Radsport:Weg vom Fenster

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Der Konflikt zwischen engagierten Pedaleuren und den Funktionären aus Tour-Organisation und dem Weltverband UCI spitzt sich zu - ganz besonders in der Sicherheitsfrage.

Von Johannes Aumüller, Saint-Gervais-les-Bains

Zum Abschluss des kurzen Plauschs gibt's noch einen Klaps auf die Schulter und eine weitere Verabredung: "Morgen sehen wir uns bei Kilometer vier, fünf."

Absender dieser Worte ist der Österreicher Bernhard Eisel, Empfänger der Deutsche Marcel Kittel, und diese Pedaleure haben derzeit interessante Themen zu besprechen. Vielleicht nicht gerade, wenn sie ab Kilometer vier, fünf oder etwas später auf der letzten schweren Alpen-Etappe der Tour im Gruppetto der Abgehängten darum kämpfen müssen, innerhalb der Karenzzeit ins Ziel zu kommen. Aber bei anderer, nicht gar so anstrengender Gelegenheit. Der österreichische Routinier und der deutsche Sprinter gehören zu den Fahrern, die auch mal kundtun, wenn ihnen was nicht passt. Und einem engagierten Teil des Pelotons passt gerade einiges nicht. Aber es ist wie so oft im Profisport die Frage, wie sehr die Athleten ihre Anliegen einbringen können. Oder ob nicht das Interesse von Veranstaltern und Funktionären alles überragt.

L'Etat, c'est Aso, und die Fahrer sollen schweigen - das ist wohl das Motto der Bosse

Das zeigt sich vor allem, wenn es um die Sicherheit für die Fahrer geht. Seit geraumer Zeit ist das ein zentrales Thema des Radsports, und auch bei der Tour kam es an vielen Stellen zum Vorschein. Bei der Bergankunft auf dem berüchtigten Mont Ventoux standen die Zuschauer so dicht gedrängt an der Strecke, dass ein Motorrad stecken blieb und in der Folge Christopher Froome, der Mann in Gelb, und zwei weitere Fahrer draufkrachten. Kuriose Bilder vom joggenden Briten, der auf ein neues Fahrrad wartet, gingen um die Welt. Der Grund der Kollision: Die Tour-Organisatoren hatten darauf verzichtet, im Finale Absperrgitter aufzustellen - und bedachten nicht, dass sich durch die Verkürzung der Etappe die Menschenmassen umso dichter zusammenziehen würden.

Berge, überall Berge: Mancher Fahrer ist froh, wenn er am Sonntag endlich Paris und die Champs-Élysées sieht. (Foto: Stephane Mantey/Witters)

Auf manchen Flachetappen provozierten die Streckenführung im Finale und die Anzahl dort noch zu umkurvender Hindernisse diverse Stürze. Allerdings trugen die Sportler mit einer zunehmend riskanteren Fahrweise das Ihre auch dazu bei. Zudem sei es permanent zu gefährlichen Situationen mit den Begleitmotorrädern gekommen, schildern mehrere Akteure. Und so ist es vermutlich vor allem Glück, dass es während der Frankreich-Rundfahrt nicht zu schlimmeren Situationen kam. So wie im Frühjahr, als der Belgier Antoine Demoitié nach einer Kollision mit einem Motorrad verstarb.

Eisel, Kittel und einige andere haben verschiedentlich auf diesen wie auf andere Unfälle hingewiesen. Sie machten vor und während der Frankreich-Rundfahrt Vorschläge, wie man vor allem das Problem mit den Begleit-Motorrädern und andere Sicherheitsfragen beheben könnte. Aber die Verantwortlichen des mächtigen Tour-Veranstalters, der Amaury Sports Organisation (Aso), konterten das auf ihre Weise. So wie in diesen Tagen ihr Chef Christian Prudhomme in einem bemerkenswerten Interview in der Berner Zeitung. "Die Fahrer, welche Kritik üben, treten in den nächsten Jahren zurück, sind dann weg vom Fenster. Wir aber sind keine Ahnungslosen, viele ehemalige Rennfahrer wirken in der Organisation mit. Wir unternehmen alles, um heikle Stellen zu umgehen, um Gefahren zu minimieren", sagte er dort. Und dann fügte er an: "Die Fahrer haben keine Ahnung, keine Ahnung, ich sage es absichtlich dreimal: Sie haben keine Ahnung, wie man eine Tour organisiert."

Marcel Kittel ist einer der Wortführer im Peloton geworden - und hofft am Sonntag in Paris auf seinen zweiten Etappensieg bei der diesjährigen Tour. (Foto: Yoan Valat/dpa)

L'Etat, c'est Aso, und die Fahrer sollen schweigen - das ist offenkundig das Motto der Tour-Bosse.

"Da muss mehr Druck stattfinden, von mehreren Seiten", fordert Marcel Kittel

Diverse Athleten verstört diese Haltung. "Ich glaube, dass ein großes Miteinander stattfinden muss zwischen Rennfahrern, Organisatoren und dem Weltverband", sagt Sprinter Kittel, der mit einem Erfolg auf den Pariser Champs-Élysées am Sonntag die gegenüber den Vorjahren bislang magere deutsche Bilanz mit nur einem Tagessieg (Kittel/vierte Etappe) polieren will: "Das, was man bei der Tour gesehen hat, ist nicht der Anspruch, den die Aso an sich selber haben kann."

Die Sicherheit ist nicht das einzige Thema, das viele Fahrer während des ganzjährigen Rennzirkusses irritiert. Es geht bisweilen auch um Streckenführungen, bei denen der Schwierigkeitsgrad bereits dokumentiert, dass Organisatoren nur nach einem heroischen Kampf lechzen - ungeachtet der Wahrscheinlichkeit, dass ein überaus schwieriger Parcours auch den Griff zu leistungssteigernden Mitteln forcieren dürfte. Als hätte der Radsport in dieser Hinsicht nicht schon genug Probleme. Als der Giro d'Italia vor zwei Jahren die Fahrer bei heftigem Schneefall und eisiger Kälte aufs 2758 Meter hohe Stilfser Joch dirigierte, ätzte der Österreicher Eisel: "Es war nur eine Show für das Fernsehen, für die Fans, wie im alten Rom. Ich finde das krank."

Die Problem-Liste ließe sich weit verlängern. Es geht um Vermarktungsrechte, um die Zahl der Renntage oder um Rahmenbedingungen während einer großen Rundfahrt. Denn da kommt es schon mal vor, dass die Fahrer bei größter Hitze in unklimatisierten Hotels nächtigen.

Formal gibt es durchaus Vertretungen für die Pedaleure. Der Weltverband UCI hat eine Athletenkommission installiert, aber die ist heterogen zusammengesetzt: Sie besteht aus 13 Personen aus allen Disziplinen, vom Straßenrennsport bis zum BMX-Fahren. Daneben gibt es auch eine Fahrer-Gewerkschaft namens GPA, die der frühere Weltmeister Gianni Bugno führt. Aber der Italiener hat unter anderem nach einer Bewährungs-Haftstrafe wegen Amphetamin-Besitzes nicht den besten Ruf. Und als bedingungsloser Vorkämpfer für die Athletenrechte ist die GPA bislang kaum aufgefallen.

Da sollte es nicht wundern, falls sich demnächst einige Pedaleure zu einer neuen Interessensgruppe zusammenschließen. "Im Moment fällt es den Fahrern schwer, unsere Anliegen unterzubringen", gibt Kittel zu: "Da muss mehr Druck stattfinden, von mehreren Seiten."

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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