René Weiler beim RSC Anderlecht:Aus der Werbeagentur in die Champions League

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In Nürnberg galt der aktuelle Anderlecht-Trainer René Weiler manchen als Egoist. Doch er selbst sagt, er sei vor allem ein "Teamplayer".

(Foto: Vincent Van Doornick/imago)
  • Der ehemalige Nürnberg-Trainer René Weiler gastiert in der Champions League mit dem belgischen Meister RSC Anderlecht beim FC Bayern.
  • Dem Schweizer wird oft vorgeworfen, dass er egoistisch handle. Er selbst sieht sich als "Teamplayer".
  • "Ich habe keine Träume oder Wünsche, aber selbstverständlich ist und bleibt die Bundesliga reizvoll", meint Weiler.

Von Sven Haist, Brüssel

Das Szeneviertel Châtelain in der Innenstadt Brüssels, bekannt für seine Architektur, meint es nicht gut mit den Autofahrern. Bei den vielen schmalen und verwinkelten Straßen verfährt man sich leicht. In jeder Seitengasse stehen parkende Fahrzeuge am Rand, und an den meisten Einmündungen lauern Ampeln, die erst auf den zweiten Blick erkennbar sind.

Auf der Suche nach einem Parkplatz könnte natürlich das Navigationssystem helfen, allerdings hat René Weiler, Trainer des Brüsseler Vorstadtklubs RSC Anderlecht, sein System ausgeschaltet. Statt den Routenansagen zuzuhören, spricht Weiler lieber über die Eigenheiten der Menschen in Belgiens Hauptstadt sowie die Spannungen im Land zwischen den Flamen (im Norden) und Wallonen (im Süden). Zwischendurch wechselt Weiler, seit etwas mehr als einem Jahr in Anderlecht tätig, ins Schweizerdeutsch für ein Telefonat mit seinem Assistenten, der aus der Schweiz kommt, so wie er selbst. Dieses Gespräch hätte auch später stattfinden können, etwas entspannter, vielleicht auf dem Fußweg ins Café. Aber Weiler macht Dinge gern gleichzeitig.

Teamplayer statt Egoist

"Ein Trainer ist ein Jongleur, der ständig mehrere Bälle im Spiel halten muss", sagt Weiler, "wendet sich eine Gruppe im Verein vom Trainer ab, etwa der Vorstand, die Spieler, ein Sponsor oder die Fans, bin ich mir nicht sicher, ob die anderen Bälle ausreichen, um weiterarbeiten zu dürfen. Mittlerweile werden die Trainer ja sogar entlassen, wenn die Resultate stimmen."

Weiler, 43, muss ein guter Jongleur sein. Bei seinen Stationen in der Schweiz und in Deutschland (FC Schaffhausen, FC Aarau, 1. FC Nürnberg) ist ihm nie gekündigt worden; die vereinbarte Vertragslaufzeit hat er jedoch auch nie erfüllt, stets ging er von selbst. Daraus entstand der Vorwurf, dass er egoistisch handele, aber das, sagt Weiler, entspreche gar nicht seinem Charakter. Grundsätzlich schreibt er seine Nachrichten in Kleinbuchstaben, auf seinem Berufsprofil LinkedIn schreibt er jedoch ein Wort ausschließlich in Großbuchstaben: TEAMPLAYER.

Nach dem knapp verpassten Aufstieg mit Nürnberg in die Bundesliga wechselte Weiler im Juni 2016 für ungefähr eine Million Euro zum Royal Sporting Club Anderlecht. "Ich hatte das Gefühl, dass es ganz schwierig wird, den dritten Platz zu bestätigen. Nürnberg ist ein toller Verein, aber auch ein schwieriger. Ich habe dort einige Streifschüsse abbekommen, weil ich involviert war in viele Grabenkämpfe."

Die Faszination des Fußballgeschäfts

Das Gespür, zu wissen, wann es bei einem Verein genug ist, hat René Weiler innerhalb von acht Jahren aus der zweiten Liga in der Schweiz zur Meisterschaft in Belgien geführt - und damit in die Gruppenphase der Champions League. "Ich habe mir nie ein Ziel gesetzt, sondern mich immer ein Stück weit leiten lassen. Ich sage nicht: endlich! Jetzt höre ich diese Hymne, jetzt bin ich bei einem großen Spiel dabei."

Am Dienstagabend trifft Anderlecht nun in München auf den FC Bayern. "Das müssen wir ein bisschen genießen, aber der Genuss ist nur solange vorhanden, wie wir dagegen halten können. Für uns geht es in erster Linie darum, überhaupt zu bestehen", sagt Weiler: "Alles andere wäre illusorisch." Nach einem schwierigen Saisonstart, bedingt durch den Abgang des besten Spielers Youri Tielemans (für 25 Millionen Euro zur AS Monaco) und der geringen Torausbeute des besten Angreifers Lukasz Teodorczyk, liegt der Titelträger momentan nur auf Rang zehn in der belgischen Liga. "Wir sind in einer Findungsphase, aber ich habe keine Zweifel, dass wir uns erneut ganz weit nach vorne arbeiten werden."

Weilers Antrieb ist die Faszination des Fußballgeschäfts, mit mehreren Bällen jonglieren zu müssen sozusagen, ohne dass einer auf den Boden fallen darf. "Wenn ich einen Spieler aus dem Aufgebot nehme, muss ich mir überlegen: Sage ich es ihm unter vier Augen oder vor der Mannschaft? Hart oder dezent? Lang oder kurz? Laut oder leise? Als Erklärung oder Feststellung?" In solchen Details kann sich Weiler minutenlang verlieren.

"Selbstverständlich bleibt die Bundesliga reizvoll"

Nach dem verletzungsbedingten Karriereende arbeitete er zunächst in einer Werbeagentur, danach schloss er zwei Studiengänge ab, darunter den Master in den Fächern Kommunikation, Management und Menschenführung. Auf Französisch bestellt Weiler einen Latte Macchiato und ein Stück Zitronenkuchen, später noch einen Eistee. Zum Gespräch bringt Weiler einen Zettel mit, auf dem sein Werdegang als Trainer und ein paar Notizen stehen. "Irgendwann habe ich entschieden, dass ich mich in der Öffentlichkeit eher nüchtern äußere und meine Emotionen nur vor der Mannschaft zeige", sagt Weiler.

Zu seinen prägenden Eigenschaften gehört, dass er sich weder vor unangenehmen Entscheidungen drückt noch sich allzu leicht in die Irre führen lässt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit musste der Kader Anderlechts überholt werden, hinter dem sonstigen Seriensieger lagen drei Spielzeiten ohne Meisterschaft. Eine Konstellation, die Weiler reizte - weil sie ihm eben die Möglichkeit bot, etwas zu bewegen.

Was Weiler dann bewegte, war, dass der Klub international auf Anhieb das Viertelfinale der Europa League erreichte (zuletzt 1990/91) und national an die Spitze zurückkehrte. "Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn es am Ende schief gegangen wäre. Der Titel war eine Erleichterung, Genugtuung und Bestätigung, dass wir vieles richtig gemacht haben in einer Saison, in der uns viel abverlangt wurde", sagt Weiler.

Die Champions League bietet dem Trainer die Chance, sich auf höchstem Niveau zu beweisen. Sobald die Entwicklung des RSC aber nicht mehr mit seinen Ansprüchen übereinstimmen sollte, dürfte Weiler wieder weiterziehen. "Momentan gefällt es mir sehr gut hier. Ich habe keine Träume oder Wünsche, aber selbstverständlich ist und bleibt die Bundesliga reizvoll", sagt er: "Ich kann mir nur nicht vorstellen, in zehn Jahren noch Trainer zu sein." Wundern würde einen das nicht, wenn René Weiler einfach irgendwann aufhört.

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