Reaktionen auf SZ-Bericht über Doping-Studie:"Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten"

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Alle sauber? Das Anti-Doping-Labor bei den Olympischen Spielen in Vancouver

(Foto: Alex Livesey/afp)

Die Doping-Studie der Berliner Humboldt-Universität zeigt, dass in Westdeutschland flächendeckend gedopt wurde - und die Politik systematisch beteiligt war. SPD- und FDP-Politiker fordern nun Aufklärung, DOSB-Generaldirektor Michael Vesper äußert sich dagegen zurückhaltend. Die Studie soll nun doch veröffentlicht werden.

Nach den Berichten der Süddeutschen Zeitung über neue Anzeichen für organisiertes Doping und entsprechende Rückendeckung durch staatliche Stellen in Westdeutschland hat Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), zur Zurückhaltung gemahnt.

"Es waren eher Spekulationen und zusammenfassende Bewertungen in der Süddeutschen, ich denke, wir würden gerne den Bericht selber bewerten und unsere Schlüsse daraus ziehen", sagte der 61-Jährige der Nachrichtenagentur sid. Der DOSB werde sich den Abschlussbericht genau anschauen und analysieren, dies sei Teil der Null-Toleranz-Politik gegen Doping.

Die SZ hatte ihren Bericht am Samstag auf die bislang unveröffentlichte Studie "Doping in Deutschland" der Humboldt-Universität (HU) Berlin gestützt. Die HU zeigt, dass im westdeutschen Sport in einem erschreckenden Umfang und mit einer kaum glaublichen Systematik gedopt worden sei. Die Systematik wird in mehreren Details der dreijährigen Studie deutlich. "Was meines Erachtens nach nicht geht, ist die Gleichsetzung dessen, was bei uns in Westdeutschland passiert ist, mit dem, was in der DDR Praxis war. Nämlich organisiertes Staatsdoping, oft ohne Kenntnis der Sportler. Da muss man schon differenzieren", sagte Vesper.

DOSB-Präsident Thomas Bach hatte sich ebenso zurückhaltend geäußert: "Ich habe die Studie 2008 initiiert, damit die Doping-Vergangenheit auch im westdeutschen Sport aufgearbeitet wird. Wir werden die Ergebnisse der Studie 'Doping in Deutschland' intensiv analysieren und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen."

Die SPD-Opposition attackierte derweil den für Sport zuständigen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). "Ich will wissen, was da dran ist. Innenminister Friedrich muss die Studie endlich freigeben. Doping ist kein Kavaliersdelikt, sondern zerstört die Grundwerte des Sports. Mein Eindruck ist, Innenminister Friedrich will die unrühmliche Rolle des Innenministeriums bei der Förderung des Doping vertuschen", sagte Thomas Oppermann als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer.

Der sportpolitische SPD-Sprecher Martin Gerster kündigte die Prüfung von Möglichkeiten für die Einberufung einer Sondersitzung des Bundestags-Sportausschusses an. Gerster sagte: "Die schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten. Das ist mehr als je vermutet worden ist."

Die FDP-Bundestagsfraktion fordert ebenso eine Sondersitzung. "Der vorliegende Doping-Bericht muss sorgfältig ausgewertet werden, weil nach der Studie entgegen den bisherigen Vermutungen Doping auch von Seiten des Staates betrieben wurde. Die FDP-Bundestagsfraktion hält deswegen eine Sondersitzung des Sportausschusses zur Aufklärung der Vorgänge für unumgänglich", sagte ihr sportpolitischer Sprecher Joachim Günther am Sonntag.

Sport müsse unter fairen Bedingungen ablaufen, deswegen sei eine umfassende Aufklärung der von der Studie aufgeführten Vorgänge erforderlich, ergänzte Günther. "Dabei muss es auch zu einer Gleichbehandlung kommen zwischen Ost und West, insbesondere was die Veröffentlichung der Namen von Sportlern angeht, die von den aktuellen Berichten betroffen sind."

Bedenken gegen Veröffentlichung ausgeräumt

Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop fordert, die Namen der Betroffenen bekanntzugeben. Im Wege der Aufarbeitung und Transparenz müssten "auch im Westen die Namen veröffentlicht werden, insbesondere von Personen, die noch einen Posten im Sport bekleiden", sagte der DLV-Chef am Samstag. "Für die Leichtathletik kann ich das fast ausschließen, weil bei uns Anfang der 1990er Jahre ein Generationswechsel vollzogen wurde."

Auch der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher hat sich zu der Berichterstattung über die Studie geäußert. Er wehrt sich gegen die Vorwürfe, dass Politiker vor den Olympischen Spielen 1972 in München Druck auf Sportmediziner ausgeübt hätten und damit am systematischen Doping in der BRD beteiligt gewesen seien. "Ich wüsste nicht, wer einen solchen Druck ausgeübt haben sollte. Ich halte das für völlig ausgeschlossen", sagte der FDP-Politiker der Bild am Sonntag.

Die Ergebnisse der 2008 vom DOSB initiierten und 550.000 Euro teuren Studie sind immer noch nicht veröffentlicht. Aus dieser stammen auch die schon bekannt gewesenen Ephedrin-Vorwürfe gegen drei deutsche Fußball-Nationalspieler aus dem WM-Kader 1966 in England. "Was die Mannschaft von 1966 angeht, gibt es in einem Dokument eine Anmerkung, dass bei drei Spielern feine Spuren von Ephedrin gefunden worden seien. Durch Einnahme eines Schnupfenmittels, weil sie erkältet waren. Es ist aber untersucht worden, und es ist eindeutig nicht als Doping zu werten", sagte Vesper.

Der Abschlussbericht der vom DOSB 2008 initiierten und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) finanzierten Studie liegt noch nicht vor. DOSB und BISp hatten bislang Datenschutzbedenken geäußert. Dies soll sich nun ändern. Laut Bundesinnenministerium sollen weitere Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Die Bedenken gegen die Freigabe der umfassenden Untersuchung seien inzwischen ausgeräumt worden, "so dass einer Veröffentlichung insoweit nichts mehr im Weg steht", sagte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin am Samstag auf Anfrage.

Die Klärungen seien im Interesse einer uneingeschränkten Verwertbarkeit der Ergebnisse erforderlich gewesen. Konkret handelt es sich um den letzten Teil des 2008 initiierten Projekts "Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch- soziologischer Sicht im Kontext ethischer Legitimation".

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