Reaktion auf Ullrichs Dopinggeständnis:"Kurz vor der Tour ist so etwas extrem schädlich"

Rad-DM 2013 - Straßenrennen Männer

Wenn der Vater mit dem Sohne: Erik Zabel (rechts), lange an der Seite von Jan Ullrich unterwegs, hilft seinem Sohn Rick bei der deutschen Meisterschaft in Wangen nach einem Defekt zurück ins Rennen.

(Foto: dpa)

Während Jan Ullrich Doping zugibt, trifft sich die Szene zur Straßenrad-Meisterschaft im Allgäu. Die Reaktionen der Fahrer sind kritisch, zeigen aber auch: Die Vergangenheit des Radsports und die Gegenwart bleiben miteinander verbunden.

Von Andreas Burkert, Wangen im Allgäu

"Der Ullrich fährt aber gar nicht mit!'', sagt die nette Dame im Rennbüro zur Begrüßung. Mit auswärtigem Besuch haben sie hier eher nicht gerechnet, die Radszene ist bei deutschen Straßenmeisterschaften ja seit längerem eher unter sich. Genau genommen, seitdem der erwähnte Herr Ullrich vom Rad geholt wurde, 2006 war das.

Anders ist es auch nicht an diesem Sonntagmorgen in Wangen im Allgäu, wo sich die örtliche Rad-Union zu ihrem 100-jährigen Bestehen selbst beschenkt hat mit der Austragung der Meisterschaften. Ein paar Hundert sind in die denkmalgeschützte Altstadt gekommen, die rührigen Veranstalter sind mit Enthusiasmus dabei; die Bäckerei Fidelisbäck macht richtig Umsatz am Marktplatz, wo pünktlich um elf Uhr 151 Fahrer auf dem Kopfsteinpflaster Aufstellung nehmen.

Ullrich ist natürlich nicht gekommen, obwohl der Bodensee nur 20 Kilometer entfernt ist, an dessen Schweizer Ufer der frühere Radprofi ja im Exil lebt. Und doch ist er hier wieder ein Thema, mehr als der Zeitfahr-Sieg von Weltmeister Tony Martin, der von Trixi Worrack im Frauenrennen oder der erste Elite-Titel des Rostockers André Greipel, der in einem verregneten Sprintfinale vor San-Remo-Gewinner Gerald Ciolek und John Degenkolb gewann.

"Jan Ullrichs peinliche Beichte" steht in riesigen Lettern auf der Frontseite eines Sonntagsblatts, das auch bei Fidelisbäck zu erstehen ist. Ullrich habe Blutdoping beim Giftmischer Eufemiano Fuentes gestanden, das ist bereits am Samstag gemeldet worden mit Verweis auf ein Focus-Interview. "Ich bin schuldig'', lautet dort die Überschrift über einem Gespräch, in welchem der inzwischen 39-jährige Toursieger von 1997 die freilich seit Jahren bekannte Kollaboration mit dem spanischen Dopingarzt bestätigt: "Ja, ich habe Fuentes-Behandlungen in Anspruch genommen. Dafür wurde ich verurteilt und bestraft."

Ullrich hatte schon im Februar 2012 Kontakte zu Fuentes eingeräumt, dessen Auffliegen vor der Tour 2006 seine Karriere abrupt beendete; 2007 war der Rostocker per DNS-Abgleich als Fuentes-Kunde entlarvt worden - und wies doch noch lange zurück, "etwas mit Doping zu tun" gehabt zu haben: "Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" (November 2008).

Seit 2012 spricht Ullrich, der noch bis zum 22. August dieses Jahres gesperrt ist, zumindest von "Fehlern", so auch jetzt: "Auch ich habe unerlaubte und falsche Entscheidungen in meiner Karriere getroffen." Er habe jedoch nur "Chancengleichheit'' herstellen wollen, "ich habe nichts genommen, was die anderen nicht auch genommen haben''. Deshalb - dabei bleibe er - habe er auch niemanden betrogen. Zudem habe er nur den Blutaustausch genutzt - von der Einnahme anderer Mittel seiner Ära wie Epo, das ja laut Geständnissen alter Gefährten auch in seinem Telekom-Team zur Rund-um-Betreuung gehörte: kein Wort. Das D-Wort vermeidet Ullrich sowieso, er führt es nur einmal im Mund: als er äußert, früher in der DDR sei er nicht mit Doping in Kontakt gekommen.

"Erst mal gefreut"

Im beschaulichen Wangen lösen Ullrichs Einlassungen zwar nicht jenen Furor aus, den etwa sein einstiger Widersacher vor Gericht, der renommierte Dopingjäger Werner Franke, via sid kundtat, indem er von einem "neuen Europarekord der Lüge" sprach.

Aber das Unverständnis überwiegt unter denjenigen, die sich einerseits bei der Meisterschaft den letzten Schliff holen wollen für die 100. Tour de France, die am Samstag startet - und die andererseits genervt sind von der Ullrich'schen "Salamitaktik", wie John Degenkolb eine sich wiederholenden Prozedur nennt. Wenige akzeptieren dieses Vorgehen, Ullrichs einstiger Teamkollege Jan Schaffrath, heute Sportchef bei Tony Martins QuickStep-Equipe, ist so jemand. "Ich verstehe jetzt die Reaktion der Leute", sagt der 42-jährige Berliner am Sonntagmorgen, "und natürlich gehen die deutschen Meisterschaften so leider unter. Aber man sollte auch mal zur Kenntnis nehmen, dass Jan jetzt überhaupt mal den Schritt gemacht hat."

Der junge Franke Degenkolb, Jahrgang 1989, kennt Ullrich dagegen nur aus dem Fernsehen; vor allem wegen ihm wollte er Profi werden. Als er am Samstag im Radio von der angeblichen Beichte des gefallenen Helden hörte, habe er sich "erst mal gefreut", erzählt er. Doch die Detailansicht hat auch ihn ernüchtert: "Er hat ja nicht viel Neues gesagt, ich hätte mir schon gewünscht, dass er mal richtig mit seiner Vergangenheit aufräumt und offen über alles redet."

Der Erfurter Tour-Sprinter Marcel Kittel, 25, sagt: "Es ist ja offensichtlich, dass das alles viel zu spät kommt. Er hätte das jetzt mal abschließen sollen, das hätte uns weiterhelfen können." Tony Martin, 28, meint: "So kurz vor der Tour ist so etwas wieder extrem schädlich, das hätte man auch im Dezember machen können."

Martin kann seine Kritik ja demnächst mal persönlich vorbringen: Er wohnt ebenfalls am Schweizer Seeufer. Ullrich nennt ihn einen regelmäßigen Trainingspartner.

Die Vergangenheit des Radsports und die Gegenwart bleiben demnach miteinander verbunden. Stefan Schumacher, 31, ein markantes Gesicht dieser schmerzhaften Koexistenz, kennt beide Seiten. Nach jahrelangem Leugnen hat der überführte, frühere Gerolsteiner-Fahrer zuletzt umfassend gestanden. "Ich verstehe heute, dass den Leuten die kleinen Wahrheiten nicht reichen", sagt der schwäbische Zeitfahr-Dritte in Wangen.

Jan Ullrichs Verrenkungen angesichts der kolportierten juristisch-finanziellen Motive versteht er aber. "Er bekennt sich ja tatsächlich, auch ohne die Details", meint der Schwabe, "und peinlicher finde ich eher, was andere Telekom-Kollegen von ihm früher zugegeben haben: mal eine Woche Epo und solche Sachen."

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