Reiten:Markt und Medaillen

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Nationenpreissieger: Maurice Tebbel feiert auf Chacco's Son. (Foto: Martin Meissner/AP)

Im deutschen Springreiten kollidieren romantische Reiterträume mit Unternehmer-Interessen.

Von Gabriele Pochhammer, Aachen

Als Maurice Tebbel, 23, nach Durchreiten der Ziellinie die Arme hochriss und vom Jubel der 40 000 Zuschauer aus der Arena getragen wurde, da hat womöglich für den deutschen Springsport eine neue Zeitrechnung begonnen. Es war mehr als nur ein Sieg für die deutsche Mannschaft im Aachener Nationenpreis, errungen mit dem Idealergebnis von null Fehlern vor der Schweiz und den USA (beide acht), der 28. Sieg in der Geschichte des Turniers, der zweite für Bundestrainer Otto Becker in Folge. Er wurde errungen ohne Ludger Beerbaum, der jahrzehntelang tonangebend in der deutschen Mannschaft war. Beerbaum, 53, hatte nach den Olympischen Spielen 2016 seinen Rückzug aus der Nationalteam erklärt.

Der Neustart wurde Bundestrainer Otto Becker also von den Umständen diktiert. "Keines der Paare, die im letzten Jahr in Rio Bronze gewonnen hatten, steht uns noch zur Verfügung", sagt er. Daniel Deußer sieht sich nach dem Kolik-Tod von First Class ohne einsatzbereites Spitzenpferd, Fibonacci von Meredith Michaels-Beerbaum wurde an eine US-Reiterin verkauft und der 17-jährige Taloubet von Christian Ahlmann soll schon bald pensioniert werden.

Nur ein Paar war schon am Aachener Nationenpreissieg 2016 beteiligt: Marcus Ehning auf Pret a Tout. Der Routinier wurde am späten Freitagabend als erster Teamreiter ins Rennen geschickt, seine Entscheidungen, wie die einzelnen Sprünge anzureiten sind, konnte den anderen wertvolle Hinweise geben. Der Europameister von 2005, Marco Kutscher auf Clenur, ließ die deutschen Fans mit zwölf beziehungsweise vier Fehlern noch einmal zittern. Es waren die Jungen, die die Eisen aus dem Feuer holten: Maurice Tebbel auf Chacco's Son und der 32-jährige Philipp Weishaupt auf Convall, mit zusammen vier Nullrunden. Weishaupt kam gerade von einer fünfwöchigen Turnier-Tour aus Calgary zurück, wo er sich zwischen den Starts auch noch am Blinddarm hatte operieren lassen müssen. Am Sonntag versucht er im Großen Preis von Aachen, seinen Überraschungssieg von 2016 zu wiederholen.

Maurice Tebbel hat seine Feuertaufe bestanden. Der Sohn des mehrmaligen deutschen Championatsreiters Rene Tebbel hat alles von der Pike auf gelernt, was mit Pferden zu tun hat. Zur Begabung kam die professionelle Förderung. Äußerlich wirkte er kühl, aber am Ende, nach dem Triumph, fehlten dem hochgewachsenen jungen Mann doch die Worte: "Das ein einfach unbeschreiblich, das muss ich erst mal alles realisieren", sagte er. Wie Ehning und Weishaupt hat er sich nun einen vorderen Platz auf der Longlist für die Europameisterschaft in Göteborg Ende August gesichert. "Endgültig werden wir erst kurz vor der EM nominieren", sagt Becker. In Schweden wird Tebbel möglicherweise gegen seine Vater antreten. Rene Tebbel startet seit vielen Jahren für die Ukraine, weil er im deutschen Team keine Perspektive für sich sah. Zugleich ist er Eigentümer von Chacco's Son, des energischen und sprunggewaltigen zehnjährigen Hengstes, den sein Sohn reiten wird.

Der kennt sein Pferd, seit es als Fohlen auf den elterlichen Hof in Emsbüren kam. Er hat Chacco's Son durch Nachwuchsprüfungen pilotiert, gemeinsam sind sie nun in der Weltspitze angekommen. Heute ist das Pferd Millionen wert. Wenn man wie Familie Tebbel vom Pferdeverkauf und von der Hengststation lebt, steht ein möglicher Verkauf bei so einem Preis immer im Raum. Siebenstellige Angebote auszuschlagen, "das ist schon ein Risiko", sagt Maurice. "ich bin meinem Vater sehr dankbar, dass er das Pferd für mich behält".

Es sei schon schwer genug, ein gutes Pferd zu finden, sagt Otto Becker, "aber noch schwerer ist es, es auch zu behalten". Daran sind schon vielversprechende Karrieren gescheitert. Ein solches Szenario droht Laura Klaphake, ebenfalls 23 Jahre alt und in Aachen als Reservistin im Team. Sie nutzte ihre Chance, sich mit Nullfehler-Ritten in den anderen großen Prüfungen für den Großen Preis von Aachen am Sonntag zu qualifizieren. Ihre hochtalentierten Pferde Catch me if you can und Silverstone, beide erst neun Jahre alt, gehören Luxus-Pferdehändler Paul Schockemöhle. Er hat Lauras Vater, seinem langjährigen Manager und Verkaufsleiter Josef Klaphake, versprochen, sie nicht zu verkaufen, jedenfalls jetzt nicht. Aber die Einser-Abiturientin weiß auch, dass in der Welt des Profisports für romantische Träume wenig Platz ist.

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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