Reaktionen auf Doping-Untersuchung:Kollektive Abwehr

Fußball: Schumacher signiert sein Buch 'Anpfiff'

Aufreger 1987: Nationaltorwart Toni Schumacher bei der Veröffentlichung seines Buches "Anpfiff", das Passagen über Stimulanzien-Missbrauch im Fußball enthielt - und ihn die DFB-Karriere kostete.

(Foto: dpa)
  • Die neuen Erkenntnisse über Doping im westdeutschen Fußball der Vergangenheit führen mitten in die Gegenwart.
  • Die Beteiligten Vereine streiten alles ab.
  • Fraglich ist, wie weit die Praktiken von damals noch nachwirken?

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Die schwerwiegenden Vorwürfe waren noch nicht lange in der Welt, da strahlte ein Nachrichtensender einen bemerkenswerten Beitrag eines langjährigen Sportarztes aus. Am Montag war das Zwischenergebnis einer Gruppe von Dopingforschern bekannt geworden, demzufolge die Fußballklubs VfB Stuttgart und SC Freiburg sowie der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren vom umstrittenen Mediziner Armin Klümper umfangreich mit Dopingmitteln versorgt worden seien.

Von "Anabolika-Doping in systematischer Weise" war mit Blick auf die Fußballklubs die Rede. Am Dienstag ließ der Sender ntv den Arzt Gustav Raken zu Wort kommen: "Ich war sozusagen der lange Arm von Klümper. Ich habe die Anabolika paketeweise von ihm zugeschickt bekommen und im Frühjahr gespritzt."

Rakens Aussage ist nicht neu, sondern aus dem Archiv. Er hat sie vor zwei Jahren auch schon gegenüber der SZ und dem BR gemacht. Aktualität erlangt sie nun aber, weil sie sich auf die jüngsten Vorwürfe gegenüber dem Radsport beziehen (siehe Text links) - und zumindest diesen Teil der neuen Enthüllungen bestätigen. In der Welt des Radsports lassen sich zuweilen schon Protagonisten von damals finden, die über Dopingmissbrauch reden - und ein Sportarzt, der die eigene Beteiligung zugibt, ist ein besonders wichtiger Zeuge.

Die Branche streitet ab

In der Welt des Fußballs hingegen ist offenbar alles anders gewesen. Da hat das, was für den Radsport gilt, nicht stattgefunden - das legen zumindest die ersten Reaktionen nahe. Sie zeigen eine Mischung aus kollektivem Abstreiten und Schweigen. Beteiligte der damaligen Zeit, die sich nach der Enthüllung der Freiburger Kommission äußern, hatten demnach mit Doping nichts zu tun und von Doping keine Kenntnis gehabt. "Doping hat es beim VfB nicht gegeben", sagte etwa der damalige Physiotherapeut François Caneri, der von 1976 bis 1982 bei den Schwaben arbeitete.

Das bisher vorliegende Zwischenresultat der Forschergruppe legt einen anderen Schluss nahe. Danach soll Klümper in großem Umfang Präparate an den Verein geschickt haben - nicht nur Anabolika, sondern auch viele andere Medikamente. Das Prozedere soll über zwei Apotheken in Freiburg abgewickelt worden sein.

Dem Vernehmen nach soll es in den Unterlagen für den Zeitraum zwischen 1978 und 1980 um einen Fall gehen, in dem der SC Freiburg eine Lieferung mit Anabolika erhielt, und um vier Fälle bei den Stuttgartern. Der VfB habe dann die Rechnung bezahlt. Der Verein möchte sich dazu nicht äußern; er teilt mit, dass aus der damaligen Zeit keine Rechnungen mehr vorliegen würden.

Dagegen hat sich am Dienstag Bundestrainer Joachim Löw zu Wort gemeldet, der in fraglicher Zeit für den SC Freiburg und kurz auch für den VfB Stuttgart spielte. "Doping hat im Sport nichts verloren, ich lehne es absolut ab, das galt für mich als Spieler genauso wie es heute als Bundestrainer immer noch gilt", ließ Löw über die Pressestelle des DFB mitteilen.

1992 erzählte Christoph Daum Kurioses

Bisher ist aus der Forschergruppe nur eine kurze Zusammenfassung bekannt geworden, die das Kommissionsmitglied Andreas Singler verfasst hat - ohne Absprache mit seinen Kollegen. Er hat die 60 Aktenordner, die aus einem Betrugsverfahren gegen Klümper aus den 80er-Jahren stammen und der Kommission erst Ende 2014 zur Verfügung gestellt wurden, ausgewertet und daraus ein internes, 60 Seiten starkes Gutachten angefertigt. Die Kommission selbst hat über das Gutachten ihres Mitglieds noch nicht beraten, weswegen die Vorsitzende Letizia Paoli am Dienstag Singlers Alleingang explizit rügte.

"Für eine umfassende und seriöse Information der Öffentlichkeit ist es unabdingbar, dass sie auf vollständigen und autorisierten Gutachten aufbaut", erklärte Paoli. Außer Singler habe bislang kein Kommissionsmitglied auch nur eine Seite der Akten gesehen. Am Vortag hatte sie noch betont, dass die Dopingvorwürfe gegen Klümper, den Bund Deutscher Radfahrer, den VfB Stuttgart und SC Freiburg "nach meiner Kenntnis durch die Akten belegt" seien; damit hatte sie sich auf Singlers 60-seitiges Gutachten bezogen. Es steht also noch eine ganze Menge Arbeit bevor - und insbesondere die Befragung von Zeitzeugen, klagt Paoli, dürfte durch dieses Vorpreschen nicht einfacher werden.

Schon um die 54er-Elf gibt es Gerüchte

Bei alledem ist der Komplex "Deutscher Fußball und Doping" wahrlich kein neues Thema. Schon die WM-Helden von 1954 umwaberten Manipulationsgerüchte; ungeklärt bis heute, was sich in den Spritzampullen befand, die sich nach dem Finale in der Berner Stadionumkleide fanden.

Berliner Wissenschaftler entdeckten bei den Recherchen für ihre große Studie über Doping in der Bundesrepublik einen Brief eines wichtigen Funktionärs, in dem es heißt, dass bei der WM 1966 "bei der deutschen Mannschaft bei drei Spielern sehr feine Zeichen von Ephedrin" entdeckt worden seien - ein schon damals verbotenes Aufputschmittel. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ließ ein Gutachten erstellen, wonach es sich nicht um einen Dopingfall handele. In den Achtzigern berichtete Toni Schumacher in seinem Buch "Anpfiff" über den Einsatz von Stimulanzien im Fußball, andere taten es ihm später nach.

Auch der VfB Stuttgart selbst war schon ins Gerede geraten - lange vor den aktuellen Vorwürfen, bereits in der Bundesliga-Sommerpause 1992. Damals hatte der damalige Stuttgarter Meistertrainer Christoph Daum gemäß Medienberichten ausgeplaudert, dass bei der Rehabilitation von verletzten Spielern Clenbuterol zum Einsatz käme - jenes Kälbermastmittel, das Wochen zuvor den Leichtathletik-Sprinterinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer nachgewiesen worden war.

Rasch ruderte Daum in einer kuriosen Stellungnahme zurück: Er sei irrtümlich der Auffassung gewesen, im Verein werde Clenbuterol verwendet, in Wahrheit handle es sich bloß um Anabolika, wurde er dann zitiert. Auch der langjährige Klubarzt Edgar Stumpf erklärte, dass beim VfB Stuttgart "im therapeutischen Bereich bei Langzeitverletzten (...) nach operativen Eingriffen mit längerer Ruhigstellung und damit verbundener Muskelverschmächtigung zur Wiederherstellung des muskulären Zustandes selbstverständlich ein Anabolikum verordnet" werde.

Nun geht es in den aktuellen Vorwürfen aus Freiburg nicht nur um die Vergangenheit des Fußballs, sondern auch um seine Gegenwart. Grundsätzlich stellt sich ja die Frage, warum ein Missbrauch ausgerechnet dann beendet worden sein soll, als das Betrugsverfahren gegen Klümper, aus dem die Freiburger Evaluierungskommission ihre Beweise ableitet, zu Ende ging. Auch ist es so, dass Klümper auf viele, teilweise noch heute aktive, Sportärzte nachhaltig gewirkt hat.

Das muss nichts mit Dopingpraktiken zu tun haben. Aber in einer gründlichen Aufarbeitung dürfte wohl auch der Aspekt eine Rolle spielen, dass unter den deutschen Sportärzten der Gegenwart viele "Klümperianer" sind.

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