Reals mächtiger Trainer:Es ist das Madrid des José Mourinho

Real verpflichtete José Mourinho aus der sportlichen Not heraus. Um die jüngste Vorherrschaft des FC Barcelona zu brechen, erhielt der Portugiese nahezu uneingeschränkte Macht. Er ist der erste Trainer in der Geschichte des Vereins, der über einer mit Stars gespickten Mannschaft steht - und hat den spanischen Fußball in eine Reality-Show verwandelt.

Santiago Segurola

Im Fußball gibt es zwei Arten von Mannschaften. Es gibt die Teams, die sich über ihre Spieler definieren. Und es gibt die Mannschaften der Trainer. Die Geschichte von Real Madrid ist geprägt von den Spuren seiner Spielerstars.

Die Fans verehrten nie Trainer wie Luis Carniglia in den fünfziger Jahren oder José Villalonga, nicht Leo Beenhakker, Jupp Heynckes oder Vicente del Bosque, obwohl sie anerkannt waren und zahlreiche Titel gewannen. Man spricht nicht vom Madrid des Miguel Muñoz, der 15 Jahre lang die Mannschaft trainierte und in den sechziger Jahren zweimal den Europapokal der Landesmeister eroberte. Auch von Fabio Capello spricht man nicht, dem Mann des Erfolges und der Macht - bis zu seinem Scheitern als englischer Nationaltrainer in Südafrika 2010. Einen Tag nachdem Capello 2007 die Meisterschaft gewonnen und die zweijährige Vorherrschaft des FC Barcelona beendet hatte, wurde er entlassen.

Die Glanzzeiten von Real Madrid werden vielmehr mit den Namen großer Spieler verbunden: Da gab es einmal das Madrid des Alfredo Di Stéfano, dann 1964 bis 1966 das "Madrid yé-yé", ein Team nur aus spanischen Spielern. Die "Quinta del Buitre", um Emilio Butragueño prägte den Fußball der achtziger Jahre, die "Galaktischen" um Zinédine Zidane dominierten Europa um die Jahrtausendwende. In keinem anderen Club waren die Trainer so sehr gefordert - und so wenig anerkannt.

Deshalb ist José Mourinho, der gegenwärtige Real-Trainer aus Portugal, etwas Neues für den Club, ein Bruch mit der Geschichte.

Schreibt man heute über Real Madrid, schreibt man über Mourinho. Es spielt keine Rolle, dass die Mannschaft über eine einmalige Auswahl von Stars verfügt mit Cristiano Ronaldo und Iker Casillas, Karim Benzema, Mesut Özil, Sergio Ramos, Xabi Alonso - in der selbst Spieler wie der ehemalige Weltfußballer Kaká nur schmückendes Beiwerk sind. Zu anderen Zeiten wäre diese Mannschaft das Madrid von Cristiano Ronaldo, des einzigen Spielers, der mehr oder weniger dem weltbesten Spieler Lionel Messi vom FC Barcelona Paroli bieten kann. Aber nein: Es ist das Madrid des José Mourinho.

Drei Besonderheiten prägen Mourinho: seine Erfolge, sein unersättlicher Machthunger und sein zügelloses Ego. Das führte ihn unweigerlich nach Madrid. Die Zeit war reif dafür: Barcelona hatte sechs Titel gewonnen und Real zu Hause im Bernabéu-Stadion mit 2:6 geschlagen; der Frust in Madrid war so groß, dass Florentino Pérez, einer der mächtigsten Männer Spaniens, als Präsident zurückkehrte. Er verpflichtete Ronaldo, Kaká, Benzema, Xabi Alonso - und Manuel Pellegrini, einen fachlich guten, aber wenig profilierten Trainer. Präsident Pérez mochte keine Trainer, Pellegrini war keine Ausnahme. Vom ersten Tag an förderte der Club eine regelrechte Treibjagd auf den chilenischen Trainer.

Doch nichts quält einen Impresario wie Pérez mehr als die Erfolglosigkeit. In seiner ersten Amtszeit von 2003 bis 2006 hatte Real keinen einzigen Titel gewonnen. Und auch in der Saison 2009/2010 blieb der Erfolg aus. Pérez' Kredit war nahezu verbraucht. Innerhalb des Clubs erhoben sich Stimmen, die forderten, Mourinho zu verpflichten, der damals Inter Mailand trainierte. Dessen Sieg über den FC Barcelona im Halbfinale der Champions League 2010 bedeutete quasi seine sofortige Verpflichtung in Madrid.

Der Verein nahm einen Prestigeverlust hin

Die Not in Madrid führte dazu, dass Mourinho die Fülle der Macht zugestanden wurde, ohne die Möglichkeit von Kritik und Kontrolle. Es war die Kapitulation des Florentino Pérez. In seinem Bauunternehmen ACS mag er mehr als 150.000 Mitarbeiter bestimmen - bei Real heißt der faktische Präsident Mourinho. Mit Hilfe einer Truppe von Unterstützern und ihm ergebenen Personal eliminierte er alle Anzeichen der Opposition, jegliche Kontrolle seiner Amtsführung. So vertrieb er Jorge Valdano, den Generaldirektor von Real und engsten Vertrauten von Florentino Pérez. Dies bedeutete den Aufstieg zum absoluten Herrscher des Clubs. Der Präsident akzeptierte Mourinhos Bedingungen nach der Drohung "entweder Valdano oder ich" - und entfernte seinen alten Freund.

Vom ersten Moment an war Mourinho das Gravitationszentrum des Madridismo - ein Mensch, begabt mit allem, was einen erfolgreichen Populisten ausmacht: mit Demagogie, Egozentrik und der Bereitschaft zu führen, mit Unempfindlichkeit gegenüber Niederlagen und der Unverfrorenheit, sich in der Opferrolle zu sehen. Er hat die Codes eines Clubs zerstört, der viel auf seine Ritterlichkeit gegeben hat - ein alter spanischer Ausdruck, der mit Würde verbunden ist. Es war ein Bruch, inszeniert von einem Trainer, der perfekt in die heutige Zeit passt, der die Konfrontation, die Banalisierung und die Produktion von Nachrichten beherrscht - egal, ob sie kohärent, inkohärent oder widersprüchlich sind.

Mourinho hat den spanischen Fußball in eine Realityshow verwandelt - auf dieser Bühne bewegt er sich wie kein anderer. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat er angegriffen, auch physisch: seine Trainerkollegen, die Schiedsrichter, die Verbandsvertreter, den europäischen Fußballverband und immer Barcelona samt Trainer Josep Guardiola.

Ein erfahrener Trainer hat mir neulich gesagt: "Das Schlimme ist: Mourinho kitzelt das Schlechteste aus uns heraus." Real hat nie versucht, diese Eskalation zu hemmen, der Verein hat lieber den Prestigeverlust hingenommen, den sein Trainer da verursacht hat. Im Gegenteil: Präsident Pérez hat Mourinho zum Träger der Werte des Clubs erklärt. Die Not im Club kann noch so groß sein, die Forderungen des Trainers gehen vor. Selbst als es Anlass zur Kritik gab, vor allem nach einigen Entscheidungen des Trainers in verschiedenen Spielen, verhinderte Mourinho jede Selbstkritik; ihm gelang es, sich als Märtyrer in einer Welt der Intrigen und Verschwörungen darzustellen.

Als Inhaber der absoluten Macht hat er Vereinspräsident Pérez zum simplen Sprachrohr degradiert. Mit eiserner Hand führt er ein Team von Stars. An Konflikten fehlt es auch da nicht - vor allem nicht an Streitigkeiten mit Torwart Iker Casillas. Trotzdem ist Mourinho in Madrid unantastbar. Im Augenblick erscheint es wichtiger, die Vorherrschaft von Barcelona zu brechen, erst recht jetzt, nach dem Sieg von Madrid in der spanischen Liga. Nein, das ist nicht das Madrid des Cristiano Ronaldo, Özil und Benzema. Es ist nicht das Madrid das Florentino Pérez, so gerne er das so sähe. Es ist das Madrid des José Mourinho und seiner unglaublichen Macht.

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