Radsport:"Warum seid ihr alle so ernst?"

KUURNE BELGIUM FEBRUARY 26 SAGAN Peter SVK Rider of BORA HANSGROHE pictured during the podi

Mischt mit der Mentalität eines Mountainbikers den Radrennsport auf: Der Slowake Peter Sagan, hier im belgischen Kuurne.

(Foto: imago/Panoramic International)

Peter Sagan gilt als Rockstar der Radsportszene. Im Interview vor dem Start der Tour de Suisse spricht der Slowake über sein Image und seine Lust am Leiden.

Interview von Emil Bischofberger und Christian Zürcher

Radsportler werden im Jahr 2017 nicht mehr zwangsläufig auf der Straße erkannt - doch Peter Sagan schon. Der Slowake, 27 Jahre alt, wurde Straßenweltmeister 2015 und 2016, er hat sieben Etappen bei der Tour de France gewonnen und von 2012 bis 2016 fünf Mal in Serie das Grüne Trikot des besten Sprinters. Seit dieser Saison fährt er für das deutsche Team Bora-Hansgrohe, er verdient geschätzte fünf bis sechs Millionen Euro im Jahr - mehr als jeder andere Radprofi. Im Interview vor dem Start der Tour de Suisse spricht er über sein extravagantes Image, die Leiden eines Radfahrers und den Druck, zu gewinnen.

Herr Sagan, wo Sie sind, ist auch die Show und Extravaganz nicht weit. Wie bewusst pflegen Sie dieses Image?

Ich bin einfach ich selber, das gehört einfach zu mir.

Dann sind die anderen Fahrer zu anständig, zu langweilig?

Schauen Sie, Radfahren ist sehr hart. Und ich denke, je härter ein Sport ist, umso ernster werden die Sportler. Sie versuchen alle kleinen Dinge richtig zu machen. Sie überlegen sich alles bis ins letzte Detail: Wann sie schlafen gehen, was sie essen, wie sie sich erholen. Das prägt, das hinterlässt im Kopf Spuren. Das ist der Grund, weshalb die meisten Fahrer dann ernst wirken. Aber das ist normal, es ist ein harter Sport.

Und Sie?

Ich habe einen anderen Background. Ich bin erst Mountainbike gefahren. Da dauert das Rennen eine gute Stunde, ich habe mich auch im Motocross versucht, ich mag Downhill. Da hast du eine total andere Mentalität, diese versuche ich zu behalten. Sonst ist es für mich ein langweiliger Sport. Aber ich frage mich manchmal schon auch: Warum seid ihr alle so ernst? Wir müssen auch Spass haben!

Sie haben auf höchstem Level Spass, andere leiden.

Ich habe körperliche Voraussetzungen, die mir helfen und mich vielleicht bevorteilen. Doch das alleine hilft dir nichts. Du musst hart arbeiten. Das mache ich.

Arbeiten Sie mehr als die anderen?

(lacht laut) Sicher nicht. Meine Mentalität ist auch: Du kannst so hart trainieren wie du willst - aber das ist nicht immer effizient. Manchmal ist weniger mehr. Wir haben bereits so viele Rennen in einer Saison, daneben das harte Training und die Erholung. Dazwischen braucht es eine gute Balance.

Und Sie sind effizient?

Nicht immer. Ich lerne immer noch dazu.

Wenn man Ihnen beim Fahren zuschaut, wirken Sie sehr locker.

Wenn Sie mich im Rennen sehen, dann fahre ich vorne im Feld, weil es mir gut läuft - und das Fernsehen filmt mich. Wenn ich aber leide und hinten bin, dann ist keine Kamera da.

Leiden Sie gerne?

Wer macht das gerne? Ich mag das nicht. Aber es gehört dazu.

Wie leiden Sie?

Ich jammere - und halte es aus. Und wenn im Training einer schneller fahren will als ich, sage ich ihm, er soll nur zufahren. Doch ich gehe sicher nicht mit.

Und im Rennen?

Da ist es anders. Wenn du merkst, dass die anderen leiden und du sie abhängen kannst, dann leidest du mit Vergnügen. Du fühlst dich gut, der Körper läuft rund, das passt. Wenn es aber schlecht läuft, dann leidest du doppelt, dann leidet auch der Kopf.

Wo leiden Sie am meisten?

Wenn du nicht um den Sieg mitfährst, fühlst du es einerseits in den Beinen, andererseits sagt dir der Kopf, dass du eigentlich vorne sein müsstest. Das ist hart. Das eine folgt auf das andere.

Sie sind in vielen Kategorien gut: im Sprint, in schweren Eintagesrennen, in den Abfahrten. In welchem Bereich möchten Sie sich noch verbessern?

Um in meinen Rennen zu reüssieren, muss ich als Fahrer möglichst komplett sein. Natürlich könnte ich mich beim Bergauffahren verbessern. Aber würde ich dann jene Rennen gewinnen? Es würde immer Bergfahrer geben, die noch besser, noch leichter wären als ich. Zudem besteht die Gefahr, dass du nur auf Kosten von etwas anderem besser wirst. Wenn ich also mehr am Berg trainiere, dann verliere ich womöglich meine Stärken im Sprint - und umgekehrt komme ich vielleicht nicht mehr mit dem Feld über die entscheidenden Hügel, wenn ich im Training mehr auf den Sprint setze. Das ist sehr dünnes Eis, auf dem ich mich da bewege. Gewisse Fähigkeiten kann man sich schon als Kind aneignen. Wenn Sie von klein auf turnen, bleiben ihre Muskeln geschmeidig. So ist es bei mir mit dem Bergabfahren. Ich bin früher viel Mountainbike gefahren, auch Sprünge. Das gibt ein gutes Gefühl für das Rad. Das hilft.

Stürzten Sie damals auch?

Natürlich. Oft.

Haben Sie nie Angst, wenn Sie in einer Abfahrt bis ans Limit gehen?

Es gibt Kurven, da denkst du, "Oh, das war knapp am Sturz vorbei", doch dann ist der Moment schon vorbei, es kommt die nächste Kurve - du hast gar keine Zeit, darüber nachzudenken. Aber ich fahre immer so, dass ich das Rad unter Kontrolle habe. Du musst Dir und dem Material vertrauen. Wenn es hingegen Öl oder Kies auf der Strasse hat, hast du keine Chance. Aber an so etwas denke ich nie.

Wenn wir über Angst sprechen: Fürchten Sie das Verlieren?

(Überlegt lange) Ich glaube nicht. Vielleicht wenn ich über eine lange Zeit nichts gewinne, dann könnte die Angst vor einer weiteren Niederlage kommen. Doch es geht um etwas anderes: die gute physische Verfassung. Wenn ich das Gefühl habe, alles gemacht und eine gute Leistung gebracht zu haben, dann kann ich eine Niederlage akzeptieren. Im Moment ist das zwar hart. Ich blieb bei der Tour de France zwei Jahre ohne Etappensieg. Klar gibt es da Momente, in denen du sagst: "Aufhören!" Aber dann realisierst du, dass es nur ein Rennen ist, dass bald das nächste folgt.

Die Durststrecke ist längst vorbei, Sie stehen bei vier Saisonsiegen. Wie fühlt es sich derzeit an, Peter Sagan zu sein?

Ich bin glücklich. Ich will nichts an mir ändern und ich selbst bleiben. Häufig ist das Leben lustig, manchmal aber auch hart.

Was ist hart?

Nur schon das Leben eines professionellen Radfahrers ist hart. Du musst viel trainieren, du ordnest dem dein ganzes Leben unter. Es gibt aber auch Dinge, die mein Beruf mit sich bringt, wie Sponsoren, Fans, Medien. Du hast weniger Zeit für dein Privatleben, für die Dinge, die du lieber tun würdest. Aber das ist alles eine Frage, wie du damit umgehst.

Und Druck und Erwartungen?

Das kenne ich nicht. Ich bin relaxed. Wenn ich gut arbeite, und wenn ich glaube, die richtigen Dinge zu tun, dann kommen die Resultate automatisch. Daran glaube ich. Ich denke nicht an Resultate.

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