. In den letzten zehn Jahren hat sich doch so viel getan, da muss man fast schon aufpassen, dass man das Spiel nicht zu sehr verwissenschaftlicht. Fußball sollte bei allen technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten für die Zuschauer und die Spieler einfach bleiben. Das Komplizierte sollten wir Trainer im Hintergrund erarbeiten und so im Alltag umsetzen, dass es leicht verständlich ist.

SZ: Da trainiert man täglich, um am Samstag ein paar Prozentpunkte mehr Leistung zu sehen - und der Schiedsrichter beurteilt eine Situation falsch.

Dutt: Und schon hat man verloren. Ja, das ist frustrierend, so war es ja beim letzten Mal in München, als wir kurz vor Schluss einen unberechtigten Freistoß bekommen haben. Ich muss aber zugeben, dass wir in Frankfurt Glück mit einer Schiedsrichterentscheidung hatten. Oft gleicht sich das wirklich aus.

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