Revierderby:Erwin zeigt Rot

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Schalkes Maskottchen Erwin zeigte Schiedsrichter Zwayer die rote Karte. (Foto: imago/DeFodi)
  • Das Schalke Maskottchen Erwin zeigt Schiedsrichter Zwayer die rote Karte, der findet das gar nicht lustig.
  • Pierre-Emerick Aubameyang jubelte nach dem 1:1 mit einer Maske - ein Aktion eines persönlichen Sponsors.
  • Sportlich haderte Schalke mit einem nicht gegebenen Elfmeter nach einem Handspiel von Marc Bartra kurz vor Schluss.

Von Ulrich Hartmann, Gelsenkirchen

Das Spiel war soeben abgepfiffen, als das Schalker Maskottchen "Erwin" dem Schiedsrichter Felix Zwayer die rote Karte zeigte. Es wollte sie ihm eigentlich nur zurückgeben, die Rote Karte lag nach Spielschluss nämlich im Gras, aber Zwayer nahm sie nicht an. Erstens, weil er nicht glaubte, dass es seine war. Und zweitens, weil Erwin sie ihm wirklich wie bei einer Bestrafung vor die Nase gehalten hatte. Das 150. Pflichtspiel-Revierderby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund endete mit tumultartigen Szenen, nachdem bis zur 53. Minute sehr wenig passiert war. Erst nach Dortmunds 1:0-Führung durch Pierre-Emerick Aubameyang ging dieses Derby so richtig los und bot in seinen letzten 37 Minuten Stoff für etliche skurrile Geschichten.

Da war die rote Karte für Zwayer, da war ein neuerlicher Maskenjubel durch Aubameyang, der sich aber als Schleichwerbung für seinen persönlichen Sponsor entpuppte - und da waren vor allem der Schalker Ausgleich zum 1:1-Endstand in der 77. Minute durch den 20-jährigen Thilo Kehrer mit seinem allerersten Bundesliga-Tor. Sowie die Debatte um einen Handelfmeter in der Nachspielzeit, den die Schalker nicht bekamen, weil Schiedsrichter Zwayer den erhobenen Arm des Dortmunder Abwehrspielers Marc Bartra nicht als unnatürliche Bewegung interpretiert hatte. Die Schalker umringten Zwayer nach dem Spiel und redeten auf ihn ein, als Maskottchen Erwin die rote Karte brachte.

Schiedsrichter Zwayer wirkte nach dem Vorstoß des Maskottchens offenbar so konsterniert, dass schon darüber spekuliert wurde, ob Erwin nun eine Sperre durch das DFB-Sportgericht drohe: "Wenn das bestraft wird, gehen wir in die mündliche Verhandlung: Erwin wird dann vorgeladen, kommt in Uniform nach Frankfurt und erscheint im Kostüm vor Gericht", witzelte Schalke-Manager Christian Heidel. Und fügte dann ernsthafter an: "Wir sollten alle schön nach Hause fahren und Erwin in Ruhe lassen." Das gilt womöglich auch für den irrtierten Schiedsrichter: "In dem Moment unter Anspannung fand ich es nicht so lustig. Morgen wird es dann vielleicht schon amüsanter", gab Felix Zwayer zu Protokoll.

52 Minuten zum Vorspulen

In der Analyse könnte man vom Anfang dieses aufregenden Nachmittags einiges überspulen. Auch Jorge Andujar Moreno aus Spanien, in der Branche unter dem Spitznamen Coke bekannt, spielte hinterher keine so ganz große Rolle mehr, dabei war er vor dem Anpfiff des (inklusive Freundschaftsspielen) insgesamt 172. Duells der beiden Revierklubs Schalkes meistbejubelter Mann gewesen. Schließlich hat er ja neun Monate nach seinem Wechsel nach Gelsenkirchen im vergangenen Sommer endlich sein erstes Pflichtspiel für die Königsblauen bestritten. Vom Kreuzbandriss genesen, sollte er als Rechtsverteidiger seine ganze Erfahrung ins Defensivspiel einbringen.

Je vier Wechsel hatten beide Trainer in den Startformationen vorgenommen, teils medizinisch, teils taktisch bedingt. So musste bei den Schalkern Sead Kolasinac wegen muskulärer Probleme draußen bleiben, genauso wie bei den Dortmundern Erik Durm, der durch den 19 Jahre alten Felix Passlack ersetzt wurde. Kehrer spielte in der Abwehrkette links, weil Coke rechts spielte. Dass Torschütze Kehrer gar nicht erst gespielt hätte, wenn Kolasinac fit gewesen wäre, stimmt aber nicht, weil dann wohl Coke draußen geblieben wäre.

Die einzige Chance für Schalkes Verteidigungsapparat hatte in der ersten Halbzeit Daniel Caligiuri mit einem Freistoß, der knapp vorbeistrich. Ansonsten war Caligiuri vor allem damit beschäftigt, dem Dortmunder Ousmane Dembélé das Dribbeln auszutreiben. Nicht immer mit Erfolg. Dembélé musste immer dribbeln, weil er in zweitvorderster Reihe zwar häufig des Balls habhaft wurde, diesen aber nicht zu seinem Mittelstürmer weiterleiten konnte. Aubameyang ging im Abschirmdienst des Schalkers Benedikt Höwedes verloren, und das eine Mal, als er doch aufs Schalker Tor zustürmen durfte, scheiterte er am Torwart Ralf Fährmann.

Aubameyang feiert als "Masked Finisher"

Ansonsten war das Jubiläumsderby 52 Minuten lang ein Ausbund an Leidenschaft, aber auch ein Auswuchs an Fehlpässen und Ballverlusten. Zum Glück macht so etwas den euphorisierten Zuschauern beider Seiten gar nichts aus. Sie sangen und schwenkten ihre Fahnen schon jetzt derart, dass es eine Freude war.

Die Schalker gingen mit der Erkenntnis in die zweite Halbzeit, dass sich noch nie eine Mannschaft einen Sieg ausschließlich ergrätscht hat. Sie mussten also wohl oder übel diesem Ball auch einmal ihren eigenen Willen aufdrängen und bemühten sich zu diesem Zweck um häufigeren Besitz. Dies schien sich zu rentieren, als Guido Burgstaller in der 53. Minute nach einer Hereingabe von Leon Goretzka den Ball annehmen und sich um seinen Gegenspieler Sokratis herumdrehen konnte - aber dann nicht richtig zum Schuss kam. Burgstaller beschwerte sich heftig, behauptete später, Sokratis habe ihn am Oberschenkel gehalten, aber ein eindeutiges Foul war nicht zu erkennen. Doch mit dieser Aktion brach ein neues, feuriges Derby an.

Denn um 16.42 Uhr verwandelte sich das Spiel in ein Fest.

Dembélé brachte den direkten BVB-Konter mit seiner Geschwindigkeit nach vorne und passte im richtigen Moment steil auf Shinji Kagawa. Während die Schalker zu Unrecht einen Abseitspfiff verlangten, spielte Kagawa den Ball quer zum mitgelaufenen Aubameyang, der zum 0:1 ins leere Tor einschob. Aubameyang lief zur Außenlinie, bekam ein Päckchen zugeworfen und zog sich eine schwarz-rote Maske über, die nicht annähernd so bekannt aussah wie die Batman- und die Spiderman-Maske, mit der er früher seine Derbytore gefeiert hatte. Die Maske entpuppte sich als Utensil aus einer Werbeaktion, die Aubameyang selbst in den Rang eines Superhelden erhebt. Titel: "Masked Finisher" - der maskierte Torjäger.

Die Schalker Fans pfiffen den schwarz-gelben Poser aus.

Dembélé verpasst die Entscheidung

Jetzt half ihren königsblauen Spielern drunten auf dem Feld kein Taktieren mehr. Schalke musste das Risiko erhöhen und öffnete die Abwehr. Schon in der 58. Minute tauchte Aubameyang wieder allein vor Torwart Fährmann auf, wollte es aber nicht selbst machen, sondern lieber Dembélé bedienen - doch Verteidiger Benedikt Höwedes spritzte dazwischen. In der 74. Minute traf Dembélé zudem nur den Pfosten. Das 0:2 hätte die Entscheidung bedeutet, doch so kam Schalke zurück ins Spiel.

"Wir sind verdient in Führung gegangen", sagte BVB-Trainer Thomas Tuchel, "aber dann haben wir Chancen liegen gelassen, der Ausgleich zeigte Wirkung, und es wurde noch ein sehr emotionales und intensives Spiel." Und was für eines! Auf Hackentrick-Vorlage von Leon Goretzka schoss Kehrer in der 77. Minute zwischen Freund und Feind hindurch ins Dortmunder Netz, danach spielte nur noch der Gastgeber und hätte die Partie gewinnen können. "Dass wir den Elfmeter nicht bekommen haben, ist bitter", sagte Höwedes, "aber verdient wäre unser Sieg, ehrlich gesagt, nicht unbedingt gewesen."

Bezeichnend für das Show-Geschäft Fußball war, dass es hinterher die meisten Diskussionen um "Erwin" und den "Maskierten Finisher" gab. "Sollte es sich hierbei wirklich um die Aktion eines persönlichen Werbepartners handeln, werden wir mit 'Auba' da noch mal drüber sprechen müssen", sagte BVB-Chef Hans-Joachim Watzke. Grinsend.

© SZ vom 02.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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