Rad-WM:Degenkolb spritzt Rivalen Wasser ins Gesicht

Lesezeit: 3 min

Hat viel versucht, aber umsonst: John Degenkolb, ganz links. (Foto: dpa)

Deutsche Radfahrer versuchen beim WM-Straßenrennen in Katar mehrmals, eine Ausreißergruppe zu verfolgen. Weil ihnen niemand hilft, wird John Degenkolb wütend.

Von Johannes Aumüller, Doha/Frankfurt

Es ist für John Degenkolb nur zu hoffen, dass er nicht selbst die Zahl seiner Tempoverschärfungen mitgezählt hat. Er wäre wohl kirre geworden. Er trat an und wurde gestellt, er trat an und wurde noch einmal gestellt - und als er ein drittes, viertes und zehntes Mal vergeblich in die Pedale getreten war, schimpfte er kräftig mit den blaubehemdeten Belgiern, die sich wieder und wieder an sein Hinterrad setzten, und spritzte einem von ihnen den Inhalt seiner Wasserflasche ins Gesicht.

Aber auch das änderte nichts am Rückstand der Degenkolb-Gruppe auf die Gruppe ganz vorne im Rennen, und irgendwann ließ er die Tempoerhöhungen sein.

Die deutsche Mannschaft um Degenkolb sowie die beiden Top-Sprinter André Greipel und Marcel Kittel war der große Verlierer dieses WM-Rennens in Doha/Katar. Der deutsche Radsport konnte sich zumindest teilweise trotzdem freuen: Denn am Ende des 257,5 Kilometer langen Rennens schaffte es der Slowake Peter Sagan, der im kommenden Jahr für die Mannschaft Bora aus dem oberbayerischen Raubling fährt, im Sprint einer kleinen Gruppe seinen Vorjahrestitel vor Mark Cavendish (Großbritannien) und Tom Boonen (Belgien) zu verteidigen.

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Es war ein Tag mit einem für ein WM-Rennen verblüffenden Verlauf. Und das lag zum einen an der Hitze - und zum anderen am Wind. Der Schlussteil spielte sich auf einer künstlichen und etwas geschützten Insel namens Pearl ab, aber davor hatten die Fahrer viele Kilometer quer durch die Wüste zu absolvieren. Und es war erst eine gute Rennstunde vorbei, da bliesen ein paar Mannschaften in der kargen Umgebung zur bedingungslosen Attacke, allen voran die Belgier. Eine kräftige Windkante setzten sie auf, und so zersplitterte das Feld in viele kleine Teile. Greipel und Kittel waren abgeschlagen, Degenkolb fiel nach einem Defekt zu einem ungünstigen Zeitpunkt aus der ersten Gruppe zurück.

Degenkolb hat Pech mit einem Defekt

Als sich das Ganze etwas beruhigte, war die Lage klar: vorne knapp 30 Mann - und eine Minute dahinter eine größere Gruppe, in der außer dem deutschen Trio aber kaum jemand Interesse an der Nachführarbeit hatte. Kilometerlang ging es in dieser Konstellation durch Wüste, Wind und Wärme, und mit jedem Kilometer wuchsen die Ausweglosigkeit und der Frust. Irgendwann probierte es Degenkolb mit seinen Attacken, die von den verbliebenen Belgiern pariert wurden, und noch ein wenig später ließen es die Deutschen ganz sein.

Degenkolb und Kittel stiegen aus, Greipel fuhr als einziger Deutscher durch und kam mit 5:26 Minuten Rückstand auf dem 42. Rang ins Ziel. "Ich bin enttäuscht, dass ich im Sprint nicht vorne dabei war", sagte Greipel: "Wir haben gezeigt, dass wir den Mannschaftsgeist hatten. Ich hatte Fahrer an meiner Seite, die versucht haben, die Lücke zu schließen. Leider hat uns hinten keine andere Nation geholfen."

So endete eine an für sich ordentliche deutsche WM-Bilanz für den Bund Deutscher Radfahrer (fünf Medaillen, unter anderem Gold für Tony Martin im Zeitfahren) mit einer extremen Enttäuschung. Zeitgleich setzte auch die Debatte ein, ob die Verantwortlichen bei der Personalwahl alles richtig gemacht hatten.

Die Chancen auf den ersten deutschen Sieg in einem WM-Straßenrennen seit Rudi Altigs Triumphfahrt auf dem Nürburgring 1966 galten als hoch, denn mit Greipel und Kittel hatten über die Saison hinweg nur Cavendish und Sagan mitgehalten. Monatelang debattierte die Rad-Szene, welcher der beiden Fahrer das sechsköpfige Team anführen sollte. Am Ende lautete die verblüffende Wahl des BDR: Greipel und Kittel.

Auf den ersten Blick mag das vernünftig erscheinen, weil somit gleich zwei - und mit dem gleichfalls endschnellen Degenkolb sogar drei - deutsche Starter in einem Sprint Medaillen hätten erreichen können. Aber dem Mannschaftssport Radsport wird das nur bedingt gerecht. Da bedarf es für den Erfolg gemeinhin einer klaren Konzentration auf einen Kapitän, dem sich die anderen unterordnen - so wie etwa bei den Briten. Da stiegen nach den Windwirren der Anfangshase gestandene Profis wie Geraint Thomas oder Ian Stannard aus, aber sie hatten ihr Ziel bereits vollbracht: Cavendish in Gruppe eins zu halten.

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Im Zielsprint half ihm das freilich auch nichts mehr. Knapp unterlag er dem künftigen Bora-Fahrer Sagan, der gar kein reiner Sprinter ist wie Cavendish oder Greipel. Dafür ist der Slowake wohl nicht nur der Weltmeister, sondern tatsächlich der derzeit weltbeste Fahrer. Als erstem Athleten seit dem Italiener Paolo Bettini (2006, 2007) gelang es ihm, den Titel zu verteidigen. "Ich kann es nicht glauben, ich bin immer noch unter Schock", sagte Sagan: "Ich denke, ich hatte im Sprint Glück."

Und wahrscheinlich dachte er dabei auch noch einmal an den Moment in der Wüste, der schon kurz nach dem Start das Rennen vorentschieden hatte. Als letzter Fahrer erwischte er die Windstaffel der Belgier - der erste Fahrer, der nicht mehr mitkam, war André Greipel.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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