Riesenslalom der Frauen:Ein Cocktail im zweiten Lauf

Nach überlegenem ersten Durchgang sichert sich die Schweizerin Lara Gut in Sölden den ersten alpinen Rennsieg der Saison. Sie hielt sich an den Rat von Marcel Hirscher: "Fahr einfach Ski!"

Von Matthias Schmid, Sölden

Die wichtigste Vorbereitung auf das erste Weltcup-Rennen der Saison hatte für Lara Gut auf einer weißen Couch begonnen. Am Freitag saß die Schweizerin gemeinsam mit Marcel Hirscher in der Freizeitarena von Sölden, um ein wenig zu plaudern. Es war einer von unzähligen Terminen für die Rennläufer vor dem Auftaktwochenende des Ski-Winters - und eigentlich kein Termin für tiefschürfende Erklärungen. Worauf Hirscher die Kollegin auch sogleich aufmerksam machte, als Gut lange über die Erwartungshaltung an eine Gesamt-Weltcupsiegerin referierte. Er stupfte Lara Gut sanft an und flüsterte: "Fahr einfach Ski!" Hirscher weiß, wovon er spricht, der Österreicher hat den Gesamt-Weltcup nicht einmal, er hat ihn bereits fünf Mal gewonnen.

Lara Gut liefert vor und nach den Rennen gerne einfache Antworten, und in diesem Ratschlag Hirschers steckte gerade für sie eine tiefere Wahrheit. "Ich hatte mich vor dem ersten Rennen zu sehr unter Druck gesetzt", gab Gut zu, "deshalb habe ich Marcels Rat einfach befolgt." Dass sich dieser so einfach umsetzen ließ, überraschte die Schweizerin selbst am meisten, als sie in Sölden nach zwei Riesenslalom-Durchgängen mit einem Vorsprung von 1,44 Sekunden auf die amerikanische Slalom-Olympiasiegerin Mikaela Shiffrin vorne lag. Auf dem dritten Platz landete die Italienerin Marta Bassino.

Das Trio posierte fürs Siegerfoto in der Gletschersonne. Ein vor-winterliches Bild vom schneebedeckten Rettenbachferner, wie es sich die Verantwortlichen zum Auftakt der 51. Weltcup-Saison erhofft hatten. Produziert werden soll an diesem Wochenende im Oktober bekanntlich ein Werbefilm, mit dem die Industrie bis Weihnachten fürs Material und der Ski-Weltverband Fis für den Sport werben kann. Es gab ja auch schon Herbstrennen in Sölden, da lag nur eine Zunge im braunen Geröll, ein weißes, künstliches Band, das gerade so ausreichte, um den ersten Sieger des Winters zu ermitteln.

Der Hang ist sehr speziell, nicht nur wegen der Höhe, das Starthaus steht auf 3040 Meter - nur in Beaver Creek in den USA wird im Riesenslalom noch weiter oben gestartet (3155 Meter). Die Strecke beginnt flach, es folgt im Mittelteil ein eisiges Steilstück, ehe es mit einer Gleitpassage im Flachen endet. "Eine brutale Herausforderung", sagt die Österreicherin Eva-Maria Brem, die vorigen Winter den Riesenslalom-Weltcup gewann: "Du musst zweimal im Rennen umschalten und jeweils komplett anders fahren."

Das Erfolgsrezept von Lara Gut: "Ich habe nicht viel überlegt"

Lara Gut kam am besten zurecht, ihr Rezept: "Ich habe nicht viel überlegt. Du musst im ersten Lauf Gas geben, damit du im zweiten den Schaden in Grenzen halten kannst." Schon nach dem ersten Durchgang hatte sie auf Shiffrin einen Vorsprung von 1,42 Sekunden. Lara Gut rutschte weniger als ihre Rivalinnen, sie fuhr wie auf Schienen. Einmal carvte sie so extrem um die Torstange, dass sie mit beiden Händen den Schnee berührte. Für diese enge, riskante Linie wurde sie belohnt, denn schon vor dem zweiten Start stellte Shiffrin trocken fest: "Lara kann sich im zweiten Durchgang sogar einen Cocktail genehmigen."

Kurz fällt das erste Fazit für die deutsche Mannschaft aus. Nur zwei Läuferinnen waren nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg (Kreuth) am Start. Während die 18-jährige Katrin Hirtl-Stanggassinger (Königsee) als 38. den zweiten Lauf verpasste, kam Lena Dürr auf den 21. Rang. Ein Erfolg für die 25-Jährige vom SV Germering, die nach enttäuschenden Jahren den Anschluss an die Besten sucht. "Ich bin froh, dass ich wieder dieses Feeling vom zweiten Lauf hatte", sagte Dürr: "Ich will mich Schritt für Schritt nach vorne kämpfen."

Die wesentliche internationale Erkenntnis aber ist: Lara Gut hat nach ihrem Weltcup-Gesamtsieg die Fixierung nicht verloren. Sie hat nach 2013 erneut in Sölden gewonnen, es war ihr insgesamt 19. Weltcup-Rennsieg. Sie hat offenbar gelernt, Prioritäten zu setzen, sie wirkt nicht mehr so gehetzt, so unstet wie vor ein paar Jahren. "Ich bin älter geworden", stellte die 25-Jährige entwaffnend sachlich fest. Ein Prozess, der sie ruhiger, abgeklärter, lockerer werden ließ. Die Vermarkter des Winters hoffen, dass Lara Gut neben Shiffrin und der in Sölden fehlenden Lindsey Vonn (USA) zur Hauptdarstellerin der Saison wird, in der als Höhepunkt eine WM in St. Moritz ansteht. Bis dahin will Gut nach dem klassischen Sportler-Prinzip verfahren: Rennen für Rennen, und sobald der Start erfolgt, "gibt es nur noch mich und den Berg".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: