Real Madrid:War Odegaards Verpflichtung eine PR-Aktion?

Real Madrid training

Für die ganz Großen reicht es nicht: Der 17-jährige Norweger Martin Odegaard (hinten links) beim Training von Real Madrid.

(Foto: Paco Campos/dpa)

Das behauptet zumindest der jetzige Bayern-Trainer Carlo Ancelotti. Und tatsächlich gab es rund um den Wechsel des Hochbegabten zu Real Madrid viele Zufälle.

Von Javier Cáceres

Die Zukunft hat es immer schon gegeben, und sie hat oft einen Besitzer gehabt. Doch nur selten war sich die Welt des europäischen Fußballs so einig, dass sie einem Jungen aus dem norwegischen Drammen gehören würde: Martin Odegaard.

Anderthalb Jahre ist es her, dass sich die größten Vereine des Kontinents um die Gunst eines damals kaum 16-jährigen Jünglings bemühten. Manchester United, Manchester City, Bayern München, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen und der FC Barcelona waren darunter, im Januar 2015 machte Real Madrid mit einer Ablöse von geschätzt 2,8 Millionen Euro das Rennen. Doch das Fußball-Märchen, das disneyworld-kompatibel vom Aufstieg eines begnadeten Talents im makellos weißen Gewand des spanischen Rekordmeisters künden sollte, ist noch immer nicht auserzählt. Wenn an diesem Sonntag Norwegen die deutsche Nationalmannschaft empfängt (im SZ-Liveticker ab 20.30 Uhr), wird Odegaard, mittlerweile 17, nicht mal auf der Bank sitzen. Sondern auf einen Einsatz beim 1:0 von Norwegens U 21-Team in Bosnien zurückblicken.

"Das ist normal. Er spielt nicht in der ersten Mannschaft, da kann er auch nicht für die Nationalelf berücksichtigt werden", sagt Rune Bratseth, einst bei Werder Bremen Abwehrchef und nun Vorstandsmitglied von Rosenborg Trondheim, einem der größten Vereine Norwegens. Auch er nimmt Anteil an der Entwicklung eines noch immer nicht zum Mann gereiften Teenagers, der dazu berufen war, norwegische Legenden wie Roald "Kniksen" Jensen oder Tom Lund vergessen zu machen. Doch in Madrid ist er dem Ruf des verzaubernden Fußballers noch nicht gerecht geworden.

Ein großes Wettbieten setzt ein

Odegaard wurde kurz vor Weihnachten 1998 geboren, als zweites Kind von Hans Erik Odegaard, 42, der in den Neunzigerjahren in der ersten norwegischen Liga gespielt hatte. Das Niveau seines Sohnes erreichte er nie. Kein Wunder: Es war früh von derart absurder Exzellenz, dass dieser mit den größten zeitgenössischen Künstlern verglichen wurde. So sehr er nicht der Erste war, der medial als "neuer Messi" gepusht werden sollte, so hob er sich insofern von allen anderen Frühreifen ab, als er unter realen Wettkampfbedingungen erprobt worden war, ehe ein hanebüchen anmutendes Wettbieten um ihn einsetzte.

Die Koordinaten seines bisherigen Schaffens zeugen davon: Mit 13 Jahren trainierte er sporadisch beim Erstligaverein seiner Geburtsstadt, Stromsgodset IF, in der Profimannschaft, im Trainingslager in La Manga/Spanien spielte er in einem Test gegen den ungarischen Erstligisten Videoton mit und "diktierte das Tempo des Spiels", wie sich sein damaliger Trainer Stian Lund erinnert, Stromsgodset siegte mit 3:2. Am 13. April 2014 wurde er, mit 15 Jahren und 117 Tagen, erstmals in der "Tippeliga" eingesetzt, der höchsten norwegischen Klasse. "Natürlich haben wir uns gefragt, ob das alles zu früh war. Aber er hatte das Niveau, wie sollte man ihn bremsen? Er war den anderen technisch, taktisch und an Übersicht voraus", sagt Lund. Und so brach Odegaard weitere Rekorde.

Sein Debüt in der A-Nationalelf feierte er am 27. August 2014 gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, nie war ein norwegischer Internationaler jünger. Wenige Wochen darauf, am 13. Oktober, wurde er im EM-Qualifikationsspiel gegen Bulgarien eingewechselt - als jüngster Spieler, der je in einem Pflichtspiel einer europäischen A-Nationalelf eingesetzt wurde. Die Scouts der renommiertesten Vereine des Kontinents hatten ihn da längst auf dem Radar, luden ihn zu Probetrainingseinheiten ein. In den Vorstandsetagen der Klubs sah man in ihm nicht nur einen grandiosen Kicker, sondern auch einen potenziellen Werbeträger, der aussieht wie eine Gottheit aus der nordischen Mythologie, der smart und charmant wirkt und "zu mehr taugt als bloß zum Fußballer", wie der frühere Nationalspieler Jan Ivar Jacobsen in einer Doku des norwegischen Senders TV 2 sagen sollte.

Zidane opfert Odegaard für seine Zwecke

Am Ende blieben nur zwei Klubs übrig: der FC Bayern und Real Madrid. "Bei mir wirst du spielen", versprach ihm Bayerns damaliger Trainer Josep Guardiola. Doch für Real Madrid wurde die Verpflichtung Odegaards eine Prestigeangelegenheit, und so konnte sein Vater Bedingungen diktieren, die über Guardiolas Zusicherung hinausgingen. Allein, sie entwickelten sich zu einem Gestrüpp aus Privilegien, in dem sich Odegaard zu verheddern droht.

Auf mehr als zwei Millionen Euro jährlich beläuft sich angeblich Odegaards Bruttogehalt, es sprengt das Gefüge von Reals zweiter Mannschaft. Dort spielt er jedes Wochenende, obwohl er die ganze Woche über mit der ersten Mannschaft mittrainieren darf. Das ist ihm vertraglich zugesichert - und potenziert die Missgunst unter den Kameraden, die auch gern mit den Großen wie Ronaldo, Bale und Kroos üben wollen würden, um an ihnen zu wachsen. Und auch im Trainerstab von Real Madrid Castilla raufen sie sich die Haare.

Hinter vorgehaltener Hand wird berichtet, dass sie durch eine Anweisung von Präsident Florentino Pérez angehalten sind, Odegaard aufzustellen, obwohl sie sich unter der Woche kein Bild von dessen Fähigkeiten und Defiziten machen können. Odegaard selbst nehme nicht jede Gelegenheit wahr, Spielpraxis zu sammeln. Die Möglichkeit, in der "Youth League" zu spielen, der Champions League für Jugendmannschaften, ließ er verstreichen. Doch der Weg in die erste Mannschaft, den er lieber bestreiten will, ist mit hohen Hürden verbaut.

Ancelotti hält Odegaards Verpflichtung für "eine PR-Aktion"

Zinedine Zidane, seit Januar Chefcoach der ersten Mannschaft, wusste schon als Trainer von Real Madrid Castilla nichts mit Odegaard anzufangen. Er sei von den Spielern der zweiten Mannschaft skeptisch beäugt worden, die Gruppe gewann er für sich, indem er Odegaard links liegen ließ. Ins diesjährige Sommertrainingslager nahm Zidane Odegaard widerwillig mit, das heißt: auf Weisung von Pérez. Und objektiv betrachtet ist in der ersten Mannschaft wenig Platz. Jenseits der Stammkräfte muss er Spieler wie Lucas Vázquez, Isco und vor allem James ausbooten, Letzterer kostete 70 Millionen Euro und gilt als nicht abgegoltene Investition. Das Resultat: Bisher hat Odegaard nur ein einziges Spiel mit der ersten Mannschaft von Real bestritten, in 45 Spielen für Real Madrid Castilla zwei Tore erzielt sowie acht Vorlagen gegeben. Wunderkind-Statistiken sehen anders aus - und das passt eher zu dem, was der heutige Bayern-Trainer Carlo Ancelotti in seinem Buch "Quiet Leadership" schreibt: Odegaards Verpflichtung, die in Ancelottis Amtszeit bei Real Madrid fiel, sei "eine PR-Aktion" gewesen.

Tatsächlich veröffentlichte die spanische Online-Zeitung El Confidencial im Januar 2015, dass Pérez zur Zeit von Odegaards Verpflichtung massive geschäftliche Interessen in Norwegen hatte. Pérez' Bauunternehmen ACS hatte sich in einem milliardenschweren Ausschreibungsverfahren für Bauten rund um einen Hochgeschwindigkeitszug in Norwegen beworben. Derartige "Zufälle" gab es auch rund um die Transfers des Kolumbianers James und des mittlerweile in Leverkusen spielenden Chicharito aus Mexiko. In beiden Ländern konnte ACS gigantische Bauverträge an Land ziehen.

Andererseits: Odegaards Talent ist nicht zu leugnen, und er ist immer noch erst 17. In den vergangenen Wochen war er medial wieder megapräsent, eine Reihe von Klubs wie der FC Liverpool, der Hamburger SV und Stade Rennes hätten ihn liebend gern ausgeliehen. Mit den Franzosen war sich Real angeblich sogar einig. Die Operation wurde aber nicht vollzogen, weil ein Leihgeschäft gegen die Verbandsregeln verstoßen hätte, Odegaard ist noch minderjährig. Der junge Norweger hat sich zu seinen Zukunftsplänen kaum je geäußert, aber dass er die Zeit gekommen sieht, sein Glück zumindest vorerst woanders zu schmieden, ließ er unter der Woche in einem Gespräch mit der norwegischen Zeitung Dagbladet anklingen. "Wir werden sehen, was sich in den nächsten Monaten tut", ansonsten "gibt es ja noch im Januar eine Transferperiode". Sein Ziel bleibe es, die Zukunft in Madrid zu erobern. Doch es klang, als habe er gelernt, dass der direkte nicht immer der kürzeste Weg ans Ziel ist.

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