Reifenproblematik in der Formel 1:Geheimnis der neuen Gummis

Australia Formula One Grand Prix

Die Reifen könnten diese Formel-1-Saison nachhaltig prägen. 

(Foto: dpa)

Der Start in die Formel-1-WM 2013 war abwechslungsreich und deutete bereits eine Debatte an, die die Saison bestimmen wird: Die richtigen Reifen werden über den Sieg mitentscheiden. Um die neuen Pneus zu verstehen, arbeiten Techniker auf Hochtouren.

Von René Hofmann, Melbourne

Am Ende war die Erklärung kurz. Sebastian Vettel hatte beim Großen Preis von Australien am Freitag das Training dominiert. Auch in der Qualifikation war dem Titelverteidiger die mit Abstand schnellste Zeit geglückt. Am Sonntagabend aber, als der Sieger gekürt wurde, stand S. VETTEL in der Ergebnisliste nur an der dritten Stelle. Hinter K. RÄIKKÖNEN/Lotus und hinter F. ALONSO/Ferrari. Wie er das jetzt seinen Vorgesetzten und den Fans erkläre, wurde Red-Bull-Teamchef Christian Horner gefragt. Kurz und knapp: "Reifen!"

Der Start in die Formel-1-Saison 2013 war abwechslungsreich. Sieben Fahrer führten das Rennen an. Sebastian Vettel war vom Start bis zur Runde sechs voraus. Dann übernahm Felipe Massa. Auch nur kurz. Wie sein Ferrari-Kollege Fernando Alonso blieb er nur gut fünf Kilometer vorne. Lewis Hamilton hielt sich länger, von Umlauf neun bis zwölf.

Auch dessen Mercedes-Kollege Nico Rosberg durfte kurz glänzen, bevor überraschend Adrian Sutil sieben Mal als Erster an Start und Ziel vorbeikam. Erst als knapp die Hälfte der 58 Runden absolviert waren, zeigte sich, dass auch im schwarz lackierten Lotus ein Siegkandidat saß: Kimi Räikkönen.

Letztlich kam der Finne zu seinem 20. Triumph, weil er nur zweimal neue Reifen aufziehen lassen musste. Die Favoriten stoppten dreimal. Räikkönen glückte mit 1:29,274 Minuten auch die schnellste Rennrunde - kurz vor Schluss, als seine Pneus bereits 116 Kilometer hinter sich hatten. "Davon, so weit zu fahren, konnten wir nicht einmal träumen", gab Red-Bull-Chef Horner zu. Vettels schnellste Rennrunde war mehr als 1,1 Sekunden langsamer. Die Zeit glückte ihm auf Reifen, die lediglich 26 Kilometer absolviert hatten.

Informationen wie diese werden die Ingenieure in allen Teams in den nächsten Tagen zusammentragen. Sie sind die Teile für ein riesiges Puzzle, das am Ende ein Bild ergibt, das eine Frage beantworten soll: Wie verhält sich welcher Reifen wann? "Alles wird man dabei wohl nie verstehen", sagt Mercedes-Sportchef Christian "Toto" Wolff, "es geht darum, so viel wie möglich zu verstehen." Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali glaubt: "Das Reifen-Management wird in diesem Jahr entscheidend sein."

Im vergangenen Jahr war es ähnlich. Damals brachten die ersten sieben Rennen sieben verschiedene Sieger hervor. Erst im Mai hatten die Spitzenteams dann die Reifen-Charakteristika verstanden und konnten ihre Vorteile ausspielen. Fortan gab es weniger Abwechslung.

Was halten die neuen Reifen aus?

Um diese zurückzugewinnen, hat Reifenlieferant Pirelli im Winter die Mischungen modifiziert. Sebastian Vettels erfahrener Teamkollege Mark Webber, 36, ist der Meinung, die Italiener seien dabei übers Ziel hinausgeschossen. "Es gibt Phasen, in denen die Reifen nicht in der Lage sind, die Rundenzeiten auszuhalten, die Formel-1- Autos zustande bringen können", sagt der Australier. Pirelli-Sportchef Paul Hembery verteidigt sich: "Wir haben bewusst eine mutige Entscheidung getroffen, um die Action anzuheizen. Wir finden, das hat sehr gut funktioniert."

Zu jedem Rennen serviert die Firma zwei unterschiedliche Reifenmischungen. Bleibt es trocken, muss jeder Fahrer jede Mischung im Rennen mindestens einmal aufziehen lassen. Im Wettkampf gibt es dann viele Faktoren, die beeinflussen, wie lange ein Pilot gute Rundenzeiten fahren kann. Vorrangig kommt es auf die Temperatur an, die in den Reifen herrscht. Es gibt ein sogenanntes Fenster: Befinden sich die Temperaturen innerhalb von diesem, kleben die Pneus auf dem Asphalt.

Die weichere Mischung klebt meist besser, hält aber nicht so lange wie die härtere. In Melbourne gab es allerdings etliche Ausnahmen zu bestaunen: Adrian Sutil im Force India kam gegen Ende des Rennens wider Erwarten nur noch langsam voran, als er auf die weiche Reifenmischung wechseln musste. Am Mercedes von Lewis Hamilton hielt die weiche Mischung vom Start weg wider Erwarten 13 Runden lang, während die härtere nach ein paar Umläufen schon "über die Klippe sprang", wie es Sportchef Wolff beschrieb.

Diese Muster zu erkennen, ist wichtig - und das nicht nur bei den eigenen Autos: In jedem Team werden vor jedem Rennen Simulationen angestellt, welche Strategie die beste ist. Zu ahnen, wie welcher Rivale auf welchen Reifen vorankommt, ist wichtig, damit die Hochrechnung am Ende aufgeht.

Weil sich die neuen Reifen bei den Wintertests als extrem kälteempfindlich erwiesen, brachten die zwölf Probetage in Spanien nur wenige Daten, auf die wirklich Verlass war. Die Mercedes-Fahrer Nico Rosberg und Lewis Hamilton beispielsweise hatten nur je eine Rennsimulation absolviert. In Melbourne kletterte das Thermometer am Sonntag - anders als erwartet - nie über 20 Grad. Auch das brachte einige Kalkulationen durcheinander.

"Wir haben heute wahnsinnig viel gelernt", sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Am kommenden Sonntag soll das frisch erworbene Wissen umgesetzt werden. Dann steht das nächste Rennen an. "Hoffentlich", sagt Horner, "wird es dort nicht wieder so frostig." Die Chancen stehen gut. Der Grand Prix steigt in Kuala Lumpur in Malaysia. Unter Palmen.

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