Radsport:Er will Spaß

Zurzeit wird Peter Sagan von den Radsport-Fans am meisten umschwärmt. Für den Mannschaftsfrieden kann der Slowake zum Risiko werden - tatsächlich ist er für sein Team auch mit Bodyguard ein Gewinn.

Von Johannes Knuth

Die List war gut geplant. Meter für Meter zog der Radprofi Peter Sagan dem Feld davon, schleichend und gar nicht so kraftvoll wie bei diesen krachenden Ausreißversuchen, die die Konkurrenz plätten wie ein Aufwärtshaken beim Boxen. Nein, diese Attacke war beachtlich, weil sie so unscheinbar wirkte. Die Konkurrenz ließ Sagan gewähren, noch waren 54 zähe Kilometer zu absolvieren bei der diesjährigen Auflage von Paris-Roubaix. Sagan, der spurtstarke Weltmeister, der jetzt fahnenflüchtig wurde: "Damit", sagte sein Teamchef Ralph Denk, "hatte man nicht gerechnet."

Als Sagan sich dann im Vélodrome von Roubaix als Erster über die Ziellinie schob, konnte man begutachten, wie der Erfolg den Slowaken erleichterte. Er schrie, sonnte sich in seiner puren Freude (die später vom Tod des Belgiers Michael Goolarts erstickt wurde). Endlich hatte Sagan diesen verflixten Klassiker auf seine Seite gezerrt, seinen zweiten nach der Flandern-Rundfahrt 2016. Roubaix ist eines der absurdesten Duelle mit den Elementen, die Fahrer rattern über 50 Kilometer Kopfsteinpflaster, das ist so angenehm, als hätte man einen Monat lang jeden Tag eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. "Einfach magisch", sagte Sagan, dicker Matsch hing in seinem Gesicht. Und dann war da noch die Art seines Erfolgs: So, wie es niemand erwartet hatte. Was wiederum Sagans Wirken gut erfasst.

Wenn man etwas von ihm erwarten kann, dann ist es das Unerwartete.

Peter Sagan, 28, ist der wohl bekannteste und ungewöhnlichste Protagonist im Peloton, das eine ist mit dem anderen eng verknüpft. Fachleute bewundern, wie vielseitig er ist, er kann die Eintagesklassiker genauso zähmen wie die Massensprints. Fünf Mal hat er bei der Tour de France das Grüne Trikot des Punktbesten gewonnen, die vergangenen drei WM-Titel gingen an ihn. Die Fans lieben ihn, weil er mit langen Haaren aussieht wie der Frontmann einer Grunge-Band, weil er schon mal auf dem Hinterrad ins Ziel fährt und Videos dreht, in denen er die Pralinenphilosophie des Filmcharakters Forrest Gump rezitiert. Bei Bora-hansgrohe, seiner Mannschaft, beschäftigen sie längst Sicherheitspersonal, in Frankreich und Belgien, wo die Frühjahrsklassiker Nationalfeiertagen gleichen, begleitet Sagan ein Bodyguard. Er käme sonst nicht rechtzeitig zum Start.

UCI WorldTour - Paris-Roubaix

Über Stock und Stein und Matsch und an jubelnden Zuschauern vorbei: Peter Sagan (rechts) ist auch bei den Frühjahrsklassikern in seinem Element.

(Foto: Bernard Papon/dpa)

Sagan und die bodenständige Bora-Equipe, nicht alle waren sich sicher, ob das gut gehen würde, als er vor zwei Jahren zu Denks Team aus dem oberbayerischen Raubling zog. Zu Unrecht, wie das Frühjahr wieder zeigt, und daran hat auch die eine oder andere Debatte nichts geändert.

Es passierte bei der Tour 2017, auf der vierten Etappe. Sagan und der Brite Mark Cavendish berührten sich im Zielsprint, Cavendish rauschte fürchterlich in die Bande. Die Jury warf Sagan noch am selben Abend aus der Tour. Allerdings war ihr in der ersten Aufwallung entgangen, dass Cavendish Sagan zuerst touchiert hatte, zu Boden sank - erst dann zuckte Sagans Ellenbogen, wie bei einem Reflex. Sein Team protestierte erfolglos, der Radsport-Weltverband UCI stufte den Crash erst im Dezember 2017 als Rennunfall ein, sprich: Sagan war rehabilitiert. Die UCI setzt seit dieser Saison auch einen Video-Schiedsrichter ein, um ähnliche Vorfälle besser zu beurteilen. Ob er im Nachhinein sauer sei, wurde Sagan zuletzt oft gefragt: Ach was, entgegnete er, warum solle er seine Emotionen an etwas knüpfen, das er nicht mehr ändern kann?

Bei Bora widmen sie sich lieber dem Jetzt. Sie haben im Winter Daniel Oss verpflichtet, einen erfahrenen Leutnant für die Helferflotte, der mit Veteranen wie Marcus Burghardt den Kapitän im Peloton schützt oder das Tempo bestimmt, wie es sich für das Team eines Edelfahrer gehört. "Wenn du alles auf einen Topstar ausrichtest, ist das riskant", sagt Denk, andererseits zahlt sich das Risiko oft aus. Und so viel Trubel wie Sagan auf sich zieht, so einfühlsam und höflich moderiere er das Binnenklima, sagen sie im Team. Sagan vermittle allen, dass sie Teil des Erfolgs sind, sagt Denk, "auch die, die auf den ersten Kilometern die Drecksarbeit machen." Nur aus Herzlichkeit speist sich dieses Miteinander freilich nicht. Wenn Sagan gewinnt, partizipieren die Helfer am Preisgeld.

Sagan fahre sowieso nicht mehr wegen des Geldes, davon habe er genug, sagt Denk (auch dank kolportierter sechs Millionen Euro Jahressalär): "Er will Spaß haben, auf dem Rad und in der Gruppe. Er ist ein Gefühlsmensch." Sagan verfügt daher über größere Bürgerrechte als die Kollegen: Mountainbike fahren zum Spaß, oder Familienbesuche. Er brachte seinen Bruder Juraj und drei Fahrer seiner alten Equipe mit, das war ihm wichtig, aber die Entourage habe sich vorbildlich integriert, sagt Denk. Letztlich, fügt er an, müsse man eines vermeiden: Wenn Sagan sich nicht wohlfühlt, lässt er einen das spüren.

Radsport: Auf dem Radl kann es für Peter Sagan auch mal dreckig werden.

Auf dem Radl kann es für Peter Sagan auch mal dreckig werden.

(Foto: AP)

Wenn Sagan Lust hat, spürt man das freilich auch. Bei Mailand-Sanremo vor einem Jahr etwa, als er vor dem Ziel eine unerwartete Flucht inszenierte. Manchmal erinnert das an den ehemaligen Skirennfahrer Bode Miller, der lieber eine waghalsige Linie erschuf, statt noch einen WM-Titel zu gewinnen. "Peter ist Erfolg sehr wichtig", sagt Denk, "aber die Art ist mindestens genauso wichtig." Sagan pflege damit auch seine Marke, "die kreierst du nur mit Außergewöhnlichem", sagt Denk.

Das Frühjahr hat Sagan seinem Arbeitgeber und den Sponsoren bereits veredelt, am Sonntag startet er beim Amstel Gold Race. Im Sommer könnte er bei der Tour sein sechstes Punktetrikot erwerben. Langfristig, glaubt Denk, könne Sagan, wenn er wolle, alle fünf Radsport-Monumente gewinnen: nach Roubaix und Flandern auch Lüttich-Bastogne-Lüttich, Sanremo und die Lombardei-Rundfahrt. Die Gesamtwertung der Tour werde er wohl nicht mehr anpeilen, glaubt Denk, dafür müsste er Gewicht und Kraft einbüßen, die bei den Klassikern fehlen würde. Andererseits: Es wäre nicht das erste Mal, sollte Peter Sagan die Fachwelt überraschen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: