Rassismus im englischen Fußball:Zurück in die Vergangenheit

Rassistische Schmähgesänge und verweigerte Handschläge: Am Wochenende ereigneten sich in mehreren englischen Stadien üble Geschmacklosigkeiten. Das Sportliche geriet beim brisanten Derby zwischen dem FC Liverpool und Manchester United in den Hintergrund. Englands Fußball verliert zunehmend seine Leitfunktion.

Raphael Honigstein, London

Die Polizei hatte den Verkauf von Luis-Suárez-Masken vor dem Stadion untersagt, aber die hässliche Fratze des beautiful game war am Samstagmittag auch so deprimierend deutlich zu erkennen. Während sich die Spieler bei Liverpools 2:1-Sieg gegen Manchester United ein weitgehend faires, eher langsam köchelndes Pokal-Duell lieferten, zelebrierten die Zuschauer im Anfield ganz ihres gegenseitigen Hasses.

Liverpool v Manchester United - FA Cup Fourth Round

Patrice Evra, der Kapitän von Manchester United, war beim Derby gegen den FC Liverpool das Ziel rassistischer Beleidigungen.

(Foto: Getty Images)

United-Kapitän Parice Evra, nach dessen Beschwerde der Liverpool-Stürmer Suárez zu acht Spielen Sperre wegen einer rassistischen Beleidigung verurteilt worden war, war das Hauptziel der Verbalattacken. Der Franzose wurde unentwegt ausgebuht und als "lügender Bastard" beschimpft; ein 59-jähriger, mittlerweile verhafteter Fan verunglimpfte ihn gestenreich als Affe. Die überwiegende Mehrheit der Liverpool-Anhänger wollte die Anti-Evra-Stimmung nicht als rassistisch-motiviert verstanden und Trainer Kenny Dalglish hinterher "nichts Verwerfliches" bemerkt haben.

"Warum soll ich Mitleid mit Evra haben? Ich wurde als Spieler auch ausgebuht", sagte er. Doch die "Hetzjagd" (Sunday Times) passte in das unglückliche Bild, das der Traditionsklub von der Mersey seit der Urteilsfindung im Dezember abgibt. Von Dalglishes enormer Unterstützung für Suárez angestachelt, wollen viele Reds im Schuldspruch des Verbandes partout einen gewaltigen Justizirrtum erkennen. Sektenähnliche Loyalität verblendet die Sicht auf die Faktenlage.

6000 United-Fans schlugen mit "there's only one racist bastard" in Richtung Tribünengast Suárez zurück und erinnerten mit dem sarkastischen "Ihr seid immer die Opfer, nie selber schuld"-Gesang implizit an die Katastrophe von Hillsborough, wo 1989 nach einer Massenpanik 96 Menschen ums Leben kamen. Weitere Geschmacklosigkeiten auf beiden Seiten folgten.

Dalglish tat das Gejohle überraschend als friendly banter ab, als böse, aber nicht ernst gemeinte Scherze. Der 60-Jährige unterschätzt dabei die reellen Folgen der auf die Spitze getriebenen Wagenburgmentalität: Lord Ousely, der Chef der Anti-Rassismus-Organisation "Kick it Out", bekam nach Liverpool-kritischen Stellungnahmen mehrere hundert rassistische E-Mails und einige Todesdrohungen.

"Wieso können wir es nicht wie in den guten alten Tagen halten?"

Dalglishs Spielanalyse fiel immerhin weniger kontrovers aus. Der Liebling der Anfield-Jünger lobte "Engagement, Einstellung und Leidenschaft" seiner Elf, die den technisch besseren Meister nach der Pause niedergekämpft hatte. "Unerträglich" fand United-Trainer Alex Ferguson die Niederlage; sein Team hatte bis auf Ji-Sung Parks Tor zum zwischenzeitlichen 1:1 (39.) viel zu wenig aus seiner Überlegenheit gemacht und bei den Gegentoren versagt. Der unsichere Torwart David de Gea, 21, griff vor dem 1:0 von Daniel Agger (21.) an einer Ecke vorbei und ließ beim Siegtreffer von Dirk Kuyt (88.) den zentral geschossenen Ball unglücklich passieren. Ausgerechnet der ansonsten routiniert auftretende Evra hatte zuvor seinen niederländischen Gegenspieler aus den Augen verloren.

Ferguson selbst erwischte ebenfalls keinen guten Tag. Als es mit zunehmender Spieldauer im 105-jährigen Mittelfeld von Carrick, 30, Scholes, 37, und Giggs, 38, immer bedrohlicher knirschte, brachte der Schotte für Scholes einen zweiten Stürmer (Hernández, 76.) auf den Platz. Das war riskant, und ohne die Ballsicherheit des reaktivierten Spielmachers verlor die mit schlichten Mitteln agierende Heimelf die Kontrolle.

Ein übler Nachgeschmack haftete auch dem Derby zwischen Queens Park Rangers und Chelsea an, wo nach einer demnächst vor Gericht verhandelten Rassismus-Beschuldigung der vermeintliche Täter (John Terry) auf seinen Ankläger (Anton Ferdinand) traf. Spieler und Zuschauer hielten sich beim matten 1:0-Pokalsieg der Blues (Juan Mata, 62., Foulelfmeter) merklich zurück, aber der Verband hatte den üblichen Handschlag vor dem Anpfiff gestrichen. Ferdinand, dem Unbekannte unter der Woche eine Patronenhülse in der Post geschickt hatten, und die gesamte QPR-Elf hatten geplant, Terry die Begrüßung zu verweigern.

Trainer Mark Hughes unterstützte die Maßnahme. "Ich weiß sowieso nicht, wer sich den Handschlag ausgedacht hat", sagte der Waliser, "das nervt doch nur. Wieso können wir es nicht wie in den guten alten Tagen halten?" Der Verzicht auf die Fairplay-Geste verstärkt das bedrückende Gefühl, dass dem englischen Fußball momentan seine Leitfunktion abhanden kommt. Nach der sportlichen Stagnation der Liga scheint die Reise auch abseits des Platzes zurück in die Vergangenheit zu gehen.

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