Regionalliga:Breaking: 1860 ist Tabellenführer

FC Memmingen - TSV 1860 München

1860-Spieler Nico Karger (2.v.r.) bejubelt sein Tor zum 2:0 mit Sascha Mölders (3.v.r.).

(Foto: dpa)
  • Der TSV 1860 München gewinnt zum Regionalligaauftakt 4:1 in Memmingen.
  • Das Team von Daniel Bierofka macht den Eindruck, als würde es die Regionalliga Bayern dominieren können.
  • Die Fans feiern den Sieg mit viel Selbstironie.

Von Lisa Sonnabend, Memmingen

In der Halbzeitpause ging es um Dixi-Klos. Manfred Schilder, Oberbürgermeister von Memmingen, trat ans Mikrofon und ließ sich zu einem Versprechen hinreißen: Schon bald sollen im Stadion sanitäre Anlagen gebaut werden. Während er sprach, wurde die Schlange vor den zwei Dixi-Klos an der Stirnseite der Arena immer länger. Diejenigen, die die Geduld verloren, pieselten einfach gegen den Absperrzaun. Willkommen in der Regionalliga Bayern.

Am Donnerstagabend bestritt der TSV 1860 München, der aus der zweiten Liga abgestiegen und nach Lizenz-Entzug bis in die vierte Liga abgestürzt ist, die Auftaktpartie. Vieles ist für den Klub plötzlich anders, nicht nur die Themen in der Halbzeitpause. Die Gegner heißen nun nicht mehr St. Pauli, Braunschweig oder zumindest Sandhausen, sondern Pipinsried, Buchbach oder eben Memmingen. Statt 60 000 Zuschauer wie beim Relegationsspiel in der Fröttmaninger Arena schauten im Stadion im Allgäu lediglich 5000 Fans zu, denn mehr gehen nicht rein. Und plötzlich kassierte der TSV 1860 nicht die nächste bittere Pleite, sondern feierte einen unbeschwerten Sieg.

"Mit diesen Jungs ist vieles möglich"

Der TSV 1860 München gewann die Partie 4:1 (1:0) - und war spielerisch derart überlegen, dass die Prognose gar nicht so abwegig klingt: Der Verein wird die Regionalliga Bayern schon bald dominieren wie der FC Bayern die Bundesliga.

Die Treffer der Münchner waren alle sehenswert, die Spieler technisch versierter und robuster als ihre Gegner. Auch das Gefüge in der Mannschaft scheint im Gegensatz zur Vorsaison nun zu stimmen: In Sascha Mölders, Jan Mauersberger und Timo Gebhardt standen Fußballer mit Erfahrung in der Startelf, aber auch zahlreiche Talente wie Felix Weber, Christian Koppel oder Daniel Wein. Die Spieler motivierten sich gegenseitig, feuerten sich an und bejubelten die Treffer lange.

"Das ist eine Qualität, die hat in der Regionalliga nichts verloren", meinte Memmingen-Trainer Stefan Anderl nach der Partie anerkennend. Der 32-jährige Stürmer Mölders lobte seine Teamkollegen: "Mit diesen Jungs ist vieles möglich." Nur 1860-Coach Daniel Bierofka klang zurückhaltend, während er nach Spielende mitten auf dem Stadionrasen stand und die Fragen der Reporter beantwortete: "Wir müssen auf dem Teppich bleiben", befand er. "Es gibt noch einige Sachen zu verbessern." 35 schwere Spiele würden nun vor seinem Team liegen. Immerhin gab Bierofka zu: "Die Leidenschaft war überragend." Eine Eigenschaft, die der Mannschaft in der verkorksten Saison zuvor abhandengekommen war.

Die Fans besingen den "Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey"

Auf dem Spielfeld verbreiteten die Münchner also ziemlich Schrecken, abseits des Platzes dagegen glücklicherweise nicht. Es war viel diskutiert worden in den vergangenen Wochen: Was passiert, wenn ein Traditionsverein mit einer derart großen Anhängerschaft plötzlich in einer unterklassigen Liga aufprallt? Würden die 1860-Fans ganze Städte und Dörfer auseinandernehmen?

In Memmingen drehte ein Polizei-Hubschrauber seine Runden am Himmel, eine Reiterstaffel patrouillierte, doch die Männer in Uniform hatten kaum mehr zu tun, als den Männern in Trikot den Weg zum Stadion zu zeigen. Nicht einmal das Bier ging aus. Die Kneipen in der Altstadt blieben leer, vor den Tankstellen standen nur vereinzelt blaue Anhänger. Sogar in der Stadionwirtschaft waren eine Stunde vor Anpfiff noch zahlreiche Plätze unbesetzt. Ein Besäufnis grölender Horden fiel auch hier aus, es ging gemütlich und ruhig zu wie auf einem Dorffest, bei dem die Blaskapelle gerade eine Pause macht. In der Nacht teilte die Polizei Schwaben dann mit, der Einsatz sei störungsfrei verlaufen. Nur eines hatte sie zu beanstanden: "eine von einem Gäste-Fan verursachte Schmiererei in der Toilette des Bahnhofs".

Im Stadion, in dem die 1860-Fans deutlich in der Überzahl waren, blieb die Stimmung ausgelassen und fröhlich, was freilich auch am Spielverlauf lag. Die Anhänger besangen ihren Verein: "Ich fahr mit dir wohin du willst, bis ans Ende dieser Welt." Bei jedem Treffer hüpften sie höher, nach dem 90-minütigen Tribünen-Workout konnten sie sich einen Besuch im Fitnessstudio getrost sparen.

Kurz vor Spielschluss skandierten die Anhänger dann: "Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey." Es klang viel Selbstironie mit, schließlich sind alle anderen Mannschaften noch gar nicht in die Liga gestartet. Doch nach Schlusspfiff zeigte es dann auch die Regionalliga-Rangliste offiziell an: 1860 ist Tabellenführer. Eigentlich eine unglaubliche Meldung.

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