Publikum bei US Open:Wenn der Mob rülpst

2015 U.S. Open - Day 14

Unbeliebter Sieger: Novak Djokovic in New York

(Foto: AFP)

Spielt Roger Federer im Finale etwa gegen einen fiesen Bösewicht? Wie unfair und respektlos das New Yorker Tennis-Publikum mit Novak Djokovic umgeht.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Freundlichkeit, das weiß jeder, der dort einmal mit der U-Bahn gefahren ist, gehört in New York nicht zu den Primärtugenden. Wer in der Stadt eine Sportveranstaltung besucht, macht zudem die Erfahrung, dass die New Yorker auch gerne mal lautstark pöbeln und provozieren. Am Sonntagabend, auf der Tennis-Anlage von Flushing Meadows, haben sie dieses fragwürdige Benehmen in neue Grenzbereiche geführt: Sie hatten sich nicht nur in den Kopf gesetzt, den einen - Roger Federer - zum Sieg zu brüllen. Sie bejubelten jeden Fehler des anderen - Novak Djokovic - und versuchten fortwährend, dessen Konzentration noch während der Aufschlagbewegung durch Rufe und, ja: lautstarke Rülpser zu stören. Es hatte bisweilen den Anschein, als würden sich da nicht Federer und Djokovic duellieren, sondern der Held Luke Skywalker und der Bösewicht Darth Vader aus den Star Wars-Filmen.

Natürlich ist Federer einer der feinsten und fairsten Sportler der Geschichte, ihm gebührt jeder einzelne aufmunternde Ruf. Aber Djokovic ist kein Bösewicht, er hat sich in den beiden Wochen in New York nicht nur tadellos benommen, sondern sich auch aktiv um die Gunst des Publikums bemüht. Er hat nach jeder Trainingseinheit geduldig Autogramme geschrieben, nach seinem Sieg in der zweiten Runde hat er mit einem ausgeflippten Fan getanzt und sich ein T-Shirt mit der Aufschrift "I Heart New York" übergestreift. Auf die Zwischenrufe während des Finals reagierte er gelassen wie ein tibetischer Mönch.

Djokovic hat jetzt mehr Punkte in der Weltrangliste als Murray und Wawrinka zusammen

Auf der Tribüne stand sein deutscher Coach und sah so aus, als bräuchte er dringend einen Kurs in tibetischer Meditation: Der Trainer Boris Becker war nervöser, als es der Spieler Becker je war. Nicht wenige Beobachter haben sich zu Beginn der Zusammenarbeit im Dezember 2013 gefragt, was Boris Becker einem der besten Tennisspieler der Welt noch würde beibringen können. Aber wenn Becker in seinem Leben eine Erfahrung zur Genüge gemacht hat, insbesondere nach seiner aktiven Tennis-Karriere, dann ist es diese: Wie man lernt, mit Schmähungen umzugehen.

Novak Djokovic hat in diesem Jahr bei jedem Grand-Slam-Turnier das Finale erreicht, das haben vor ihm nur Rod Laver und Roger Federer geschafft. Drei dieser Endspiele hat Djokovic gewonnen. Nach den US Open führt er die Weltrangliste derart souverän an, dass die Punkte der Spieler auf Platz drei (Andy Murray) und vier (Stan Wawrinka) gemeinsam nicht ausreichen würden, um ihn zu überholen. Die Leistung von Djokovic bei diesem Turnier, seine komplette Saison und auch die fruchtbare Zusammenarbeit mit Boris Becker verdienen das, was das Publikum ihm in New York verwehrt hat: Respekt.

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