WM in London:Bei der Darts-WM trifft Spießigkeit auf Ballermann

World Darts Final London

Die Zuschauer fordern den perfekten Wurf, Titelverteidiger Anderson zeigt ihn im Halbfinale.

(Foto: Sean Dempsey/dpa)
  • Bei der Darts-WM wollen sie sich vom Fußball abgrenzen. Klappt aber nicht, weil vieles an Ballermann erinnert.
  • Im Endspiel kommt es nun zum Duell zwischen Titelverteidiger Gary Anderson und Adrian Lewis.

Von Sven Haist, London

Ein kleiner Vermerk auf den Eintrittskarten macht deutlich, dass bei den Weltmeisterschaften im Darts jegliche Schnittmengen mit dem Massenphänomen Fußball unerwünscht sind. In kleiner Schrift verbietet die Professional Darts Corporation den Besuchern das Tragen von Fußballtrikots. Diese Kleideretikette ist allerdings die einzige Einschränkung an den Eingängen ins Alexandra Palace, weshalb es sich einige Gruppen an deutschen Schlachtenbummlern nicht nehmen lassen, in einem Sprechgesang darauf hinzuweisen, dass die Niederlande im Sommer nicht an der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich teilnehmen werden.

Diese Art von Atmosphäre konterkariert selbstverständlich die Intention des Darts-Verbands, die ihr Produkt, das Werfen von Pfeilen auf eine Zielscheibe, als Gegenpol zum Fußball aufbauen möchte.

Das fängt schon beim Versammlungsort an, der nicht etwa auf einen Sponsorennamen hört, sondern schlicht heißt: The People's Palace". In diesem Palast auf einer Anhöhe im Norden Londons ist der Kunde König. Während der William Hill Championships verwandeln etwa 3000 feierwütige Menschen täglich das von außen fürstlich anmutende Gebäude in die größte Diskothek Londons. Das Bauwerk sollte ursprünglich das Zentrum eines Freizeit-und Erholungsparks darstellen. Mittlerweile zieht der Ally Pally besonders das deutsche Partyvolk an, weil es sich innendrin ähnlich frei inszenieren darf wie im Sommer auf der Ferieninsel Mallorca. Hier ist erlaubt, was in herkömmlichen Sportstätten verboten ist.

Schon im Halbfinale verewigte sich Titelverteidiger Gary Anderson im Geschichtsbuch seines Sports. Ihm gelang das erst neunte perfekte Spiel bei einer Weltmeisterschaft, das bislang einzige bei diesem Turnier. Triple-20 - Triple-20 - Triple-20 - Triple-20 - Triple-20 - Triple-20 - Triple-20 - Triple-19 - Doppel-12, neun Würfe reichten, um 501 Punkte zu erzielen. Anderson sicherte sich mit dieser Neun-Darts-Vorführung ein Bonuspreisgeld und erschreckte frühzeitig den niederländischen Emporkömmling Jelle Klaasen auf dem Weg zum 6:0. "Das abgelaufene Spieljahr war brillant", sagte Anderson: "Falls ich gewinne, bin ich für drei Wochen weg."

Im Finale am Sonntag (20 Uhr, Sport 1) um die William Hill Trophäe kommt es zu einer Neuauflage des Endspiels von 2011 zwischen dem Schotten Anderson und dem Engländer Adrian Lewis. Damals ergatterte Lewis durch ein 7:5 seinen ersten Weltmeistertitel.

Unter den Augen des englischen Popsternchens Niall Horan von der Jungenband One Direction kannte der zweimalige Titelträger Lewis bis zum 5:0 gegen Raymond van Barneveld auch nur eine Richtung. Dann mischten sich die Zuschauer mit "Barney Army" Rufen in die Begegnung ein. "Ich dachte eigentlich, ein Comeback ist nicht denkbar", sagte Lewis. Jede hohe Punktzahl von van Barneveld sei dann ein Schlag in die Rippen gewesen.

"Steht auf, wenn ihr Darts liebt"

Das Achtelfinal-Aus des Altmeisters Phil Taylor verlagerte alle Sympathien zu van Barneveld, dem sich sogar einmal die Gelegenheit bot, auf 4:5 zu verkürzen. Der Antrieb des Weltmeisters von 2007 bestand darin, sein kürzlich geborenes Enkelkind im Siegerpokal zu sehen. Gerade diese Offenheit und der Verzicht auf die branchenüblichen Floskeln stößt auf Gefallen in der Öffentlichkeit; ebenso wie die erdende Tatsache, dass die zu Millionären gewordenen Spitzenspieler im Verlauf einer Partie handelsübliches Eiswasser trinken.

Der Großteil der Gäste interessiert sich dennoch mehr für große Punktausbeuten als für die Protagonisten. Die geworfene Höchstzahl von 180 animiert dazu, eigenhändig beschriftete Papierschilder, die der Veranstalter neben Schaumstoffhänden auf den spärlichen Holztischen verteilt, in die Kameras zu halten. Einer der Beteiligten fordert, dass der ehemalige Fußballtorhüter Tim Wiese Darts spielen sollte. Auf einem der Ehrentische kippen versehentlich die Gläser um. Nicht weit entfernt davon liegt ein Plakat mit einer Botschaft ans Fußvolk. "Wir sind deutlich reicher als ihr." Die Eintrittspreise liegen in dieser Kategorie bei 150 Pfund.

Der Konter von den provisorisch aufgebauten Tribünen zielt auf Spießigkeit ab. Wer sich dort einen Sitz auf den eng aneinander gereihten grünen Plastikschalen gebucht hat, zahlt bloß 40 Pfund. Dafür kleben dort die Schuhe auf dem mit Bier durchtränkten Boden fest.

Das gegenseitige Necken gehört zum Standardrepertoire

Das gegenseitige Necken der verschiedenen Publikumsschichten gehört zum Standardrepertoire der Darts-Gemeinde wie das Trinken von Alkohol und die karnevalsartige Kostümierung. Dieses Gefühl der Schwerelosigkeit suchen die Menschen beim Fußball vergeblich. In der anonymen Hülle eines Pinguins fällt es eben leichter, jegliches Schamgefühl zu unterdrücken. Als die Sicherheitskräfte zu Beginn eines Spiels die Menge zum Hinsetzen auffordert, grölt diese zurück: "Steht auf, wenn ihr Darts liebt!" Auffallen tut, wer nicht auffällt.

Genauso verrückt wie das Innenleben erscheint der Ally Pally selbst. Auf der einen Hallenseite erinnern Palmen an karibisches Strandflair. Im Kontrast dazu ziert den tristen Eingangsbereich eine Verkaufsmesse. Der Hingucker ist ein Wettbüro, bei dem täglich ungefähr 10 000 Pfund gesetzt werden. Statt Darts-Scheiben bietet ein anderer Stand die Perücke des Irokesen-Haarschnitts von Peter Wright an. Die Shirts der Profis gibt es im Übrigen zu Fußballtrikot-Preisen zu erwerben.

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