Katjuscha:Drang nach Westen

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Der Spanier Joaquim Rodriguez, 37, ist der Kapitän der Katjuscha-Mannschaft bei der Tour de France. Nach der Saison will der Bergspezialist seine Karriere beenden. (Foto: Belga/imago)

Das russische Team gilt als politisches Projekt mit Schmuddelimage. Nun will es sich internationaler aufstellen und sucht Partner.

Von Johannes Aumüller, Mont Ventoux

Meist wirkten die Männer mit dem stylisch geschwungenen weißen "K" auf der Brust geknickt, wenn sie zuletzt nach Überqueren der Ziellinie zum Teambus rollten. Ihre Bilanz bis zur Etappe auf den Mount Ventoux, bei der sie ebenfalls hinterher fuhren, war unbefriedigend ausgefallen: Zwei Fahrer waren da bereits ausgestiegen, Sprinter Alexander Kristoff landete bei allen Massenankünften hinter den Top drei und Kapitän Joaquin Rodriguez, der nach dieser Saison seine Karriere beendet, hat sich den Verlauf der Tour auch ertragreicher vorgestellt.

Aber es geht in diesem Sommer für das russische Team Katjuscha nicht nur um eine erfolgreiche Tour und die angepeilte Wiederholung der Bilanz der Vorjahre (je zwei Siege 2014 und 2015), sondern auch um eine neue Zukunft. Die staatsnahe Combo mit dem gut gepflegten Schmuddelimage will sich strategisch komplett neu ausrichten - ein westeuropäischer Partner soll her, am liebsten ein deutscher. Das ist ein interessantes, aber auch ein schwieriges, da heikles Unterfangen.

Seit 2009 zählt Katjuscha zum Peloton. Allein der Name Katjuscha klingt wie eine klare Ansage, er weckte zugleich Assoziationen mit dem schönen alten Liebeslied von Michail Issakowski -, aber auch mit jener Mehrfach-Rakete, die im Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kam. In jedem Fall aber assoziiert man ihn mit Russland. Das ist kein Zufall. Katjuscha war bei seiner Gründung als politisches und ein russisches Projekt konzipiert. Der Kreml-nahe Oligarch Igor Makarow, der mit seiner Firma Itera in der Gas-Branche das große Geld verdiente, war der Hauptfinanzier; die typische Sportsponsorenflotte staatlich kontrollierter Konzerne von Gazprom bis Rosneft assistierte. Das Team sollte als Katalysator des nationalen Radsports dienen, als Russian Global Cycling Project wurde es verkauft. Eine Zeit lang war gar die Silhouette des Kreml auf den Trikots zu sehen.

Jetzt soll sich in dieser Mannschaft alles ändern. Eigner Makarow möchte sein Engagement offenkundig zurückfahren. Der politische und der russische Anteil des Projektes soll reduzieren werden, Katjuscha sich in ein international orientiertes Team verwandeln. Ein Schweizer Anwalt sondiert seit Längerem den Markt nach Unterstützern. Dem Vernehmen nach hat er mit mehreren deutsche Firmen gesprochen - nicht zuletzt mit Vertretern des Shampoo-Herstellers Alpecin, dessen weiteres Engagement bei Giant ungewiss ist.

Ein gewisser deutscher Einfluss gehört bei Katjuscha durchaus zur Tradition. 2012 amtierte dort der frühere Gerolsteiner-Boss Hans-Michael Holczer als Teamchef. Im Schlepptau kamen diverse deutsche Betreuer in die Mannschaft - fünf von ihnen sind rund um den Sportlichen Leiter Thorsten Schmidt bis heute aktiv. In Nils Politt (nicht bei der Tour dabei) steht zudem ein deutscher Fahrer unter Vertag, weitere junge deutsche Fahrer sollen folgen, die Gerüchteküche bringt sogar den Zeitfahr-Spezialisten Tony Martin mit Katjuscha in Verbindung. Aber ein deutscher Co-Sponsor und Namensgeber? Das wäre in der politischen und sportpolitischen Lage ein erstaunlicher Entschluss.

Internationalisierung und Namensergänzung wären ohnehin nicht ausreichend für einen Neuanfang. Das Misstrauen vieler Beobachter war nicht nur wegen der politischen Nähe groß, sondern auch wegen des Verhaltens in der Dopingfrage. Bis 2012 gab es so viele Fälle und Fragwürdigkeiten, dass der in Manipulationsaffären selten besonders strenge Rad-Weltverband (UCI) den Russen die Lizenz verweigerte. Erst ein Verdikt des obersten Sportgerichtshofes (Cas) brachte Katjuscha zurück ins Feld. Die Leitung um den früher beim Systemdoping-Team US Postal aktiven Wjatscheslaw Jekimow gelobte Besserung. Das Team schloss sich der Mouvement Pour un Cyclisme Crédible (MPCC) an, der Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport, die zwar nicht so toll ist wie sie gerne tut, aber zumindest ein paar gute Gedanken und Regularien einbringt.

Doch auch in den vergangenen zwölf Monaten gab es bei Katjuscha zwei Dopingfälle. Bei der Tour 2015 fiel der Italiener Luca Paolini mit Kokain auf, im Februar der Russe Eduard Worganow mit Meldonium. Zwei Positivbefunde in einem Jahr, das hätte laut MPCC-Regularien eine Sperre fürs nächste Rennen zur Folge gehabt. Was aber tat Katjuscha nach dem Meldonium-Fund? Es trat aus der MPCC aus und fuhr beim nächsten Rennen wieder mit.

Solche Aktionen könnte sich ein westeuropäischer Sponsor kaum erlauben, ohne Empörung zu ernten. Aber es ist auch klar, dass die Equipe ihre Wurzeln nicht gänzlich ablegen will: Aus Moskau verlautete, dass "Katjuscha" natürlich des Teamnamens sein soll.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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