Revierderby:Tuchel: "Wir haben ein bisschen Glück gehabt"

Revierderby: Marc Bartra schießt sich kurz vor Schluss den Ball an den Arm.

Marc Bartra schießt sich kurz vor Schluss den Ball an den Arm.

(Foto: Martin Meissner/AP)
  • Thilo Kehrer gleicht die Führung von Pierre-Emerick Aubameyang aus - das 172. Revierderby endet 1:1.
  • Der BVB hat Glück, dass Schalke kurz vor Schluss nicht noch einen Elfmeter bekommt.
  • Alle Ergebniss des Spieltages finden Sie hier.

Von Martin Schneider

Kurz vor Ende gab es dann doch noch die Emotionen, die im Fußball-Lexikon unter "Derby-Atmosphäre" zu finden sind. BVB-Verteidiger Sokratis und Schalkes Nabil Bentaleb rangelten miteinander und kassierten je eine gelbe Karte; Schalkes Trainer Markus Weinzierl musste auf die Tribüne, weil er ein Handspiel von Marc Bartra im BVB-Strafraum erkannt hatte und sich zu laut beschwerte, weil es keinen Elfmeter gab. Und in all dem Trubel verlor Schiedsrichter Felix Zwayer auch noch seine rote Karte. Sie fiel ihm aus der Tasche, lag länger auf dem Rasen herum und wurde ihm nach dem Spiel vom Schalker Maskottchen "Erwin" gebracht. "Erwin" zeigte Zwayer dann auch noch die rote Karte, beziehungsweise fuchtelte vor seinem Gesicht damit rum. Der notierte den Vorfall. Vielleicht wird das Schalke Maskottchen nun für zwei Spiele gesperrt, wer weiß. Achja, das Spiel ging übrigens 1:1 aus.

Die lange Zeit einzige Karte im Derby bekam Pierre-Emerick Aubameyang, weil er sich eine Maske aufsetzte. Beim Gabuner ist das so: Bei normalen Toren schlägt er einen Salto, bei besonderen Toren verkleidet er sich. Und niemand würde bestreiten, dass ein Tor im Revierderby ein besonderes Tor war. Er ließ sich also eine schwarz-rote Maske geben, zog sie auf, jubelte, und weil das Regelwerk keine karnevalesken Ausflüge zulässt, kassierte er eine Verwarnung.

Football Soccer - Schalke 04 v Borussia Dortmund - German Bundesliga

Held im Zwielicht: Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang (links neben Shinji Kagawa).

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Dieses Tor war aber nicht nur wegen der Maske interessant, die Entstehung war durchaus kurios. Bentaleb und Guido Burgsteller behinderten sich im BVB-Sechzehner gegenseitig und verloren den Ball. Burgstaller beschwerte sich nach dem Spiel, Sokratis hätte ihn gehalten. Es folgte ein ICE-schneller Konter über den Schnellzug-Fußballer Ousmane Dembélé. Der steckte zu Kagawa durch, der legte quer, Aubameyang traf. Es war die 53. Minute.

Das Tor küsste ein Spiel wach, das bis zu diesem Zeitpunkt langsam vor sich hintickte wie eine schwere Pendeluhr. Danach flackerte es wie ein Stroboskop.

Nur vier Minuten später setzt Benedikt Höwedes einen wuchtigen Kopfball auf das Tor, den Roman Bürki mit einem Reflex über die Latte lenkte. Eine Minute später war Aubameyang zu selbstlos, legte einen Ball quer zu Dembélé den er besser selbst versenkt hätte. Höwedes störte ihn gerade noch mit einer Grätsche. Danach beschleunigte Weinzierl das Spiel noch einmal, wechselte Max Meyer und Alessandro Schöpf ein. Es ging schnell hin und her, es war jetzt mehr ein Tischtennis- als ein Fußballspiel. Dembélé traf erst den Pfosten, dann flankte er per Rabona (Schussbein hinter Standbein) erfolglos. Ein weitere Flanke von Aubameyang war zu hoch für Kagawa.

Dortmund versuchte zu zaubern, Schalke traf: In der 77. Minute fiel das 1:1 durch einen Schuss von Thilo Kehrer, 20 Jahre jung, geboren in Tübingen, aber seit fünf Jahren Teil diverser Schalker Jugendmannschaften. Er jubelte ohne Maske, Gelsenkirchen sollte sich sein Gesicht merken.

"Der Ausgleich wirkte nach, dann wurde es ein sehr emotionales und intensives Spiel. Wir haben ein bisschen Glück gehabt, dass der Schiedsrichter das Handspiel nicht gepfiffen hat", sagte Thomas Tuchel nach dem Spiel. Weinzierl erkannte die spielerische Überlegenheit des BVB im ersten Durchgang an, stellte aber fest: "Zum Schluss waren wir in einer hektischen Partie dem Sieg näher."

Dortmund rutscht hinter Hoffenheim

Trotz der aufregenden Schlussphase begann dieses 172. Revierderby durchaus schläfrig. Es konnten ja auch ein paar Protagonisten nicht mitspielen. Mit Mario Götze, Marco Reus und André Schürrle fehlten BVB-Trainer Thomas Tuchel eine offensive Dreierkette, die theoretisch auch für den auf der Tribüne sitzenden Joachim Löw interessant wäre, zudem Erik Durm und Sebastian Rode. Christian Pulisic setzte Tuchel auf die Bank, weil er mit der US-Nationalmannschaft in Panama gespielt und sechs Zeitzonen durchflogen hatte.

Beim FC Schalke 04 erholte sich Sead Kolasinac nicht schnell genug von seinen muskulären Problemen, er fehlte neben den länger verletztem Naldo, Baba und Embolo. So kam Rechtsverteidiger Coke zu seinem ersten Bundesliga-Einsatz. Er kam vom FC Sevilla und hatte sich in einem Testspiel vor der Saison das Kreuzband gerissen. Weil der Spanier fit wurde, führte der BVB in der Verletzten-Statistik knapp 5:4.

Tuchel dachte sich wohl: Wenn Schalke es für eine gute Idee hält, jemanden im Revierderby debütieren zu lassen, dann stell ich ihm mal eine Aufgabe. Er beorderte dann den sehr fitten, sehr schnellen und sehr jungen Dembélé auf Cokes Seite und schickte ihn in ein paar Sprintduelle mit dem Rekonvaleszenten. Die ersten Bundesliga-Minuten müssen sich für den Spanier angefühlt haben wie im Schleudergang einer Waschmachine.

Bei Schalke wiederum macht Leon Goretzka seit Wochen das Spiel, er wurde vom BVB früh attackiert und in den ersten zehn Minuten gleich zweimal gefoult. Er revanchierte sich mit einer technisch perfekten Grätsche gegen Julian Weigl. Auf der rechten Seite lieferten sich die beiden Lehrlinge Felix Passlack, 18, und Kehrer ansehnliche und sehr faire Duelle.

Schalke-Legende Klaus Fichtel hatte vor dem Spiel noch gesagt: "In der heutigen Zeit, glaube ich, haben viele junge Spieler keinen Zugriff mehr auf den Begriff Revierderby", er meinte damit die persönliche Rivalität. Das stimmte, die neue Generation interpretierte das Spiel zumindest zu Beginn auffallend anders.

Die Weigls, Goretzkas und Passlacks versuchten ihre Energie in den Fußball zu stecken und weniger in Grätschen, Bodycheks oder in die immer mal wieder gepflegte Revierderby-Tradition des Stirn-an-Stirn-Stehens. Diese Gemengelage ergab ein gediegenes Fußballspiel, allerdings ohne klare Torchancen. Ralf Fährmann kam in der 22. Mintue rechtzeitig aus dem Tor und verhinderte so, dass Dembélé einschießen konnte, vier Minuten später zirkelte Daniel Caligiuri einen Freistoß am langen Pfosten vorbei, auch Dembélé kam mal wieder zum Schuss. Alles nicht hochgefährlich.

Es folgte eine kuriose Szene: Dortmund bekam einen Freistoß, ungefähr 30 Meter vor dem Tor. Fünf BVB-Spieler stellten sich im Halbkreis um den Ball auf und diskutierten gut 20 bis 25 Sekunden über die korrekte Ausführung. Das Ergebnis? Aubameyang schoss flach in die Zwei-Mann-Mauer.

Es passierte dann bis auf einen abgefälschten Schuss von Aubameyang zur Halbzeit nicht mehr viel. Dortmund drückte, Schalke stand zuweilen mit einer Sechs-Mann-Kette am eigenen Sechzehner. Der BVB stand ja durchaus unter Druck, weil die TSG Hoffenheim sich weigerte, auch bei der sehr heimstarken Hertha Punkte zu lassen und in der Tabelle an Dortmund vorbeizog. Michael Zorc wies vor dem Spiel am Sky-Mikrofon dann auch nochmal auf das Mindest-Saisonziel "Dritter Platz" hin.

Am Ende bleibt dem BVB ein Punkt, was zunächst einmal Platz vier bedeutet. Und Schiedsrichter Zwayer und Maskottchen "Erwin" - wird es einen Bericht geben? "In dem Moment unter Anspannung fand ich es nicht so lustig. Morgen wird es dann vielleicht schon amüsanter", meinte Zwayer später. Na dann.

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