Diskuswerfen:Robert Harting beendet die Leidenszeit

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Robert Harting: Wieder stark beim letzten Versuch (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
  • 17 Monate nach seinem Kreuzbandriss bestreitet Robert Harting seinen ersten Wettbewerb - und gewinnt gleich.
  • "Es kann kein schöneres Comeback geben", sagt Harting; er ist von der großen Weite selbst überrascht.
  • Vor der bevorstehenden Olympia-Saison gibt er sich dennoch zurückhaltend.

Von Saskia Aleythe, Berlin/München

Natürlich ist es wieder die Harting-Art. So ein Olympiasieger und dreimaliger Weltmeister gibt nicht einfach irgendwie sein Comeback, nein, er versieht es mit einem Ausrufezeichen. Am Samstagabend steigt der 31-Jährige in der Berliner Halle in Friedrichshain wieder in den Ring, nach 15 Monaten ohne Wettkampf, nach 531 Tagen Pause. Harting wirft, er ist unzufrieden, nach dem fünften Versuch liegt er auf Rang fünf. Dann der sechste und letzte Versuch, sein bester, oft hat er Wettkämpfe in diesem letzten Moment noch einmal zu seinen Gunsten gedreht. Harting schleudert den Diskus auf 64,81 Meter, fast vier Meter weiter als zuvor an diesem Abend - und dann hat er tatsächlich schon wieder gewonnen.

"Es kann kein schöneres Comeback geben", spricht Harting ins Hallenmikrofon. Er ist ja noch immer der Mann, für den die Zuschauer in die Arena strömen, fast 13 000 sind es in Berlin beim "Istaf Indoor Meeting". Sie feiern ihn, klatschen, grölen, minutenlang. Harting bedankt sich, "das bleibt immer im Herzen", sagt er. Es sind emotionale Worte, Harting hat eine harte Zeit hinter sich gebracht, eine ungewisse Zeit. Und dieser Sieg, der ihm ein bisschen Orientierung schenkt: Mit ihm und einer erfolgreichen Olympia-Teilnahme im Sommer in Rio de Janeiro könnte es doch noch etwas werden.

Eineinhalb Jahre musste seine Sportart ohne ihn auskommen. Im August 2014 wird Harting Europameister in Zürich. Im September 2014 läuft er an Krücken. Es ist ein simpler Trainingslauf, der seine Karriere in eine andere Richtung lenkt als geplant. Harting bleibt im Boden hängen, fällt, das Kreuzband im linken Bein ist durch, das Innenband auch. Er twittert ein Bild aus dem Krankenhaus, "When a world goes down", schreibt Harting, "soviel gekämpft und nun das!" In der Hand Süßigkeiten von seiner Oma, Harting liegt mit bandagierten Beinen im Krankenbett.

Es ist ein Bild, das konträrer nicht sein könnte zu jenem Bild, das man sofort im Kopf hat, wenn der Name Robert Harting fällt. Als er 2009 in Berlin Weltmeister wird, reißt er sich mit den Händen das Leibchen durch, präsentiert den Kameras seine stolze Brust nach dem Gold-Wurf im letzten Versuch. Er wiederholt dieses Szenario bei weiteren Siegen, er weiß, welche Bilder ankommen im Mediensport. Über Jahre dominiert Harting seine Disziplin, nur bei der EM 2010 muss er sich mit Silber begnügen, ansonsten: Weltmeister, Olympiasieger, Weltmeister, zwei Mal Europameister. Bis zu diesem Sturz im Herbst 2014.

Immer wieder muss Harting sein Comeback verschieben, das Knie kenne keine Uhr, sagt er. "Die Verletzung kam in einem blöden Moment", weiß Harting, "ab 30, 31 verändert sich der Körper eines Sportlers. Das habe ich unterschätzt." Die Teilnahme an der WM in Peking 2015 sagt er wenige Wochen vorher ab, zugunsten von Olympia. "Wenn ich mir nochmal das Kreuzband reiße, könnte ich nicht in Rio antreten", sagt er damals. Aber aufgeben wollte er nie, "ich wollte immer wieder zurück".

Harting benutzt gern Vergleiche, wenn er beschreiben soll, in welchem Körper er mittlerweile steckt. "Mein Körper ist wie ein Auto nach dem Werkstattaufenthalt", sagt er, "da sind so viele neue Teile drin, die müssen erst mal getestet werden." Damit diese besser funktionieren, stellte Harting zuletzt auch seine Ernährung um, er verbannt Getreide und Zucker jetzt so gut es geht aus seinem Speiseplan. In Berlin tritt ein schmalerer Harting auf.

Seinen Kopf vergleicht er mit einer Software, die noch nicht wieder effektiv funktioniere. Auch daran arbeitet der dreimalige Sportler des Jahres, ein Mentaltrainer unterstützt ihn. Vor dem Meeting in Berlin war er "super nervös" - nicht zu wissen, wo man steht, das bereitet auch einem Olympiasieger Zweifel. "Ich hatte ein ähnliches Adrenalinlevel wie bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen", gesteht er. Dass es am Samstag auf Anhieb so gut klappt, überrascht ihn selbst. "Das sind drei Meter weiter als ich gedacht habe", sagt Harting nach seinem Erfolg.

Harting weiß, dass der Weg zu Olympia noch ein weiter ist, "es gibt noch viele Dinge, an denen ich arbeiten muss". Während seiner Auszeit haben sich einige Mitbewerber in die Weltspitze geschoben, "die sind alle gut, die sind jung, sind dynamisch", hat Harting beobachtet, und er hat im Vergleich zu sich selbst noch einen weiteren Unterschied ausgemacht: "Die brauchen keine Physiotherapie." Am Samstag in Berlin hat er schon mal Bruder Christoph, 25, dem aktuellen deutschen Meister, den Sieg weggeschnappt; auch Philip Milanov, zuletzt WM-Zweiter, ist bezwungen. Und obwohl sich in der Weltspitze noch weitere fähigere Konkurrenten tummeln, obwohl Wettkämpfen in der Halle nur eine begrenzte Aussagekraft zusteht - "ich bin so stolz und freue mich schon auf das Training am Montag", sagt Harting. "Das war zuletzt nicht immer der Fall."

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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