Qualifikation zur EM 2016:Hollands Voetbal ist beinahe am Ende

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Auch gegen die Türkei setzt es eine Niederlage: Wesley Sneijder (Mitte) kann es nicht fassen. (Foto: dpa)

Die Niederlande sind in Not, die Nationalelf wird die EM wohl verpassen. Bislang gelang dem holländischen Fußball allerdings nach einem Schock stets ein beeindruckender Neuanfang.

Kommentar von Ulrich Hartmann

Ein Aufschrei des Entsetzens ging durchs Volk, das ist mehr als ein Jahr her: Die Niederländer spielten bei der WM in Brasilien. Der Bondscoach Louis van Gaal wagte es, das historisch gewachsene und beinahe schon in die Staatsverfassung aufgenommene 4-3-3-System zur Förderung eines offensiven Spaßfußballs in ein abwartendes, beinahe ängstliches 5-3-2-System zu verunstalten. Van Gaal hatte Oranje zur Fünferkette verurteilt. Oranje heulte auf. Van Gaal musste sich grimmig rechtfertigen. Als die Niederlande am Ende WM-Dritter waren, spürte er Genugtuung. Van Gaal hatte einfach früher als das Volk erkannt, an welcher Stelle seine Mannschaft anfällig war.

Ein Aufschrei des Entsetzens ist auch jetzt zu vernehmen. Holland ist in Not, diesmal wirklich, sein Voetbal beinahe am Ende. Der Van-Gaal-Nachfolger Guus Hiddink und sein Assistent Danny Blind hatten den Niederlanden im Herbst 2014 ihr geliebtes 4-3-3 zurückgegeben. Die Volksseele atmete auf. Das Land freute sich vor Beginn der EM-Qualifikation auf die Rückkehr zum dominanten Spaßfußball. Doch aus dem Spaß wurde bitterer Ernst: 1:2 in Tschechien, 0:2 in Island, 1:1 gegen die Türkei, 0:1 gegen Island und zuletzt, am Sonntag, ein 0:3 in der Türkei. Nicht einmal der Trainerwechsel von Hiddink zu Blind konnte das verhindern. Die Mannschaft droht die EM 2016 zu verpassen. Die stets äußerst sensible Presse fühlt sich "abgestoßen" und "angeekelt".

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Von Ulrich Hartmann

An der individuellen Qualität der Spieler kann es kaum liegen. Die Linksflügler Daley Blind und Memphis Depay reüssieren bei Manchester United. Arjen Robben und Klaas-Jan Huntelaar gehören beim FC Bayern und bei Schalke 04 zu den besten Angreifern der Bundesliga. Stefan de Vrij von Lazio Rom und Bruno Martins Indi vom FC Porto gehören zu den aussichtsreichsten jungen Innenverteidigern Europas. Wesley Sneijder von Galatasaray und Robin van Persie von Fenerbahçe Istanbul bringen zumindest viel Erfahrung ins Spiel. Sie alle waren dabei, als die Niederlande in Brasilien Bronze gewannen. Jetzt sind sie dabei, die EM in Frankreich zu verpassen.

Überall Lücken nach dem Abschied von Louis van Gaal

In der Mannschaft haben sich nach dem Weggang van Gaals Lücken aufgetan: spielerische Lücken zwischen Offensive und Defensive, mentale zwischen Alt und Jung, emotionale zwischen Team und Trainerstab. Hiddink und sein Assistent Blind sowie heute Blind und seine Assistenten Marco van Basten und Ruud van Nistelrooy haben das passende System für diese Mannschaft nicht gefunden. Ihr 4-3-3 ist es nicht. Robben und Sneijder sind 31 Jahre alt, Huntelaar und van Persie 32. Hinzu kommen Depay, 21, Davy Klaassen, 22, Martins Indi, 23 - Bondscoach Blind tut sich schwer, die Generationen mental und taktisch zu verbinden.

Der niederländische Fußball ist bereits zweimal ins Loch eines missratenen Übergangs gestürzt: 1984 und 1986 versäumte man nacheinander EM und WM, 2002 noch einmal eine WM. Der Verband besitzt Routine im Verarbeiten solcher Betriebsunfälle. Nach dem ersten Schock Mitte der Achtziger wurden die Niederländer 1988 Europameister. Nach dem zweiten Schock zu Beginn des Jahrtausends schafften sie es 2010 bis ins WM-Finale. Es sieht so aus, als müsste der niederländische Fußball in diesem Herbst den dritten großen Neuanfang seiner Geschichte angehen.

© SZ vom 08.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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