Radsport: Vuelta:Heimvorteil vor der Weltkugel

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Die Spanienrundfahrt ist spannender denn je: Ein Favorit wurde nach Hause geschickt, die anderen schwächeln - die Basken greifen an. Der große Gewinner bisher heißt Igor Anton. Ein reiner Kletterer.

David Binnig

Ob Bjarne Riis wie ein sorgender Vater - oder ein eifersüchtiger Ehemann - die Nacht über lauernd im dunklen Hotelzimmer saß, ist nicht überliefert. Doch irgendwie hat er den Sünder erwischt: Andy Schleck, den Zweiten der Tour de France, den Sieger der Herzen, den großen Favoriten auf den Vuelta-Sieg. Schleck, 25 Jahre alt und das größte Talent des Radsports, war einen Trinken. Saxobank-Teamchef Riis schickte ihn zur Strafe nach Hause.

Die Hoffung des Baskenlands: Igor Anton bei seinem zweiten Etappensieg in Andorra. (Foto: AP)

Schon jetzt gehen der Rundfahrt die Favoriten aus: Der Russe Denis Menchow, der die Vuelta schon zwei Mal gewann, liegt nach einem Sturz weit zurück. Der spanische Vorjahressieger Alejandro Valverde ist wegen Dopings gesperrt. Und der Luxemburger Andy Schleck ist eben aus dem Rennen, weil er schlecht in Form und/oder unmotiviert war, mit seinem Teamkollegen Stuart O'Grady ein paar Frust-Biere trank und dem Teamchef mitteilte, dass er ihn verlassen wird. Er, sein Bruder Frank und O'Grady werden am Saisonende zu einem neuen luxemburgischen Team wechseln .

Trikot wechsel dich

Trotz oder wegen der Favoritenstürze ist die Vuelta bunter und der Kampf um das Führungstrikot spannender denn je. Lange lagen zwei Fahrer zeitgleich an der Spitze: die Spanier Joaquin Rodriguez und Igor Anton. Dank einer Zeitbonifikation von zwei Sekunden aus einem Zwischensprint zog Rodriguez Anton das rote Trikot aus. Nach nur einem Tag verlor er es wieder. Denn am Mittwoch, auf dem Weg zur Bergankunft in Andorra rückte Anton die Verhältnisse zurecht. Er attackierte, distanzierte Rodriguez, gewann seine zweite Etappe und führt das Klassement wieder an. "Ich schwebe auf einer Wolke. Jetzt kann ich nicht mehr lügen: Ich kämpfe um den Gesamtsieg bei dieser Vuelta", jubelte Anton in Andorra.

Dabei wirkt es angesicht von Antons Herkunft fast wie ein Witz, dass dieses Jahr das Trikot des Führenden nicht gold, sondern rot gefärbt ist - eine Hommage an das Leibchen der Fußball-Weltmeister und die spanischen Sport-Triumphe der vergangenen Jahre. Igor Anton aber fühlt sich nicht als Spanier. Er ist Baske. Bereits 2006 hatte der heute 27-Jährige eine Bergetappe gewonnen, 2007 wurde er Gesamt-Achter. Danach lief für das vielversprechende Talent nicht mehr viel zusammen: 2008 konnte er die Rundfahrt nach einem Sturz nicht beenden, 2009 wurde er 33. In diesem Jahr ist er der unumstrittene Kapitän der inoffiziellen baskischen Nationalmannschaft, Euskatel-Euskadi.

Spanien-Rundfahrt
:Verliebt in Igor

Küssende Kletterspezialisten, Etappensieger mit Champagnerflaschen und ein Luxemburger, der etwas zu tief ins Glas schaute. Die Spanien-Rundfahrt in Bildern.

David Binnig

Euskaltel ist eine Genossenschaft, an der die baskische Regionalregierung beteiligt ist. Die Profi-Mannschaft gehört somit teilweise der Bevölkerung. In ihrer Heimat sind Igor Anton und seine Teamkollegen Helden, die positiven Dopingfälle der vergangenen Jahre (Mikel Astarloza, Iñigo Landaluze, Txema del Olmo, Gorka Gonzales) werden von den Fans verdrängt. Euskatels Teammanger Igor González de Galdeano wurde während seiner Profi-Karriere selbst zwei Mal positiv getestet. Die Teamfarbe: grell orange.

Andi Schleck wurde mit nur 39 Sekunden Rückstand Zweiter der Tour de France. Von der Vuelta schickte ihn sein Teamchef nach Hause. (Foto: dpa)

Bald wird diese Farbe bei der Vuelta wieder die Straßenränder dominieren - zusammen mit dem Rot-Weiß-Grün der baskischen Fahnen. Vier Etappen führen in den kommenden Tagen durchs Baskenland, wo die fanatischen baskischen Radsportfans ihre Fahrer die steilen Berge der Pyrenäen hinauf brüllen und in den Vorjahren immer das gleiche Spektakel erlebten: wie die Orangenen attackieren, abwechselnd, immer wieder.

Die Anti-Zeitfahrer

Doch diesmal geht es für die Guerilla-Radler nicht nur um die Ehre. Sie haben ein Führungstrikot in den Bergen zu verteidigen. Die Chancen, das zu schaffen und mit dem Vuelta-Sieg den größten Triumph ihrer Team-Geschichte einzufahren, stehen besser denn je. Igor Anton, 1,73 Meter groß, 58 Kilogramm schwer, wirkte bei den Bergetappen frischer als die Konkurrenz. Auf seinen ärgsten Widersacher, den Italiener Vincenzo Nibali, hat er einen Vorsprung von 45 Sekunden.

Und auch wenn mit dem Zeitfahren noch eine 46 Kilometer lange Tortur bevorsteht, die den Euskatel-Männern traditionell verhasst ist, spricht das Profil für den baskischen Kletterer. Erst einmal stehen drei Bergankünfte nacheinander an, und kurz vor dem Ziel in Madrid wartet der 22 Kilometer lange Anstieg auf die 2.265 Meter hohe La Bola del Mundo - die Weltkugel.

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