Rassimus im Fußball-Stadion:Boatengs Zeichen gegen die Affen in den Kurven

Kevin Prince Boateng  AC Milan vs Pro Patria

Historischer Abgang: Kevin-Prince Boateng.

(Foto: Daniele Mascolo/dpa)

Der gebürtige Berliner Kevin-Prince Boateng erhält nach seinem Abgang in einem Testspiel seines AC Mailand nach Schmährufen viel Zuspruch. Rassismus ist gerade in Italiens Stadien seit langem ein Problem. Selbst die Uefa steht in der Kritik, viel zu wenig gegen Rassisten auf den Tribünen zu tun.

Von Thomas Hummel

Kevin-Prince Boateng taugt eigentlich nicht zum Helden. Der in Berlin aufgewachsene Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters ist in Deutschland vor allem bekannt als Anführer der einstigen Ghetto-Kids bei Hertha BSC, die das Spiel und das Leben in Problembezirken wie Wedding kennenlernten. Boateng ist bekannt für seine Tätowierungen, für seinen explosiven Charakter - und für sein Foul an Michael Ballack kurz vor der WM 2010 in Südafrika, das beinahe eine Staatskrise auslöste. Die ARD zeigte einen Brennpunkt nach der Tagesschau.

Doch nun ist dieser Kevin-Prince Boateng ein Held. Ein Held der antirassistischen Bewegung. Denn der 25-Jährige ist der erste Spieler, der nach Beleidigungen durch Zuschauer wegen seiner Hautfarbe den Platz verließ und infolgedessen eine Partie abgebrochen wurde. Da spielt es keine Rolle, dass es sich um kein offizielles Liga- oder Pokalspiel handelte, sondern um ein Testspiel seines AC Mailand bei einem Viertligisten in der 25 Kilometer entfernten Stadt Busto Arsizio, bei einem Klub mit dem Namen Pro Patria (Für das Vaterland).

Eigentlich kamen etwa 3000 Menschen zusammen, um die hoch verehrten Milan-Profis einmal in ihrem Provinzstadion zu sehen. Viele Familien mit Kindern waren anwesend, die Sonne schien. Doch in einer Ecke des Stadions sammelten sich etwa 200 Männer, ausgestattet zumeist mit dunklen Kapuzenpullovern und Jacken, die bei jedem Ballkontakt eines Milan-Gastes mit dunkler Hautfarbe Affenlaute anstimmten. Nach 26 Spielminuten erhielt Boateng den Ball direkt vor dem Block der Blöker, da wurde es ihm zu viel. In der italienischen Presse heißt es, sie hätten auch seine Freundin beleidigt. Boateng brach sein Dribbling ab, nahm den Ball in die Hand und drosch ihn volley in Richtung der Zuschauer. Er gestikulierte, schimpfte, zog sein Trikot aus und wanderte über den gesamten Platz zum Kabineneingang.

Die Spieler von Pro Patria wollten ihn noch umstimmen, doch seine Mitspieler folgten ihm. Als die Aufregung groß und das Spielfeld verwaist war, sagte der Stadionsprecher noch, das Spiel werde fortgesetzt, falls die Buh-Rufe aufhörten. Doch er irrte sich. Vor allem die schwarzen Spieler der Mailänder, neben Boateng noch Urby Emanuelson, Sulley Muntari und M'Baye Niang weigerten sich. Und der Rest des Vereins zeigte Solidarität.

Nun wird Boateng gefeiert, von überall erhält er Unterstützung. AC-Kapitän Massimo Ambrosini berichtete, dass die Rufe wiederholt aus dem Fan-Block des Gegners zu hören gewesen seien. "Wir wurden von Beginn an belästigt. Wir haben ein starkes Signal abgegeben", erklärte Ambrosini. Giancarlo Abete, Präsident des italienischen Fußballverbandes FIGC, nannte den Vorfall "unerträglich". Man müsse die "wenigen Kriminellen" unter den Fans isolieren, forderte er. Auch AC-Trainer Massimiliano Allegri zeigte sich betroffen. "Ich bin enttäuscht und traurig, aber ich denke, dass es die richtige Entscheidung aus Respekt vor unseren Spielern und allen schwarzen Spielern in allen Ligen war, nicht zurückzukehren", sagte Allegri. Auf Twitter lobten ihn Kollegen wie Nuri Sahin, Shaun Wright-Philipps, Rio Ferdinand oder Patrick Vieira. Boateng selbst bedankte sich: "Danke an alle für die Unterstützung und das Verständnis. Das bedeutet mir sehr viel."

Boatengs Abgang geht um die Welt. Er gibt einen kleinen Einblick auf die Kultur in Teilen der Stadionkurven, wo sich gerne Rassisten sammeln. In Italien ist das Problem seit Jahren bekannt, doch wirkungsvolle Maßnahmen wurden bislang nicht ergriffen. Was auch daran liegt, dass Teile der Gesellschaft und auch der Politik die Vorfälle stets verharmlosen oder gar die Beschimpften dafür verantwortlich machen.

Auch der Fall in Busto Arsizio kennt diesen Typ Politiker. Der Bürgermeister der Stadt, Gigi Farioli, von der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà (PDL), griff nicht die Schmährufer auf der Tribüne an, sondern die Schiedsrichter und Boateng. "Es ist möglich, dass eine Minderheit dem Ansehen des Klubs und der Stadt schadeten", sagte Farioli, doch Boatengs Reaktion sei unangemessen gewesen. "Er hat einen Ball mit 200 Meilen pro Stunde in die Kurve geschossen, wo viele Kinder standen, das kann nicht gerechtfertigt werden." Außerdem hätten die Schiedsrichter ihre Arbeit nicht gemacht und die Buh-Rufer zur Raison gebracht.

Lange Liste rassistischer Vorfälle in Italien

Die Liste an rassistischen Vorfällen in Italiens Fußball ist lange. Beispiele: 1992 wurde der Niederländer Aron Winter von Fans von Lazio Rom am Trainingsgelände mit einem Spruchband begrüßt, auf dem in deutscher Sprache stand: "Winter raus!" stand. Winter war ein Spieler mit dunkler Hautfarbe und jüdischen Vorfahren. 1996 demonstrierte der für Inter Mailand spielende Engländer Paul Ince gegen Beschimpfungen der Zuschauer beim Auswärtsspiel in Cremona, und erhielt dafür die gelbe Karte des Schiedsrichters.

Der frühere Lazio-Profi Sinisa Mihailovic lebte teils offen seinen serbischen Nationalismus im Stadion aus und beschimpfte den Arsenal-Spieler Patrick Vieira während eines Champions-League-Spiels heftig. Später wurde Mihailovic Trainer in Bologna, Catania und Florenz, heute ist er serbischer Nationaltrainer. Als sich dann mit Mario Balotelli erstmals ein Schwarzer für die italienische Nationalmannschaft bewarb, geriet der Rassismus auf den Tribünen außer Kontrolle. Überall in Italien beschimpften Zuschauer den Sohn ghanaischer Immigranten aus Sizilien. Die Fans von Juventus Turin taten das so heftig, dass ihre Kurve für ein Heimspiel gesperrt wurde. Der damalige Nationaltrainer Marcello Lippi stand bisweilen im Verdacht, er nominiere Balotelli nur wegen seiner Hautfarbe nicht für die Squadra Azzurra. Nachdem sich Balotelli nach einem Spiel in Verona über die Schmärufe öffentlich beschwerte, sagte der Politiker Flavio Tosi von der rechtsgerichteten Lega Nord: "Aus Balotelli wird nie ein echter Champion."

In dieser Saison griffen in Rom Fans von Lazio und AS eine Kneipe an, in dem sich Fans des englischen Klubs Tottenham Hotspur vor dem Europa-League-Spiel aufhielten. Tottenham Hotspur ist ein jüdisch geprägter Klub, auch im Stadion gab es antisemitische Spruchbänder.

Auch der europäische Fußballverband Uefa stand zuletzt bei der Europameisterschaft arg in der Kritik, er würde zu lasch auf rassistische Vorfälle von Zuschauern reagieren. Zwar lesen die Kapitäne der Nationalmannschaft öffentlichkeitswirksam vor den Spielen Texte ab, in denen für Toleranz geworben wird. Doch wenn es drauf ankommt, scheinen die Prioritäten klar verteilt.

Als Balotelli damit drohte, dass er während der EM bei rassistischen Beleidigungen durch Zuschauer das Spielfeld verlassen würde, sagte Uefa-Chef Michel Platini: "Wenn ein Spieler eigenmächtig den Platz verlassen würde, nachdem er rassistisch beleidigt wurde, dann müsste der Schiedsrichter ihm die Gelbe Karte zeigen." Als dann kroatische Fans in der EM-Vorrunde bei Ballkontakten Balotellis Affenlaute anstimmten, verhängte die Uefa eine Strafe von 80.000 Euro gegen den kroatischen Verband. Zum Vergleich: Als der Däne Nicklas Bendtner im Spiel gegen Portugal beim Torjubel seine Unterwäsche zeigte, auf der der Schriftzug eines Wettanbieters zu sehen war, erhielt er von der Uefa eine Strafe von 100.000 Euro und ein Spiel Sperre.

Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verhängte zuletzt nur die Mindeststrafe von 25.000 Euro für den Chemnitzer FC, nachdem dessen Fans im DFB-Pokalspiel gegen Dynamo Dresden den gegnerischen Stürmer Michael Poté mit Affenlauten beschimpft hatten.

Insofern ist es wenig verwunderlich, dass der impulsive Kevin-Prince Boateng der erste Spieler ist, der eine Partie abbrach. Die Chronisten erinnern sich an Samuel Eto'o, der 2006 in Saragossa das Spielfeld verlassen wollte, aber von Mitspielern zum Weiterspielen überredet wurde. Oder an Roberto Carlos, dem beim Spiel Machatschkala gegen Samara in Russland eine Banane nachgeworfen wurde. Der Brasilianer verließ das Feld, der Trainer zeigte aber sogleich eine Auswechslung an, das Spiel lief weiter.

In Italien ist die Aufregung nach Boatengs Abgang nun groß. Die Polizei leitete eine Untersuchung des Vorfalls ein und überprüft derzeit Videoaufnahmen des Spiels. Neben einem bereits geständigen Täter seien bereits mehrere Personen vernommen worden. Unter anderem droht den Übeltätern eine fünfjährige Stadionsperre. Der AC Mailand hat versprochen, baldmöglichst zu einem Freundschaftsspiel zurückzukehren, um den Zuschauern in Busto Arsizio endlich die versprochenen 90 Minuten zu bieten.

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