Real in der Champions League:"Manche hatten versucht, mich umzubringen"

Lesezeit: 4 min

Ein stolzer Trainer Carlo Ancelotti nach dem Sieg gegen Atlético Madrid (Foto: dpa)
  • Der Sieg von Real Madrid im Champions-League-Viertelfinale über Atlético ist vor allem auch ein Sieg von Carlo Ancelotti.
  • Der Trainer bringt damit die vielen Kritiker zum Verstummen, die auch aus dem Klub kommen.
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Von Oliver Meiler, Madrid

Da waren sie wieder, für alle sichtbar, die Folgen des inneren Brodelns während des Spiels, der unterdrückten Nervosität - im rechten Mundwinkel. Wenn Carlo Ancelotti Kaugummi kaut, und er ist ja ein Kettenkauer, dann bleibt nach dem Abpfiff und nach durchgestandenem Gefühlschaos, ein weißer Rest zurück, ein Mix aus Speichel und Kauschaum.

Hätte der Trainer von Real Madrid Zeit, sich im Spiegel anzuschauen, bevor er vor die Medien tritt, dann würde er diesen weißen Fleck wohl wegwischen - so, wie die Spieler ja auch Zeit haben, sich zu duschen, zu frisieren, zu stylen und zu pudern, bevor sie mit ihren Kulturbeuteln aus französischer Fertigung durch die Mixed Zone defilieren, als wäre die der Catwalk der Pariser Modeschau.

"Carletto" aber kam unfrisiert, ohne kosmetische Eingriffe. Wahrscheinlich war ihm dieser weiße Rest ohnehin ganz egal. Wahrscheinlich ging ihm das Herz nach dem 1:0 (0:0) gewonnenen Madrider Derby so sehr über vor Freude - und auch vor Genugtuung gegenüber seinen vielen Kritikern. Das alles musste raus. Nicht trotzig, dafür fehlen Ancelotti das Temperament und die Selbstüberschätzung. Aber stolz war er schon. Wäre Real Madrid im Viertelfinale der Champions League gegen Atlético ausgeschieden, hätte sein Team auch die achte (!) Begegnung dieser Saison gegen den aufmüpfigen Stadtrivalen nicht gewinnen können. Und dann wäre der Trainer aus Italien, dieser "Gentiluomo" seiner Gilde, wohl geschasst worden wie ein Unhold. Trotz der "Décima" aus dem Vorjahr, dem historischen zehnten Real-Triumph in den Wettbewerben Landesmeister-Europapokal/Champions League.

"Manche hatten versucht, mich umzubringen. Aber ich bin und bleibe lebendig."

Alles hatte man Ancelotti vorgeworfen vor diesem Schicksalsspiel: seinen angeblich zu netten Umgang mit den Spielern, seine konservative Spielanlage, seine stets späten Auswechslungen ohne Courage. Sogar an den Verletzungen von Luka Modric, Karim Benzema und Gareth Bale soll der Coach schuld gewesen sein, weil er sie trotz Blessuren nicht hatte rotieren lassen, weil er ihre Dienste überstrapaziert habe.

Nun gehört ihm Madrid wieder, für einige Tage wenigstens. Dank eines geduldig herbeigekrampften, von Stürmer Hernandez hineingestocherten Tores in vorletzter Minute. Das war nicht schön. Doch Schicksalsspiele müssen auch nicht schön sein: "Manche hatten versucht, mich umzubringen", sagte Ancelotti überhöht, "doch ich war nicht tot, im Gegenteil: Ich war sehr lebendig. Und ich bleibe lebendig." Ein bisschen Triumph schwang eben doch mit.

Ancelotti hatte gegen das kantige Atlético Verteidiger Sergio Ramos als Mittelfeldspieler aufgestellt, wovon bis zum Spielbeginn nur die beiden wussten. Sehr gelungen war die Idee nicht. Man hätte den Trainer wohl auch dafür zerrissen, wenn Real nicht gewonnen hätte. Ramos sagte mit seiner speziellen Subtilität: "Ich mag Trainer, die auch gute Menschen sind. Vor allem aber mag ich Trainer mit Persönlichkeit und Eiern - wie Ancelotti einer ist."

Madrid ist also wieder königlich weiß, Real eben. Man muss aber dazu sagen, dass Atlético, ein Team mit mehr Herz als Fußball-Vermögen, in diesem "Euro-Derby" nur noch entfernt an sich selbst und die Version aus dem Vorjahr erinnerte. Damals wurde das Team von Diego Simeone spanischer Meister und scheiterte erst im Finale der Königsklasse an Real. Es war eine Idylle, aber eine Kraftanstrengung mit absehbarem Tribut. Trainer Simeone versuchte die Romanze noch etwas zu verlängern. Aber am Ende fehlte die Kraft für diesen totalen Blockade-Fußball, den Atlético zeigte - einen Anti-Fußball aus Mangel an technischen Fertigkeiten. Während sich 2014 noch jeder die Seele aus dem Leib rannte, die Mannschaft auch schon mal überfallartig in den Sturmmodus wechselte, um den Gegner im Konter zu überraschen, blieb man nun in dieser wichtigsten Phase der Saison tief stehen, hoffte allein auf Standardsituationen und Erlösungen ohne konstruktive Beiträge zum Spiel. So verkümmerten die Stürmer Griezmann und Mandzukic an der Mittellinie, oft gar noch weiter hinten. Und nach Gelb-Rot gegen Arda Turan (76.) fiel das 0:1.

Simeone hielt nach dem Ausscheiden dennoch eine Eloge auf den Charakter seines Teams, die ein bisschen an Ramos' anatomischen Exkurs erinnerte: "Das sind echte Männer, ich bin stolz auf sie", sagte der Argentinier. Doch es hat den Anschein, als sei der Atlético-Elan erlahmt, dieser unbedingte Drive, den der Trainer mit seinen legendären Motivationssitzungen im Kollektiv und in Einzelgesprächen bisher vor jedem Spiel anzukurbeln vermochte. Drei Jahre lang ging das so, es war eine wundersame Zeit mit vielen Titeln.

Nun kämpft "Atleti" in der Liga mit Valencia und Sevilla um Platz drei, der die Direktteilnahme an der nächsten Champions League brächte. Die ist bitter nötig, auch finanziell, da Atlético noch immer von hohen Schulden gedrückt wird. Alltag ohne Europacup, wie man ihn im Süden Madrids von früher kennt, wäre da fatal.

Madrider Alltag ist auch, dass Real die Stadt beherrscht - einst maximal, nun noch minimal. Florentino Pérez, Reals Präsident, ließ sich zunächst nicht vernehmen. Vor dem Spiel war der Eindruck entstanden, als wäre ihm ein Ausscheiden gar nicht so unlieb. Er hätte sich dann wohl legitimiert gefühlt, Ancelotti zu entlassen und dessen früheren Assistenten, Zinédine Zidane, zu befördern, der das Nachwuchsteam des Vereins betreut. Pérez mag Trainer, die ständig einen Heidenzirkus veranstalten, die sich auch mal balgen mit ihren Stars, mit den Medien, mit den Fans. Denn das ist gut für das Geschäft.

Zidane wäre eine Personalie mit Strahlkraft

José Mourinho war Pérez deshalb ein besonders lieber Trainer, obwohl der sportlich kaum Spuren hinterließ, schon gar nicht in der Trophäensammlung. "Zizou" wäre eine Personalie mit sicherer Strahlkraft, eine Legende des Sports, an dessen Aktivzeit sich die meisten Zuschauer lebhaft erinnern. Viele sähen ihm gerne dabei zu, wie er sich als Trainer Reals anstellen würde. Das wäre wohl ein Spektakel.

"Carletto" Ancelotti dagegen macht wenig Zirkus. Er bläst mal die Backen auf, zieht die linke Augenbraue hoch. Und kaut und kaut und kaut sich durch.

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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