Utz Claassen im spanischen Fußball:Auswärtsspiel in Palma de Mallorca

Utz Claassen im spanischen Fußball: "Wenn nur zwei Prozent der Mallorca-Urlauber kommen, ist das Stadion regelmäßig voll", sagt Utz Claassen optimistisch über die Zukunft seines Clubs.

"Wenn nur zwei Prozent der Mallorca-Urlauber kommen, ist das Stadion regelmäßig voll", sagt Utz Claassen optimistisch über die Zukunft seines Clubs.

(Foto: PR)
  • Utz Claassen ist ein schillernder Manager und großer Fußballfan. Als erster Deutscher hat er sich einen Profiklub gekauft: Real Mallorca.
  • Aus dem spanischen Zweitligisten will er einen Topklub machen. Und eine Touristenattraktion.

Von Uwe Ritzer

Es war ein turbulenter Flug, einige Spieler mussten sich sogar übergeben, so sehr schüttelte ein Sturm die Maschine durch. Der Landeanflug missglückte; erst beim zweiten Versuch und nur mit viel Mühe brachte der Pilot die Maschine heil auf dem Flughafen von Palma de Mallorca runter. "Ich hatte keine Angst, aber ich habe mich schon unwohl gefühlt", sagt Utz Claassen, 51, als er, wieder entspannt, am Gepäckband vorbei Richtung Ausgang schlendert. Er hat schon Schlimmeres erlebt, 1997. Da geriet ein Flieger mit ihm an Bord über Asien in eine tropische Gewitterzelle. "Das war richtig heftig", sagt er. "Man hatte das Gefühl, die Maschine bricht jeden Moment auseinander."

Er ist Turbulenzen gewöhnt. Utz Claassen ist einer der schillerndsten deutschen Topmanager. An ihm scheiden sich die Geister, das war schon immer so. Vom Überflieger-Abiturienten mit Ultra-Bestnote 0,7 und McKinsey-Berater stieg er zum Vorstandschef des Energiekonzerns EnBW auf; dazwischen lagen Führungsjobs bei Ford und Volkswagen, der spanischen VW-Marke Seat und beim Labortechnikspezialisten Sartorius. Claassen ist ein streitbarer Mann mit großem Ego, dessen Bilanzen oft besser sind als seine Presse. Häufig eckte er an, mit seinen Entscheidungen oder aber mit seiner Art.

Nach EnBW kam 2010 der Job, der ihm zunächst ein böses Raffzahn-Image einbrachte: Neun Millionen Euro für 74 Tage als Vorstandschef von Solar Millennium. Dann aber stellte sich heraus, dass die Firma eine Skandal-Klitsche war und Claassen ziemlich gute Gründe für einen schnellen Rückzug hatte. Danach schrieb er Bücher und widmete sich weniger öffentlichkeitswirksamen Geschäften. Neuerdings jedoch mischt Utz Claassen ausgerechnet und an vorderster Front in der turbulentesten, emotionalsten und öffentlichsten Branche mit, die es gibt: dem Profifußball.

Seit Jahresanfang gehört ihm einer der traditionsreichsten Fußballklubs Spaniens, der 99 Jahre alte Real Club Deportivo (RCD) Mallorca. Nach vier Jahren als Minderheitsaktionär übernahm er knapp 75, und seine Frau Annette weitere 20 Prozent des RCD. Spanische Medien spekulierten, sie hätten sieben bis zehn Millionen Euro bezahlt. Es dürfte etwas mehr gewesen sein. Claassen selbst nennt keine Zahlen.

"Wo, wenn nicht hier" hätten sie in Fußball investieren sollen, fragt er stattdessen. "Mallorca ist in Europa, was Las Vegas in den USA ist: Zwar keine Spielhölle, aber der Tourismus-Hotspot schlechthin", sagt Claassen. Direktflüge in Dutzende europäische Städte, 13 Millionen Touristen jährlich, 60 000 ausländische Bewohner. Auch die Claassens haben auf der Insel ein Haus. Vor allem die fußballverrückten Deutschen und Briten lieben Mallorca. Das berge enormes wirtschaftliches Potenzial. "Alles auf dieser Insel ist sehr professionell entwickelt", sagt Utz Claassen. "Nur der Fußball nicht."

Der Geschäftsmann aus Hannover ist der erste Deutsche, dem ein Fußball-Profiklub gehört. Wenn auch einer, dessen beste Zeiten etwas zurückliegen.

Vor zwei Jahren stieg Real Mallorca in die zweite Liga ab. Aktuell dümpelt das Team im hinteren Mittelfeld und schwebt in Abstiegsgefahr. Die Gegner heißen nicht mehr Real Madrid, FC Barcelona oder CF Valencia, sondern SD Ponferradina, CD Lugo und CE Sabadell, wo es vor dem turbulenten Flug ein mühsames 1:1 gab.

Seit ihm der RCD gehört, ist Claassen bei fast jedem Spiel dabei. "Wenn man ein Projekt dieser Dimension und Intensität angeht, muss man sich in den ersten Monaten auch ganz stark darauf konzentrieren", sagt er. Also pendelt er pausenlos zwischen Deutschland und Mallorca; auch als EnBW-Chef sei er nicht häufiger geflogen, erzählt er. Sein Masterplan ist ambitioniert, gelinde gesagt: Aus dem Zweitligisten soll eine Top-Adresse im Weltfußball werden.

Real Mallorca könnte für die Claassens ein ebenso teures wie bitteres Abenteuer werden. Oder das Geschäft ihres Lebens.

Nadals Onkel soll die Rot-Schwarzen wieder erstklassig machen

Utz Claassen führt in den Trophäensaal des Klubs in den Katakomben des Stadions am Rande von Palma. Am Revers seines Nadelstreifen-Zweireihers trägt Claassen die Vereinsnadel, sein Manschettenknopf sieht aus wie ein Fußball. Mit den Bediensteten des Vereins spricht er fließend spanisch. Er sagt "wir", wenn er aus der Geschichte des Vereins erzählt.

Utz Claassen und der Fußball. 1997 war er 74 Tage Präsident von Hannover 96, wo er mit harten Reformen Teile des Vereins und der Fans gegen sich aufbrachte. Nach Morddrohungen gegen seine Familie trat er zurück. Als EnBW-Chef stand er vor Gericht, weil er auf Firmenticket Politiker zu Spielen der WM 2006 eingeladen hatte. Die Anklage witterte Bestechung, doch bis hin zum Bundesgerichtshof endete das Verfahren mit einem glatten Freispruch.

Utz Claassen kann mit Begeisterung und kenntnisreich über Fußball philosophieren. Bei Real Mallorca gibt er jedoch keineswegs den Fußball-Enthusiasten im Hintergrund. Stiller Eigentümer zu sein, widerspräche eklatant seinem Naturell. Schließlich geht es um viel Geld, sein Geld. Also hat er alle Macht in sich vereint: Er ist Präsident sowie nach deutschen Maßstäben Vorstands- und Aufsichtsratschef. Nach Niederlagen diskutiert er schon mal bis tief in die Nacht mit dem Trainer über die Gründe, auch wenn er sagt: "In sportliche Belange mische ich mich nicht ein."

Cristiano Doni, Victor Casadesus

Cristiano Doni (li.) und Victor Casadesus von Real Mallorca freuen sich 2006 über ein Tor - damals hieß der Gegner noch Valencia.

(Foto: Bernat Armangue/AP)

Die Pokale in den Vitrinen, die Wimpel und Erinnerungsfotos, haben schon Patina angesetzt. Sie künden von einer Zeit, als Real Mallorca eine gute Adresse im europäischen Fußball war. 1999: Endspiel im damaligen Europapokal der Pokalsieger, nur knapp mit 1:2 gegen Lazio Rom verloren. 2002: Champions-League, nach einem 2:0-Sieg bei Schalke 04 setzte es im Rückspiel eine 0:4-Niederlage. Aber immerhin war man noch dabei, in der Königsklasse. "Da wurden wir spanischer Pokalsieger", sagt Claassen und zeigt auf ein zwölf Jahre altes Foto, auf dem einer der größten Spieler Spaniens in der Neuzeit den Cup hochstemmt: Miguel Angel Nadal.

"Der Beckenbauer Mallorcas", wie Claassen schwärmt, prägte mit Kollegen wie Pep Guardiola, Romário, Laudrup und Stoichkov die Ära des Trainers Johan Cruyff beim FC Barcelona, die 1992 im Gewinn des Europapokals der Landesmeister gipfelte, der heutigen Champions League. Claassen hat Nadal in Barcelona oft im Stadion spielen sehen; in seiner Seat-Zeit war er Stammgast im Camp Nou.

Die letzten Profijahre kickte Nadal bei seinem Heimatklub in Palma. Seit ein paar Monaten ist er dort Sportdirektor und damit Claassens wichtigster Mitarbeiter auf diesem Gebiet. Der Onkel des Tennisstars Rafael Nadal soll die Rot-Schwarzen möglichst schnell wieder erstklassigen Fußball spielen lassen. Das könnte dauern, auch wenn Claassen verlangt: "Nächstes Jahr wird der Klub hundert Jahre alt, da müssen wir aufsteigen."

Das Trainingsgelände liegt außerhalb von Palma, grob auf halber Strecke zwischen Küste und Gebirge. Es gehört dem Klub, de facto also dem Ehepaar Claassen. Fast alle spanischen Profivereine sind im Besitz von Investoren, nur wenige gehören (wie Real Madrid und der FC Barcelona) noch sich selbst. In anderen Ländern ist das genauso. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren ist der internationale Spitzenfußball zum Spiel- und Spekulationsobjekt von arabischen Scheichs, reichen Amerikanern, Investmentleuten und Oligarchen geworden. Sie pumpen sehr viel Geld in ihre Teams und erwarten Siege und Rendite. Und in Deutschland?

Gonzalo Higuain, Joao Victor, Victor Casadesus

Bevor sie vor zwei Jahren abstiegen, war Real Mallorca eine gute Adresse im europäischen Fußball - hier in einem Liga-Duell gegen Real Madrid, 2012.

(Foto: Manu Mielniezuk/AP)

Hier verlangt die "50+1"-Regel, dass ein Verein die Mehrheit an seinem Profiteam hält und nicht ein Investor. Trotzdem: Den VfL Wolfsburg gäbe es in dieser Form nicht ohne Volkswagen, die SpVgg Hoffenheim nicht ohne Dietmar Hopp. Zweitligist RB Leipzig ist eine kaum getarnte Marketingabteilung des Getränkekonzerns Red Bull und selbst der vom Absturz in die dritte Liga bedrohte Chaosklub 1860 München überlebt nur dank der Millionen des Jordaniers Hasan Ismaik. Dennoch wäre ein Utz Claassen wie beim RCD Mallorca hierzulande nicht möglich. Noch nicht.

Es überrascht nicht, dass er dafür wenig Verständnis hat. "Menschen gehen mit eigenen Geld sorgsamer um als mit fremdem", sagt er, und außerdem: "Würde ein Hans-Joachim Watzke schlechter wirtschaften, wenn Borussia Dortmund einen Eigentümer hätte?" Wohl aber seien Vereine in Not geraten, wo unberechenbare Mitgliederversammlungen entschieden.

Utz Claassen sitzt im Besprechungsraum im Haupthaus des Trainingsgeländes, ein kahler Raum im ersten Stock, einfach möbliert. Durch die Fensterfront fällt der Blick auf gepflegte Rasenplätze, einer davon mit einer Steintribüne. Es ist später Nachmittag und auf mehreren Feldern trainieren Jugendspieler. Ein paar Eltern schauen zu. "Aus der Anlage muss man mehr machen", sinniert Utz Claassen.

Modernisieren will er sie und an Bundesligisten für Winter-Trainingslager vermieten. Komfortabler für die Spieler will er das Gelände machen und attraktiver für die Fans, damit sie länger bleiben (und Geld ausgeben können). Demnächst eröffnet ein Café mit Blick auf den Hauptplatz. Fans und Spieler sollen sich hier treffen, der neue Chef will "mehr Miteinander". Auch ein Fanshop ist geplant. Bisher kann man an fast jeder Ecke der Insel Trikots selbst von Klubs wie Celtic Glasgow kaufen, und seien es gefälschte. Nur nach denen des einheimischen RCD sucht man oft vergeblich.

Im Besprechungsraum hängt eine Taktiktafel an der Wand mit Fotos aller aktuellen Spieler Reals. Claassen kennt jeden einzelnen, lebendig beschreibt er Stärken und Schwächen, weiß, ob einer Links- oder Rechtsfuß, defensiv oder offensiv stärker ist. Ein Drittel der Kicker stammt von der Insel. "Ich will die mallorquinische Identität des Klubs mit Internationalisierung und Globalisierung verbinden", sagt Claassen. Bevor er aber ins Detail geht, will er erst einmal erzählen, wie alles begann.

"Der Club glich einem Irrenhaus. Jetzt ist Ruhe eingekehrt."

Wie ihm vor vier Jahren eine zehnprozentige Beteiligung angeboten wurde. Wie er einen miserabel geführten, insolventen Klub vorfand, einen Intrigantenstadel, in dem viele ihre eigenen Süppchen kochten. Wie er seine Anteile trotzdem aufstockte, weil er an den Klub glaubt. 126 Schritte zählt seine Road-Map für den Weg aus dem sportlichen Abseits an die internationale Spitze. Lange läuft er damit ins Leere.

Dann gewinnt er den Machtkampf.

Der Verwaltungsrat kürt ihn in Dezember 2014 zum Präsidenten und kurz darauf gehören Utz und Annette Claassen besagte 95 Prozent. Den kleinen Rest hält ein früherer RCD-Präsident. "Nach dem jahrelangen Albtraum stand ich vor der Frage, entweder alles an die Wand laufen zu lassen, oder es selbst zu machen", sagt Claassen.

Utz Claassen im spanischen Fußball: Von "Herz aus Gold" zu "systematischer Marodierungskampagne" - die ehemaligen Freunde Carsten Maschmeyer (links) und Utz Claassen.

Von "Herz aus Gold" zu "systematischer Marodierungskampagne" - die ehemaligen Freunde Carsten Maschmeyer (links) und Utz Claassen.

(Foto: Rust/imago)

Also macht er. In Spitzenzeiten betrugen die Schulden 95 Millionen Euro. Inzwischen seien es noch 30 Millionen, heißt es. In Spanien nichts besonderes. Der Ligaverband LFP beziffert die Schulden der Erst- und Zweitligisten auf 2,76 Milliarden Euro. Allein auf den FC Barcelona und Real Madrid entfällt davon ein Drittel. Die Vereine überleben nur, weil der Staat, Haushaltskrise hin oder her, ihnen gegenüber sehr großzügig ist. Und 500 Millionen Euro Steuerschulden nicht eintreibt.

Utz Claassen krempelt Real Mallorca Schritt für Schritt um. Er hat gerade am Rathausplatz von Palma einen Fanshop eröffnet und im Stadion einen Kids-Klub, damit Eltern beruhigt Fußball schauen können. Vier neue Spieler wurden verpflichtet. Den Verwaltungsrat haben die Claassens mit Rechts-, Finanz-, Kommunikations- und Tourismusexperten besetzt, drei Deutschen und drei Spaniern, die alle fließend Spanisch, Deutsch und Englisch sprechen. Obwohl Claassen ihn in einer seiner ersten Handlungen entlassen hat, kam Trainer Waleri Karpin zu einem positiven Bild der neuen Bosse. "Der Klub glich vor Weihnachten einem Irrenhaus", sagte er. "Jetzt ist Ruhe eingekehrt, die Leute, die das Sagen haben, bringen Normalität zurück."

Fans und Umfeld fremdelten lange mit den Deutschen. Noch im November wurde Annette Claassen im Stadion ausgepfiffen, als sie in der Präsidentenloge Platz nahm. Es gab "Claassen raus"-Rufe. Allmählich scheint im Anhang die Hoffnung auf bessere Zeiten zu wachsen. Man nähert sich an. Auf der Straße, im Café, begegnen die Fans dem neuen Präsidenten mit höflichem Respekt. Jüngst haben die "Alfonsinos", die einflussreichen Nachfahren der Vereinsgründer von anno 1916, Claassen zu ihrem jährlichen Gottesdienst eingeladen. Und ihm ausdrücklich für seine Arbeit gedankt.

Nun plant Utz Claassen Großes. Das Stadion mit seinen 24 000 Plätzen möchte er zur Multifunktionsarena umbauen. Die Fans sollen dort länger verweilen, nicht nur zum Spiel. Momentan sind die Ränge kaum überdacht, eine Laufbahn sorgt für Distanz zwischen Spielern und Fans und drückt die Stimmung. Damit es möglichst oft voll wird, setzt Claassen auf einen Dreiklang. Erstens: Urlauber sollen, etwa über Kooperationen mit Touristikketten, zu den Heimspielen gelockt werden.

"Wenn nur zwei Prozent der Mallorca-Urlauber kommen, ist das Stadion regelmäßig voll", sagt er. Das wiederum soll, zweitens und drittens, internationale Medien und Sponsoren anlocken. 2013 scheiterte Claassen noch mit der Idee, Lothar Matthäus als Trainer zu verpflichten und damit Aufmerksamkeit für den Balearen-Klub zu schaffen. Nun will er "im Sommer auf jeden Fall einen deutschen und einen britischen Spieler verpflichten".

Seine Pläne stehen und fallen damit, ob Real Mallorca sportlich zurück in die spanische und europäische Fußballelite findet. Eine Garantie dafür gibt es nicht, und das macht Claassens Investment riskant. Auch wenn sein Optimismus unerschütterlich zu sein scheint. "Wenn wir eines Tages gegen Bayern in der Champions League antreten, müsste ich aufhören, denn das wäre der Höhepunkt", sagt er. Dann würde sein Investment auch hohe Rendite abwerfen. Die Anteile, welche die Claassens an einem Zweitligisten gekauft haben, wären ein Vielfaches wert.

Gerade erst zahlte ein gewisser Peter Lim aus Singapur für 70 Prozent Anteil am Erstligisten FC Valencia 100 Millionen Euro und sagte ihm weitere 300 Millionen zu. Utz Claassen ist überzeugt: "Die Marke Real Mallorca ist viel mehr wert als Valencia."

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