Real Madrid:Krise? Bah!

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Nach dem 3:1 im Achtelfinal-Hinspiel gegen Paris Saint-Germain beruhigt das Team die Debatten um die Qualität im Kader und die Zukunft von Trainer Zinedine Zidane.

Von Javier Cáceres, Madrid

Ausgangs des Bernabéu-Stadions bekam Toni Kroos noch einen zärtlichen Klaps von Cristiano Ronaldo auf den Hinterkopf; und wenn man - neben dem "Adiós", das der Geste innewohnte - noch etwas anderes hineininterpretieren wollte, dann dies: Anerkennung. Hinter den beiden Stammspielern von Real Madrid lagen die ersten 90 Minuten des Achtelfinal- Duells gegen Paris Saint-Germain, und ihre Mannschaft hatte 3:1 gesiegt, sich mithin eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel verschafft, das am 6. März im Pariser Prinzenparkstadion stattfindet.

Krise in der heimischen Liga? Blamables Aus im spanischen Pokal? Bah! Die Champions League, das hatte der Mittwochabend im Bernabéu-Stadion aufs Neue gezeigt, ist das Terrain, auf dem sich Real Madrid wohler fühlt als jedes andere Team. Es ist das Biotop, wo der zwölfmalige Kontinental- und spanische Rekordmeister noch am ehesten zu sich selbst findet, egal, wer auf der anderen Seite des Rasens steht, ob nun ein ähnlich traditionsreicher Verein oder ein neureicher Emporkömmling wie das mit katarischen Petrodollars aufgerüstete Milliardenteam namens Paris Saint-Germain.

Überragender Spieler, überragende Geste: Reals Verteidiger Marcelo rutscht nach seinem Tor zum 3:1 seinem Trainer auf den Knien entgegen. (Foto: Francisco Seco/dpa)

"Wir mögen den Wettbewerb, diese Atmosphäre, diese Abende gegen Gegner, die alles aus uns rausholen. Das haben wir in den letzten beiden Jahren beeindruckend gezeigt", sagte Kroos, der seit 2014 in Madrid spielt und seither zwei Champions-League-Titel gewonnen hat. Jenen Titel also, den PSG so gern besitzen möchte.

Im Lichte der Anfälligkeit der Pariser Defensive wirkt das wie eine Schimäre. Und dennoch: PSG trug einiges dazu bei, dass sich im Bernabéu-Stadion ein Spiel voller Wendungen entwickelte, in dem permanent Tore zu erahnen waren, auch weil der 222-Millionen-Euro-Einkauf Neymar präsenter war als Cristiano Ronaldo - aber eben anders als der Portugiese keinen Punch entwickelte.

"Natürlich ist es bei Real Madrid so, dass du einen Titel gewinnen willst - oder sollst", sagt Kroos

"Wir haben ganz gut angefangen und eine hohe Intensität an den Tag gelegt", sagte Kroos, als er die Partie, sichtlich vergnügt, Revue passieren ließ. Er war es gewesen, der sein Team nach dem etwas überraschenden Führungstreffer von Adrien Rabiot (25. Minute) wieder zurück ins Spiel brachte, indem er kurz vor der Pause einen Elfmeter herausholte, den PSG-Coach Unai Emery als den Gipfel subtiler Hilfen des italienischen Referees Gianluca Rocchi für Real geißelte. Der defensive Mittelfeldspieler Giovani Lo Celso hatte Kroos im Strafraum zu Fall gebracht. "Für mich gibt es da keine Diskussion, ich bin in hohem Tempo in den Strafraum, er hält mich oben an der Schulter, und dann ist es halt Elfmeter", erklärte Kroos. Ronaldo verwandelte.

In der zweiten Halbzeit erlebte Kroos ein Spiel, das so offen war, dass "nicht ganz klar war, in welche Richtung es kippt. Aber wir sind drangeblieben und haben uns belohnt." Ronaldo erzielte für Real noch seinen 101. Champions-League-Treffer (82.). Reals überragender brasilianischer Außenverteidiger Marcelo, der fast nur in der gegnerischen Hälfte zu finden war, setzte den Schlussakkord (85.). "Sehr, sehr unnötig, dass wir mit zwei Toren Rückstand ins Rückspiel gehen", sagte der deutsche Nationalspieler Julian Draxler, der in der Schlussphase bei PSG eingewechselt wurde: "Wir hatten das Spiel über weite Strecken sehr gut im Griff."

Bevor Cristiano Ronaldo den Ball beim Elfmeter trifft, macht er einen Hüpfer. Die wahrscheinlichste Erklärung: Ronaldo hatte sein Standbein mit solcher Gewalt in den Boden gerammt, dass der Rasen bebte. (Foto: Cristophe Simon/AFP)

Dass es zugunsten Reals entschieden wurde, hatte auch mit den Trainern zu tun, die beide um ihren Job kämpfen. Emery, der in seinem elften Spiel im Bernabéu zum zehnten Mal verlor, verblüffte das Publikum, als er Rechtsverteidiger Thomas Meunier für Mittelstürmer Edinson Cavani einwechselte (66.) - offenkundig, um der nahezu gleichzeitig vollzogenen Einwechslung von Stürmer Gareth Bale (67., für Karim Benzema) zu begegnen, vom 4-3-3-System auf ein 4-4-2 umzuschalten und seinen eigenen Rechtsverteidiger Dani Alves zu entlasten.

Zunächst schien sich das auszuzahlen, PSG erstarkte, drängte Real Madrid zurück. Als aber Zinédine Zidane mit Lucas Vázquez und Marco Asensio, die für Casemiro und Isco kamen, alles auf eine Karte setzte (79.), wurde PSG überrollt. Asensio bereitete das 2:1 und das 3:1 über links vor, also über jene Zone, die Meunier sichern sollte. Damit beruhigte Asensio zweierlei Debatten. Die erste kreist darum, dass der Konkurrenzdruck im Kader Reals durch die Abschiede von James (FC Bayern), Pepe (Besiktas Istanbul) und Álvaro Morata (FC Chelsea) nachgelassen habe. "Es war nicht immer nur so, dass kein Druck war, die erste Elf hat nicht immer Top-Leistung gebracht", sagte Kroos. Auf der Bank säßen "richtig gute Jungs", die "Qualität und Power reingebracht haben". Die zweite Debatte kreist um Zidane, der sich wieder sicherer im Amt fühlen darf - auch wenn spannend werden dürfte, wie seine Entscheidung, den 100-Millionen-Euro-Stürmer Bale auf der Bank zu lassen, auf der Vorstandsebene bewertet wird. Bale, der das Stadion sichtlich angefressen verließ, gilt als Liebling von Klub-Boss Florentino Pérez.

Grundsätzlich, sagte Kroos, sei "klar", dass in einem Verein wie Real bei Misserfolg über den Trainer spekuliert werde. "Aber er ist jetzt zwei Jahre da und hat acht Titel geholt. Ich denke, das sagt genug. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns Zizou zu sehr erfolgreichen Zeiten führen kann."

In dieser Saison ist allerdings nur noch die Champions League im Angebot, das schwerste Turnier. "Natürlich ist es bei Real Madrid so, dass du einen Titel gewinnen willst. Oder sollst. Auch wenn es jetzt der einzige Wettbewerb ist, den wir noch gewinnen können - den Druck sehe ich nicht bei uns, wir haben ihn in den letzten zwei Jahren gewonnen. Aber weil es eben der letzte ist, werfen wir alles rein. Das hat man heute gesehen", sagte Kroos mit der gleichen Gelassenheit, mit der er quittierte, dass PSG ein mit Blick auf das Rückspiel möglicherweise wichtiges Auswärtstor in Madrid erbeutete. Man wisse, dass Paris Tore schießen kann, "egal wo", sagte Kroos. "Wir allerdings auch."

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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