Remis zwischen England und Frankreich:Alte Herren auf der Trabrennbahn

Es sollte eines der großen Duelle dieser EM werden, doch am Ende bleibt nur Langeweile: England und Frankreich überbieten sich beim 1:1 an Harmlosigkeit und liefern das bisher schwächste Spiel des Turniers. Besonders die favorisierten Franzosen enttäuschen einmal mehr - lediglich mit einer Geste sorgt Mittelfeldspieler Nasri für Aufregung.

Jonas Beckenkamp

Es reichte ein Blick in die Gesichter, um dieses Resultat richtig einzuordnen. 90 Minuten lang waren Franzosen und Engländer beim 1:1 (1:1) in Donezk über den Platz geschlichen - um dann auch nach Abpfiff behäbig vom Platz zu trotten. Während Franck Ribéry und seine Kollegen aussahen, als hätten sie auf eine Zitrone gebissen, huschte den Männern von der Insel sogar das ein oder andere Lächeln über die Lippen.

Euro 2012: Frankreich - England

Frankreich enttäuschte gegen England - das 1:1 offenbarte deutliche Schwächen bei Ribéry & Co. 

(Foto: dapd)

Dabei hatte diese Partie eigentlich für beide wenig Erfreuliches geboten: Fußball ohne Tempo, viele sinnlose Zweikämpfe, kaum echter Elan zur Offensive - kurzum: Tristesse Royale.

Aber so einig sich beide Teams in ihrer Harmlosigkeit auch waren, mit der Bewertung des Ergebnisses fingen die Unterschiede an. "Es war frustrierend. Es hat sich angefühlt, als wären sie mit 15 Mann auf dem Platz. Sie haben gespielt wie Chelsea gegen Barcelona", sagte Frankreichs Außenverteidiger Patrice Evra über die Briten.

Deren Passivität dürfte außenstehende Betrachter nicht sonderlich verwundert haben: England ist bei diesem Turnier bei weitem kein Favorit. Dafür fehlt der Elf des gerade installierten Trainers Roy Hodgson nach den vielen Ausfällen (Lampard, Cahill, Barry) schlicht die Qualität und der Mut für mehr.

"Wir wären über einen Sieg froh gewesen, aber das Unentschieden passt uns gut. Wir müssen sehen, dass wir nach dem nächsten Spiel vier Punkte haben", erklärte Englands Kapitän Steven Gerrard - was unterstrich, wie er die Kräfteverteilung in Gruppe D sieht: Ein Remis gegen die von vielen als Geheimtipp eingestuften Franzosen ist für die Three Lions ein brauchbarer Auftakt, um letztlich mit Punkten gegen die schwächeren Schweden und Ukrainer Platz zwei zu schaffen.

So weit ist es also gekommen: Die Engländer freuen sich über ein Spiel, in dem sie so wenig wie noch kein Team dieser EM aufs Tor schossen. "Yippeee! Ein Unentschieden", titelte The Sun, "Job erledigt", wertete der Daily Star den "lebensnotwendigen Punkt" gegen die seit nun 22 Spielen ungeschlagenen Franzosen. Überaus positive Stimmen also. "Kein Grund zur Panik, über vieles kann England nach diesem Spiel zufrieden sein," folgerte entsprechend das Blatt Daily Mail.

Bleibt die Frage, worüber genau? Gewiss, Joleon Lescotts Kopfballtreffer zum 1:0 in der 30. Minute war ein kleines Ausrufezeichen, doch irgendwie agierte die Mannschaft zu keinem Zeitpunkt so, als glaube sie wirklich an den Sieg. Hinten wirkte Torhüter Joe Hart in bester englischer Torwartmanier wackelig, im Mittelfeld fiel Gerrard und Youngster Alex Oxlade-Chamberlain so gut wie gar nichts ein und in der Offensive taumelte der junge Ashley Young wie ein um zehn Klassen wirkungsloserer Mario Gomez übers Feld.

"Ich muss mit dem Ergebnis zufrieden sein. Die Franzosen sind eine gute Mannschaft. Wir haben sie in Schach gehalten und es gab nicht viele Situationen, in denen ich in Sorge geraten wäre", sagte Trainer Hodgson - und irgendwie hatte er damit recht, denn die eigentliche Enttäuschung waren nicht die ersatzgeschwächten Engländer, sondern die so talentierte Equipe Tricolore.

Blutleere Franzosen

Am Spiel der Grande Nation wirkte rein gar nichts großartig: Mit bemerkenswerter Trägheit mühten sich die hochgelobten Ribérys, Nasris und Benzemas auf dem Rasen, wobei sie oftmals sogar bei Rückpässen nur den Gegner trafen. Besonders auffällig trat bei den Franzosen ein Problem zu Tage, das bei dem verfügbaren Spielermaterial eigentlich kaum vorstellbar ist: Die Mannschaft ließ jegliches Tempo vermissen.

Flinke Dribbler wie Ribéry sowie seine Mittelfeldkollegen Samir Nasri und Florent Malouda verwechselten diese wichtige Auftaktbegegnung offenbar mit einem lockeren Trabrennen - kaum vorstellbar, was passiert wäre, hätte Nasri nicht wenigstens mit einem harten Flachschuss das 1:1 (39.) erzielt. Vielleicht eine Steigerung der kleinen Affäre, die sich schon während des Spiels andeutete: Als Reaktion auf seinen Ausgleich nach Pass von Ribéry forderte Nasri französische Journalisten mit dem Zeigefinger über den Lippen wütend zum Schweigen auf.

"Wird es 2012 eine Affäre Nasri geben?", fragte die Zeitung France Soir. "Das ist etwas zwischen ihm und seinen Kritikern, es ist etwas Persönliches", erläuterte Nationaltrainer Laurent Blanc. Als Nasri im Anschluss an die Dopingprobe kurz vor Mitternacht noch nach Ribéry aus den Katakomben kam, bereute er seinen Ausbruch bereits.

"Wir haben zu ängstlich gespielt", haderte indessen Blanc. "Paradoxerweise haben wir ein Gegentor gebraucht, um initiativ zu werden. Ein Auftaktspiel ist schwierig. Ich kann damit leben. Am Ende haben beide Mannschaften gesehen, dass ein Remis okay ist." Diese Erkenntnis überraschte dann doch ein bisschen angesichts der blutleeren Darbietung seines Kollektivs. Von Initiative im Angriff schienen die Franzosen vor allem in der zweiten Hälfte so weit entfernt wie ein bretonischer Austernsammler vom Straßburger Münster.

"Erstarrt vor der großen Herausforderung", wusste die Sport-Gazette L'Equipe tags darauf zu berichten, was eine weitaus treffendere Beschreibung dieses bleiernen Start-Rendezvous der französischen Elf war. Am Ende bleibt für Les Bleus nur eine sanfte Hoffnung: Bis zum zweiten EM-Auftritt gegen die Ukraine am Freitag können die Franzosen an ihrer mauen Offensive feilen. Außerdem scheint der zuletzt angeschlagene Mittelfeldspieler Yann M'Vila wieder einsatzbereit.

Er habe noch ein paar kleinere Probleme an seinem verstauchten rechten Sprunggelenk, sagte der Mann von Stade Rennes. Nachdem er den Auftakt der EM nur auf der Bank verfolgt hatte, werde er "bereit" sein für das Duell mit dem Ko-Gastgeber. "Vor allem, da wir wieder drei Tage gewinnen", meinte M'Vila. Frankreich hofft also auf einen 21-Jährigen, damit alles besser wird. Die Kraft der Jugend werden sie gebrauchen können nach diesem Altherren-Schwank.

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