Revierderby:Tuchel stoppt die Jagd auf den FC Bayern

FC Schalke 04 - Borussia Dortmund

Der Trainer steht, seine besten Spieler sitzen: Thomas Tuchel im Derby gegen den FC Schalke.

(Foto: dpa)

Von Felix Meininghaus, Gelsenkirchen

Michael Zorc ist bekannt dafür, dass er die Dinge mit westfälischer Gelassenheit betrachtet. Von der Aufgeregtheit der Branche Profifußball, in der die Dinge gerne aufgeblasen und verklärt werden, hat sich das Dortmunder Urgestein noch nie beunruhigen lassen. "Wir sind alle Realisten", sagte Zorc also am Sonntagabend, "die Spiele werden weniger, und die Bayern gewinnen jedes Mal." Der Vorsprung des Rekordmeisters aus München an der Tabellenspitze ist nach dem in der ersten Hälfte langweiligen und nach dem Seitenwechsel umso aufregenderen Revierderby zwischen den ewigen Rivalen Schalke 04 und Borussia Dortmund auf sieben Punkte angewachsen. Die ohnehin vagen Hoffnungen auf die Meisterschaft sind in Dortmund fünf Spieltage vor Saisonende noch weiter gesunken.

Gratulieren mochte im Dortmunder Lager zwar noch niemand, doch auch Trainer Thomas Tuchel hält es für ein "sehr realistisches Szenario, dass die Bayern Meister werden." Dortmunds Trainer lächelte, als er sagte: "Ich weiß nicht, ob es die große Aufholjagd noch gibt." Die Tabelle der Bundesliga, sie ist an ihrer Spitze wie betoniert: Vorne marschiert der Branchenführer aus München, mit respektvollem Abstand folgt der BVB, der Rest der Liga schaut mit dem Fernglas zu.

Mkhitaryan, Reus, Aubameyang, Gündogan - die beste Bank der BVB-Geschichte

Große Spannung generiert die Liga in anderen Bereichen. Das sehen sie auch im Ruhrgebiet so, und deshalb kamen Tuchel und seine Helfer im Vorfeld der 148. Auflage des Revierklassikers auch zu dem Schluss, dem Derby nicht die allerhöchste Priorität einzuräumen. Tuchels Brachial-Rotation sorgte für Diskussionsbedarf, gleich auf acht Positionen hatte Dortmunds Trainer seine Stammformation im Vergleich zur Europa-League-Begegnung gegen den FC Liverpool geändert. Weidenfeller, Gündogan, Mkhitaryan, Reus, Aubameyang, Piszczek, Castro - eine solch exquisit besetzte Bank hat es in der Geschichte von Borussia Dortmund wohl noch nicht gegeben haben.

Einerseits ist das Derby ja immer besonders, ein seit jeher mit Emotionen überfrachtetes Duell zweier Nachbarn, die sich in inniger Abneigung verbunden sind. Andererseits: Borussia Dortmund hetzt gerade von Termin zu Termin, 48 Pflichtspiele hat der BVB in dieser Spielzeit bereits absolviert, einer solchen Belastung ist hierzulande kein anderer Verein ausgesetzt. Wenn es in drei Wettbewerben weiterhin so reibungslos läuft wie bisher, kommen bis zum Saisonende nochmal elf kräftezehrende Partien hinzu. Da ist selbst ein Derby beim FC Schalke gar nicht mehr so wichtig.

Irgendwann, befürchtet Tuchel, wird seine Mannschaft, die den hohen Anforderungen bislang erstaunlich robust getrotzt hat, müde werden. Vor allem, wenn der Spielplan eine solche Reizüberflutung bereithält wie derzeit: Liverpool, Schalke, Liverpool - Highlights im Drei-Tages-Rhythmus bedeuten ja "nicht nur einen körperlichen, sondern auch einen emotionalen Stress", weiß der Trainer: "Wir laufen auf eine Belastungsgrenze zu."

Wie Schalke das Derby nutzte, um das ramponierte Image aufzubessern

Niemand im Dortmunder Lager stellte Tuchels Personalrochaden infrage. "Die Jungs, die auf dem Platz waren, haben es gut gemacht", betonte Zorc, "den Jungs, die draußen waren, fehlte die Frische." Nuri Sahin, der im Mittelfeld hinter Moritz Leitner von Beginn an spielte, sagte, Dortmunds Kader habe "so viele Spiele in den Knochen, da ist es doch klar, dass der Trainer rotiert. Wer will ihm denn daraus einen Vorwurf machen?"

Zumal die riesige Diskrepanz zwischen den beiden Rivalen im Vorfeld der Auseinandersetzung auf die Derbystimmung drückte. 23 Punkte Differenz, dieser Abstand mutet schon fast surreal an. Wenn sich zwei Kontrahenten, die sich eigentlich auf Augenhöhe begegnen sollten, gefühlte Lichtjahre voneinander entfernen, steigert das nicht unbedingt die Lust auf den direkten Vergleich.

Breitenreiter wehrt sich gegen die Kritik

45 langweilige Minuten schienen diesen Eindruck zu bestätigen. Dass das Derby nach dem Seitenwechsel doch noch so richtig Fahrt aufnahm, war in erster Linie das Verdienst der Schalker, die sich gegen den technisch versierteren Gegner mit allem wehrten, was ihnen zur Verfügung stand: vor allem mit großem Kampf. Tuchel sah "in der zweiten Halbzeit ein intensives und spektakuläres Spiel", sein Schalker Kollege André Breitenreiter stimmte ihm uneingeschränkt zu: "Es war ein absolutes Derby mit dem richtigen Charakter. Wir haben uns mit Herz und Leidenschaft gewehrt." Schalke nutzte das Heimspiel dazu, das ramponierte Image aufzupolieren. Breitenreiter, der zuletzt beobachtet hatte, "dass der Kopf runtergeht bei Rückständen", sah nun Spieler, "die gezeigt haben, wie es geht. Du musst an dich glauben."

Das war auch für den Trainer selbst wichtig. Bei einer weiteren Niederlage wären die Diskussionen um seine Person lauter geworden. Doch nach diesem Spielverlauf durfte sich Breitenreiter als moralischer Gewinner fühlen und nutzte die Gelegenheit, um sich zu wehren. Breitenreiter fühlt sich auf Schalke ungerecht behandelt, nun teilte er selbst aus, indem er das bekannt schwierige Umfeld bei seinem Arbeitgeber an den Pranger stellte. "Hier wird doch nur auf das Trainerteam und die Mannschaft draufgetreten."

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