Rafael Benítez bei Real Madrid:Von Anfang an eine Fehlbesetzung

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Abschiedsgruß: Rafael Benítez am Sonntag beim Spiel an früherer Wirkungsstätte in Valencia; nach dem 2:2 musste er als Real-Trainer gehen.

(Foto: Jose Antonio Sanz/Witters)

Die Beziehung zwischen Real Madrid und Trainer Rafael Benítez galt seit Monaten als Missverständnis, jetzt zeichnet sich die Trennung ab. Klub-Idol Zinedine Zidane steht als Nachfolger bereit.

Von Oliver Meiler

Eine Hommage kann auch schmerzen. Zumal, wenn sie Verdiensten gilt, die schon zum Vergessen weit zurückliegen und bestenfalls noch die Nostalgie nähren. Als Rafael Benítez, der viel kritisierte, ständig wankende Trainer von Real Madrid, am Sonntagabend nach mehr als elf Jahren mal wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrte - ins Stadion Mestalla von Valencia, wo er 2002 und 2004 mit dem FC zweimal spanischer Meister geworden war -, da empfing ihn ein langes, romantisches Spruchband: "Rafa", stand darauf, "du hast uns die schönsten Jahre unseres Lebens geschenkt. Danke." Des Lebens! Dazu intonierten die Valencia- Fans einen Chor, den der Besungene auch an seinem neuen Arbeitsplatz, im Madrider Santiago Bernabéu, ganz gerne einmal gehört hätte: "Ra-fa Be-ní-tez, Ra-fa Be-ní-tez." Er winkte in die Ränge, kurz und etwas verlegen - und dann bangte er wieder um seine berufliche Zukunft.

Die Begegnung beim Tabellenzehnten Valencia war als Schicksalsspiel für den Real-Coach angekündigt worden, als möglicher Wendepunkt in einer Geschichte voller Missverständnisse. Oder als Schlusspunkt für "Rafa", nach nur einem halben Jahr. Am Montag deutete alle Zeichen auf Variante zwei hin - laut Medienberichten aus der spanischen Hauptstadt beriet bereits der Verein über die Trennung vom Trainer; als Nachfolger steht Klub-Idol Zinedine Zidane bereit. Benitez wollte es einfach nicht gelingen, seinem prominenten Personal einen Spielplan beizubringen, geschweige denn eine gepflegte Kultur. So empfindet man das jedenfalls in Madrid.

Das 2:2 in Valencia ist zu wenig für einen Wendepunkt - und für das Selbstverständnis des Klubs

In Valencia entwickelte sich ein unterhaltsames, für spanische Verhältnisse erstaunlich fehlerhaftes, abenteuerliches Spiel mit 2:2 Toren, in dem sich Verteidiger elementarste Verstöße leisteten und in dem ständig wild gegrätscht wurde. Reals junger kroatischer Mittelfeldspieler Matteo Kovacic flog für einen ungestümen Einsatz mit gestrecktem Bein in der 68. Minute mit roter Karte vom Platz. "Duelo macho", männliches Duell, schrieb die Zeitung El País. Und es gab auch schöne Tore, vor allem das erste war eine leichtfüßige Nummer, wie man sie in der Welt der "Galaktischen" häufiger erwarten würde: Gareth Bale mit der Hacke zu Cristiano Ronaldo am Strafraumrand, der gleich weiter mit einem No-look-Pass zu Karim Benzema - flach und schnell in die linke Torecke, 1:0. Eine Aktion wie aus dem Training, unverkrampft, unvermittelt. Real kämpfte herzhaft, auch zu zehnt. Zu einer runden Leistung reichte es aber wieder nicht.

Am Ende war das 2:2 zu wenig für eine Wende. Zu wenig für das Selbstverständnis dieses großen Vereins. Zu wenig auch, um zum FC Barcelona und zu Atlético Madrid aufzuschließen, den Spitzenreitern der Liga. Barça, das im Stadtderby gegen Espanyol zuletzt auch nur unentschieden spielte (0:0), liegt zwar zwei Punkte hinter dem bemerkenswert standhaften "Atleti" auf dem zweiten Platz, hat aber einmal weniger gespielt.

Und es war auch zu wenig für Rafael Benítez, den Trainer.

Das Real-Missverständnis mit "Rafa" begann eigentlich schon, bevor es begann: noch vor der Präsentation. In Madrid war man gemeinhin der Meinung, dass nur ein Coach aus der kleinen Schar der wirklich Besten den Ansprüchen Reals genügen würde, ein ganz großer Name. Benítez galt nur als zweitbeste Wahl, höchstens - obwohl er viele Jahre im Verein verbracht hatte, vor allem als Übungsleiter in der Jugendabteilung. Und obwohl er den Valencianern ja die besten Jahre ihres Lebens beschert und in England (Liverpool) und Italien (Neapel) ansprechend gecoacht hatte.

Aber Real Madrid - nach Carlo Ancelotti? Der Italiener, der in der nächsten Saison den FC Bayern leiten wird, musste 2015 gehen, obwohl ihn die Spieler und ein stattlicher Teil der Fans gerne behalten hätten. Präsident Florentino Pérez wagte mit Benítez den Affront gegen alle, und der dankte es ihm mit einem tränenreichen Antritt - als käme es ihm selbst so vor, als habe er diesen Job nicht verdient. Die Demut ehrt ihn natürlich. Sie passt aber schlecht zum stolzen Gestus des Vereins.

Benítez trägt den Ruf, eine Fehlbesetzung zu sein, schicksalhaft mit sich herum. Der Ruf steht ihm ins Gesicht geschrieben, die Sportpresse füttert ihn täglich mit neuen Verrissen; er kann gar nichts recht machen. Die Starspieler, so hört man, belächeln seine technischen Ratschläge, weil er selbst nie erstklassig Fußball gespielt habe. Bei Ancelotti war das anders: Der war nicht nur selber ein Star gewesen - der verstand sich immer als kollegialer, fast väterlicher Coach, der seine Spieler nicht zu belehren brauchte. Auch mit José Mourinho war es anders, obwohl auch der es als Fußballer nicht weit gebracht hatte: In guten Zeiten konnte der Portugiese die Mannschaft aber zur motivierten Gemeinschaft zusammenschweißen, zu einem bissigen Kollektiv. Bei Benítez hat es mehr den Anschein, als passiere alles ohne ihn, als erreiche er niemanden. Viele Hauptakteure spielen weit unter ihrem üblichen Niveau. Toni Kroos etwa, der im ersten Jahr als Stabilisator gefeiert wurde, wirkt nun oft konzeptlos, verunsichert. Er spielt meist nur kurze Seitwärts-Pässchen, nicht selten auf Luka Modric, seinen Kollegen im Mittelfeld, auf dass dem vielleicht etwas einfalle. Der Regie fehlt ein Drehbuch.

Im Kader stehen auch Herrschaften, die sich am Steuer ihrer schnellen Autos mehr zu vergnügen scheinen als am Ball. James Rodríguez etwa fiel in der vergangenen Woche einer Streife auf, als er mit 200 km/h über die Madrider Ringautobahn zu Reals Trainingszentrum raste und dabei die Blaulichter im Rückspiegel ignorierte - 6,4 Kilometer lang. Später sagte James, er habe gedacht, man wolle ihn entführen. In seiner Heimat Kolumbien verkleideten sich Entführer auch schon mal als Polizisten. Nun ja. Gegen Valencia spielte er nicht.

Seine Siege verdankt Real derzeit fast immer der Einzelklasse seiner Protagonisten im "BBC"-Sturm - wenn sie denn aufblitzt. Doch auch Cristiano Ronaldo schwächelt, das C neben Bale und Benzema. Er wird zuweilen auch ausgepfiffen von den eigenen Fans, aller Tore zum Trotz; die meisten schießt er ja gegen schwache Gegner, oft im Multipack. Den Torstatistiken sieht man das nicht an, doch die Madridistas täuscht man nicht. Viele haben "CR7" ohnehin nie in ihr Herz geschlossen.

Und so fühlte sich Ronaldo nun wieder einmal zu einer Selbstdeutung bemüßigt, die seine Sympathiewerte nicht heben dürften. In einem Interview mit dem Sonntagsmagazin von El Mundo sagte er: "Es gibt Leute, die mich lieben, und solche, die mich hassen. Es gibt die, die sagen, ich sei arrogant, ich sei eitel, dies und das. Das ist Teil meines Erfolgs. Ich bin gemacht, der Beste zu sein." Und um die Relationen in gebotene Sphären zu heben, fügte er hinzu: "Auch Gott gefällt nicht allen." Wenn nur der Himmel gerade nicht so fern wäre.

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