Richterspruch zu Sportgerichten:Sieg für alle Athleten

Eine Münchner Richterin am Landgericht wühlt den Sport auf: Ist die Athletenvereinbarung, die Sportler bislang unterschreiben müssen, unwirksam? Die Sportgerichte zittern. Dabei sollten sie ein bisschen Rechtsstaatlichkeit aushalten.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

So ein Zufall: Am Montag plädierte Sportrechtler Rainer Cherkeh dafür, dass Athleten den Schiedsvereinbarungen mit ihren Verbänden einen Vermerk "Unterschrift nicht freiwillig" beifügen sollten. Offen monierte der Anwalt des just vom Weltsportgerichtshof Cas auf wissenschaftlich umstrittener Basis gesperrten Radprofis Patrick Sinkewitz: Ein Schiedsverfahren müsse auf einer rechtlich wirksamen, also "freiwilligen" Einwilligung beruhen; und alternativ der Weg vor staatliche Gerichte offenstehen. Cherkeh fand kein Gehör. Claudia Pechstein am Mittwoch schon.

Es ist ein Blattschuss, den das Münchner Landgericht der Sportgerichtsbarkeit nun verpasst hat: Deren Basis, die Schiedsvereinbarung zwischen Verband und Athlet, ist unwirksam, weil sie auf Zwang statt auf Freiwilligkeit beruht. Kluger Spruch: Schon der Begriff Vereinbarung zeigt an, dass sich Parteien auf etwas verständigen, und nicht, dass einer dem anderen seinen Willen aufzwingt.

Die Schiedsvereinbarung wird kaum zu retten sein, das ist ein Sieg für alle Athleten. Und ein Schlag gegen die Autonomie des Sports und dessen Rechtsinstanzen, die über sich statt des Himmels nur den Cas dulden. Das ist ein Gremium, dessen geschlossene Richterliste aus Juristen, die der Sport absegnet, schon häufiger Argwohn erregt hat. Kann man hier von voller Unabhängigkeit sprechen? Es war Zeit, das Problem anzupacken. Das Gefühl hatte auch die Kammer, der es offenbar ein Bedürfnis war, ihre Einschätzung zur Sportgerichtsbarkeit abzugeben; im Kontext dieser Klageabweisung bestand ja kein direkter Grund dafür.

Natürlich werden Funktionäre und Instanzen des Sports das alte Prinzip zu retten versuchen: Dass der Athlet das Recht abgibt, statt eines Schiedsrichters einen Richter anrufen zu dürfen. DOSB-General Michael Vesper sieht das Urteil "im Widerspruch zur herrschenden Meinung" und zitiert einen Ex-Verfassungsrichter, der schon als eine Art Allzweckwaffe des Sports fungiert. Indes herrscht das Argument, es gäbe in Dopingfragen zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit "keine Alternative", hauptsächlich in Sportkreisen vor. Und es ist so dünn wie alle anderen: Dass der Sport schneller, kompetenter und preiswerter richte. Das ist blühender Unfug, längst klar widerlegt: Diffizile Prozesse dauern Jahre, sie verschlingen Hunderttausende Euro. Frag nach bei Sinkewitz und Pechstein.

Unberührt von alledem bleibt die Athletenvereinbarung. Das Zusammenleben von Verbänden und Sportlern muss definiert sein, letztere müssen die Regelwerke akzeptieren und sogar Bedingungen, die ihre Persönlichkeitsrechte berühren: von der Pflicht, Kleidung und Logos zu tragen bis zur Präsenz bei Veranstaltungen. Was Sportler nicht mehr müssen, ist, sich bedingungslos den Urteilen eines Sportsystems zu unterwerfen, die in der Summe oft diesem System dienen. Juristisch wesentliche Korrekturen an und in diesem System kommen fast immer von außen. So wie im aktuellen Fall.

Wer will, kann sich der Sportgerichtsbarkeit ja weiter unterstellen; das tut er künftig freiwillig. Dass aber Grundrechte alternativlos sind und Rechtsstaatlichkeit und Prozessfairness zu garantieren sind, muss auch der Sport aushalten.

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