RB Leipzig:Schwalben-Werner oder Arbeiter-Werner?

RB Leipzig: Timo Werner feiert sein Tor gegen Köln.

Timo Werner feiert sein Tor gegen Köln.

(Foto: AFP)
  • Gegen Köln liefert Timo Werner eine exzellente Leistung ab. Ein Tor schießt er selbst, eins bereitet er vor.
  • Nach einer Szene mit Kölns Dominic Maroh werfen ihm aber wieder einige vor, er würde zu leicht fallen.
  • RB Leipzig will sich mit dieser Diskussion nicht beschäftigen.

Von David Joram, Leipzig

Den jungen Käsebrötchenboten, der auf der Leipziger Pressetribüne fleißig die Treppenstufen rauf- und runterrennt, kennt Timo Werner wahrscheinlich nicht. Woher auch? Der Käsebrötchenbote hat jedenfalls eine besondere Eigenschaft: Er friert nie bei der Arbeit. Obwohl er selbst an kalten Samstagen im Februar die Reporter beliefert, nur mit einem T-Shirt bekleidet. Na und? "Ich bin ja immer in Bewegung", sagt er. Und tatsächlich: Immer hastet er rauf und runter, rauf und runter, rauf mit einer Platte voll Käsebrötchen, runter meistens mit einer leeren. Da fallen viele Höhenmeter an, auch wenn von einer exakten Höhenmetermessung nichts bekannt ist. Bekannt ist, dass die meisten Sportreporter Käsebrötchen verehren. Das Laufpensum muss deshalb ein gewaltiges sein.

Im Fall von Timo Werner liegen genauere Daten vor. Vier Torschüsse, eine Torvorlage, ein Tor und eine Laufleistung von zehn Kilometern registrierten die Statistiker im Heimspiel gegen den 1. FC Köln. RB gewann überlegen 3:1, einen wesentlichen Teil steuerte Werner bei. "Er passt wie kaum ein anderer in unser Umschaltspiel", sagt Trainer Ralph Hasenhüttl. Der Stürmer bewegt sich zwar nicht rauf und wieder runter wie der Käsebrötchenbote. Aber sein Arbeitspensum ist ähnlich umfänglich, immer wieder sprintet Werner von hinten nach vorne, von links nach rechts; fast überall dahin, wo es irgendwie nach Stadionrasen ausschaut.

Die Fans verehren ihn dafür. Allerdings nur in Leipzig. Tritt Werner im Rest der Fußballrepublik auf, beschimpfen sie ihn mittlerweile als Schwalbenkönig, Provokateur, Dreckspatz. Seine Flugeinlage gegen Schalke will einfach niemand vergessen. Doch was stimmt denn nun? Schwalben-Werner oder Arbeiter-Werner?

Für Letzteres spricht, dass Werner im Schwäbischen aufwuchs. Das Wort Arbeit ist dort angeblich erfunden worden. Und so wie Werner derzeit sein Arbeitsfeld bestellt, würde man ihn ein "fleißiges Bürschle" nennen. Bürschle deshalb, weil Werner erst 20 Jahre alt ist. Und fleißig, weil das im Schwabenländle als höchste Auszeichnung gilt. Wer ordentlich schafft, der schafft's, etwa beim Häuslebau - oder halt in die Champions League.

Nach den drei Punkten gegen Köln, sichergestellt durch die Torschützen Emil Forsberg (5. Minute), Dominic Maroh (Eigentor/34.) und eben Werner (65.), bewahrheitet sich der Satz für RB Leipzig immer mehr. Erfolgreich schwäbelt sich die von Sportdirektor Ralf Rangnick bestens kalibrierte Mannschaft Richtung Europas Königsklasse. Rangnick, geboren in Backnang, lebt das Schwabensein vor, es beruht auf einer protestantischen Arbeitsethik. Bei RB gehen sie maximal unaufgeregt, sachlich, wissenschaftlich vor, verbunden mit gnadenloser Effizienz und Professionalität. Es wirkt wie kühle Ingenieurskunst.

Werner rückt immer häufiger in eine Ecke, die ziemlich unmodern ist

Dieses Umfeld befähigt den jungen Werner offensichtlich sein Edelpotenzial abzurufen. Bei seinem alten Herzensklub, dem VfB Stuttgart, war das noch anders. Wirklich reüssiert hat der Stürmer im hektischen Traditionsvereinsbetrieb nie; anders als RB hat der VfB zu Werners Zeiten halt nie richtig geschwäbelt, vielmehr standen Macht- und Personalfragen im Mittelpunkt. Ein Fleißarbeiter wie Timo Werner kann damit wenig bis gar nichts anfangen.

RB funktioniert anders. Weniger Verein, mehr Projekt. Mit nebulösen Begriffen wie Folklore und Historie hält sich in der Bullen-Schmiede niemand auf. Erfolgreiche Projektarbeiter blicken nach vorn, sind zielorientiert. Das entspricht dem, was Werner in dieser Saison auf dem Platz anbietet. Er zieht entschlossen zum Tor, handelt schnell, ist risikobereit - und bei alldem noch teamfähig. Sieben Torvorlagen beweisen das. Werner arbeitet modern - und an modernen Spielern hat auch immer der Bundestrainer Joachim Löw ein Interesse. An Stürmern, die in bisher 21 Saisonspielen 13 Tore erzielt haben, sowieso.

Doch Werner rückt immer häufiger in eine Ecke, die ziemlich unmodern ist. Gegen Köln kreuzte sich nach acht Minuten sein Laufweg mit dem von FC-Innenverteidiger Maroh. Ein minimaler Kontakt, Werner fiel hin. Die Leipziger forderten die rote Karte für Maroh, Notbremse lautete die Anklage. Maroh signalisierte hingegen, dass es wieder mal "gewernert" habe, wie gegen Schalke. Der Schiedsrichter entschied sich für eine Zwischenlösung. Foul ja, Rot nein. "Wir halten uns nicht mit solchen Diskussionen auf", sagte Trainer Hasenhüttl dazu. Er weiß, dass dieses Thema polarisiert.

Bei RB wollen sie verhindern, dass unliebsame Reibungskräfte entstehen, der Klub an sich stellt ja schon ein einziges Reibungskraftfeld dar. Wenigstens die Kicker sollen davon unberührt bleiben und reifen, erst recht Werner. Der kann den Klub zweifellos in die Champions League führen. Bisher liefert er jedenfalls auf dem Rasen so zuverlässig wie der Käsebrötchenbote auf der Tribüne.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: