Quarterback bei der Super Bowl:Des Königs blaue Flecken

Super Bowl, Baltimore Ravens at Denver Broncos

Baltimores Joe Flacco (mi.): reich an Erfahrung, arm an Eitelkeit

(Foto: dpa)

Die Super Bowl bietet zwei Spielmacher auf, mit denen vor wenigen Wochen nur die wenigsten Football-Experten gerechnet hatten. Joe Flacco von den Baltimore Ravens ist alles andere als ein Anführer, San Franciscos Quarterback spielt besonders spektakulär - und gefährlich für sich selbst.

Von Christoph Leischwitz

Joe Flacco sitzt im zweiten Stock des Hilton Riverside-Hotels in New Orleans, Tisch Nummer sieben. Sechs Journalisten stehen um ihn herum, eine einzige Fernsehkamera filmt ihn. In einer Super-Bowl-Woche bekommt sogar manch verrückter Fan auf der Straße mehr Aufmerksamkeit, dabei ist Flacco niemand Geringeres als der Quarterback der Baltimore Ravens. Er sagt Dinge wie: "Viele haben keine Ahnung, worüber sie reden." Er sagt das über Menschen, die einen Quarterback nur aufgrund seiner spektakulären Spielzüge bewerten.

Es ist die vorletzte Mannschafts-Pressekonferenz vor der Super Bowl Nummer 47 (Montag, 0.30 Uhr MEZ/Sat 1), hinter Flacco sitzen Mitspieler an weiteren Tischen, andere wie Passempfänger Torrey Smith oder Runningback Ray Rice gar auf Podien. Bei Fragen über die Aufgaben eines Quarterbacks rollt Flacco bisweilen mit den Augen, aus seiner Sicht wird zu viel in seine Position hineingelesen. In den Tagen vor der Super Bowl geht es für die meisten Spieler darum, den Medienwahnsinn durchzustehen, genau das ist der große Unterschied zu einem gewöhnlichen Saisonspiel: versuchen, auf dem Teppich zu bleiben.

Flacco bleibt auf dem Teppich, weil gar keiner versucht, ihn von dort wegzuholen. Er hat gut gespielt in den Playoffs, vor allem gegen die Denver Broncos, als er drei Touchdown-Pässe warf. Doch er ist weder der mediale, noch der moralische oder der sportliche Anführer, wie es Quarterbacks meistens sind, obwohl er mit 28 Jahren einer der erfahrensten Spieler des Teams ist.

Viele der Journalisten, die einen Quarterback gerne nach seinen spektakulären Spielzügen bewerten, waren zwei Stunden zuvor schon im Mannschaftshotel der San Francisco 49ers. Dort stand deren Quarterback Colin Kaepernick nicht nur auf einem Podium, er stand auf einer Bühne in einem Saal so groß wie ein halbes Footballfeld. Kaepernick hat eben nicht nur gut, er hat spektakulär gespielt in dieser Saison. Dabei hat er nur acht Spiele von Beginn an bestritten, denn er hat am elften Spieltag Alex Smith nach dessen kurzer Verletzung von seinem Platz verdrängt. Die große Frage ist nun, ob in der Super Bowl Kaepernicks innovatives Spiel oder doch seine mangelnde Erfahrung überwiegen werden.

Flink trotz Gewicht

Er ist der erste Quarterback, der eine alte Offensivvariante zur Super Bowl getragen hat, die so genannte "Read option". Dabei entscheidet der Spielmacher oft erst während des Spielzugs, was im Detail passieren wird, zum Beispiel, welche Route der Runningback mit dem Ball läuft - oder ob er vielleicht sogar selbst den Ball nach vorne trägt. Dank dieses Elements hat er Smith verdrängt, obwohl Kaepernick - nebenbei bemerkt - auch über einen starken Wurfarm verfügt.

Diese Angriffsvariante verlangt einen flinken, entscheidungsfreudigen Quarterback, doch sie ist auch riskant, denn die Verletzungsgefahr steigt immens. In den Anfängen des Spiels war der Quarterback noch so etwas wie der König in einem Schachspiel - einmal berührt, wankt das ganze Reich. Heute holt sich der König die blauen Flecken persönlich ab, er spielt eben: spektakulär. In der Playoff-Partie gegen die Green Bay Packers erlief Kaepernick 181 Yards selbst, so viel wie noch nie zuvor ein Quarterback in der NFL.

Kaepernick steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, mit 84 NFL-Partien weniger in den Beinen als sein Kontrahent Joe Flacco. Er hat ruhige, weiche Augen, deshalb ist kaum zu erkennen, dass er tatsächlich ein wenig angespannt ist. Seine Finger krallen sich ins Stehpult, seine Antworten sind selten länger als fünf Sekunden. Er finde es komisch, sagt der Vieltätowierte einmal, dass er vor drei Monaten noch durch die Straßen von San Francisco laufen konnte, ohne erkannt zu werden.

Doch vielleicht darf sich Kaepernick sogar den einen oder anderen Fehler erlauben. Denn was im Rummel um seine Person gerne untergeht, das sind seine Vorblocker in der "Offensive Line" der 49ers, der wahre Schrecken der Liga. Die fünf Spieler wiegen zusammen 732 Kilogramm, sie sind trotz ihres Gewichts flink und vor allem gut eingespielt - und geben Kaepernick überhaupt erst die nötigen Zehntelsekunden Zeit für seine Entscheidungen.

Für Baltimore wiederum trifft es sich da gut, dass ihr wahrer Anführer in der Abwehr spielt. Linebacker Ray Lewis befindet sich in seiner 17. Saison, die Super Bowl in New Orleans wird das letzte Spiel seiner Karriere sein. Gerade musste er sich noch Doping-Vorwürfen erwehren (der Einnahme von Hirschgeweih-Spray) - und nutzte die Gelegenheit, seinen jüngeren Mitspielern einzubläuen, dass man sich von so etwas nicht ablenken lassen dürfe: Es handele sich um "Tricks des Teufels", so der gläubige Lewis, um in die Köpfe der Spieler zu gelangen. Wütend sei er nicht, er sei vielmehr "too blessed to be stressed", zu gesegnet, um sich von so etwas nerven zu lassen. Lewis scheint der Einzige zu sein, der gar nicht mehr versucht, auf dem Teppich zu bleiben. Er scheint zu fliegen.

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