Robert Harting ist Olympiasieger:König Midas mit der Diskusscheibe

Der Berliner Robert Harting gewinnt die Goldmedaille und holt damit den ersten Olympiasieg für die deutsche Leichtathletik seit zwölf Jahren. Angesichts seiner Vorleistungen in diesem Jahr blieb ihm fast nichts anderes übrig. Doch der Verlauf des Wettkampfs zeigt: Es gab nie eine Garantie.

Thomas Hahn, London

Da lief ein halbnackter Mann mit deutscher Fahne über die Kunststoffbahn des Londoner Olympiastadions. Es war der Diskuswerfer Robert Harting aus Berlin, der den Applaus einsammelte für den ersten Olympiasieg eines deutschen Leichtathleten seit zwölf Jahren. Er war gleich losgelaufen, als Ehsan Hadadi aus dem Iran seinen letzten Wurf zu flach ins Feld gesetzt hatte und damit feststand, dass Hartings fünfter Versuch auf 68,27 Meter reichen würde für den bedeutendsten Sieg in seiner Karriere.

Olympia 2012: Leichtathletik

Robert Harting posiert nach seinem Sieg symbolträchtig vor dem olympischen Feuer.

(Foto: dapd)

Es war ein Sieg mit Ansage, aber natürlich weiß Robert Harting, dass es auch für ihn keine Selbstverständlichkeiten gibt, wenn es ums Gewinnen geht. Und deshalb musste er jetzt laufen, um seiner tief empfundenen Freude Ausdruck zu verleihen.

Robert Harting ist vorgemerkt gewesen als Gold-Gewinner dieses Abends, was ihm einerseits schmeicheln konnte. So nachhaltig hat er sich ins Bewusstsein der Sport-Betrachter gespielt mit seinen Erfolgen, dass sie in ihm den ganz starken Mann der deutschen Leichtathletik sehen. Und gerade in dieser Saison hatte er sich diese Anerkennung ja verdient mit seinen Würfen. Früh in der Saison machte er mit den ersten beiden Würfen über die 70-Meter-Marke in seiner Karriere auf sich aufmerksam (70,31 und 70,66), mit denen er die Weltjahresbestenliste anführt. Er schraubte seine Erfolgsserie auf 28 Siege nacheinander. Er wurde wie im Vorbeigehen Europameister in Helsinki. Harting war in Form, die Leute sahen es und würdigten ihn mit den höchsten Erwartungen.

Auf der anderen Seite ist dieser Anspruch natürlich auch ein bisschen ungnädig gewesen. Harting entging nicht, dass ihm aus Sicht der anderen fast nichts anderes übrig blieb, als zu gewinnen. Die Schlagzeilen zu seinem Londoner Auftritt erweckten den Eindruck, als sei Harting eine Art König Midas des Diskussports. Sogar sein Kaderkollege Martin Wierig sagte: "Ich denke, Robert wird das Ding machen." Aus seiner Sicht würde der Wettbewerb erst hinter Harting beginnen: "Platz zwei und drei sind relativ offen."

Harting wunderte sich. "Der Druck von außen ist neu", sagte er nach der Qualifikation am Montagvormittag, die er mit einem trockenen Wurf auf 66,22 Metern abgehakt hatte. "Es ist natürlich erdrückend, weil Druck drückt meistens." Er durfte sich davon nicht nervös machen lassen, und das gelang ihm ganz gut. "Es ist ein gutes Gefühl, wenn man in der Situation ist", sagte er. Schmeichelhaft eben.

Robert Harting spürte früh im Wettkampf, dass die anderen aufbegehrten. Der Litauer Virgilijus Alekna legte vor mit 67,38 Metern, der Iraner Ehsan Hadadi legte nach mit 68,18 Metern, und Harting erwiderte mit 67,79 Metern. Erwartungsvoll blickte er dem Wurf nach. Er verzog keine Miene, er wirkte ganz ruhig. Harting war Zweiter. Er war nun drin im Wettkampf, der Einstieg war nicht schlecht gelungen. Aber es gab noch einiges zu tun. Die Scheibe war ihm in der britischen Sommerkühle nicht so von der Hand gegangen, wie er sich das erhofft hatte.

Harting drückt einem Briten die Daumen

Harting mag es, wenn die Stimmung hochkocht. Er hatte in der Qualifikation auch ein bisschen zu Lawrence Okoye gehalten, dem jungen Briten im Feld. Okoye ist erst 20, ein jugendlicher Hüne, 1,98 Meter groß, 129 Kilo schwer, beseelt davon, ein britischer Olympia-Athlet zu sein und nationaler Rekordhalter mit der stattlichen Weite von 68,24 Metern. Eine Karriere als Rugbyspieler hat er für die Leichtathletik drangegeben, das Jura-Studium in Oxford aufgeschoben, er ist eine auffällige Gestalt, und Harting hoffte, dass er im Finale dabei sein würde, damit die Zuschauer es aufmerksamer verfolgten.

Robert Harting ist Olympiasieger: Robert Harting überträgt seine Kraft geschickt auf die zwei Kilogramm schwere Scheibe aus Kunststoff und Metall.

Robert Harting überträgt seine Kraft geschickt auf die zwei Kilogramm schwere Scheibe aus Kunststoff und Metall. 

(Foto: AP)

Okoye schaffte es ins Finale, so richtig ging Hartings Kalkül trotzdem nicht auf. Okoye war überfordert, seine Würfe landeten früh, und nach drei Würfen war das Finale für ihn schon vorbei, weil er nicht unter den besten Acht platziert war. Das Publikum applaudierte freundlich, aber nicht begeistert.

Hartings nächste Versuche brachten ihn nicht weiter. Der zweite war ungültig, der dritte landete bei 67,27 Meter, der vierte bei 66,45 Meter. Harting verzog ein bisschen das Gesicht. Es musste etwas geschehen. Unverrückbar standen die 68,18 von Hadadi in der Ergebnisliste, und wenig später jubelten die Esten im Stadion. Gerd Kanter hatte den Diskus auf 68,03 Meter geschleudert. Harting war Dritter.

Martin Wierig lächelte. Er hatte sich erhofft, den Sprung unter die besten Acht zu schaffen und damit den kompletten Wettkampf mitmachen zu dürfen. Das gelang ihm und im vierten Versuch flog sein Diskus sogar auf 65,56 Meter. Er war Sechster. Er war mitten drin in der Weltklasse, aber natürlich ging er damit ein bisschen unter. Er war nicht der Hauptdarsteller, das wusste er selbst. Die Blicke waren auf Kanter gerichtet, auf Hadadi und auf Harting.

Gibt es so etwas wie Kontrolle über eine zwei Kilo schwere Scheibe aus Kunststoff und Metall? Harting kann nicht immer so weit werfen, wie er will, er kann nur versuchen, seine Kraft so geschickt auf den Diskus wirken zu lassen, dass er einen möglichst weiten Weg durch die Luft findet. Es ist eine schwierige Aufgabe, und es kann schon sein, dass es Harting manchmal ärgert, dass die Leute so leichtfertig sagen, dass er schon gewinnen werde. Es gibt keine Garantie. Harting betrat den Ring. Es war sein fünfter Versuch. Wenn er gewinnen wollte, musste er jetzt eine Antwort auf die anderen in die Nacht setzen. Er warf. Der Diskus flog weit. "68,27 Meter", stand auf der Anzeigetafel. "Der war nicht ganz optimal", fand Harting später und erklärte: "Ich hatte schwere Beine, musste mich zusammenreißen." Aber es reichte.

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