Public Viewing bei der Fußball-WM:Schaun mer mal

Public Viewing Berlin

Ausnahmsweise erlaubt: Jubeln bis nach Mitternacht

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Deutschland in der Nacht - um den Schlaf gebracht? Die Bundesregierung erlaubt während der Fußball-WM in Brasilien das Public Viewing auch spät nachts. Wessen Freud und wessen Leid das wird: Antworten auf drängende Sommerfragen.

Von Kim Björn Becker

Am Ende eines jeden Märchens steht eine Erkenntnis. Vom "Sommermärchen", also der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland 2006, bleibt etwa folgende: Fußball schaut man nicht alleine, sondern in der Gruppe. Und je größer diese Gruppe ist, desto besser.

Dieser Merksatz wird erfahrungsgemäß vor allem beim Public Viewing erfüllt, dem wohl geselligsten Fußballerlebnis, das es im Land jemals gegeben hat - zumindest was die Zahl der Zuschauer betrifft: Während großer Turniere verfolgen von Hamburg bis München seit 2006 jeweils Zigtausende die Spiele der Nationalelf auf einer Großleinwand unter freiem Himmel. Die größte Veranstaltung findet stets auf der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor in Berlin statt.

Doch die Fußball-WM in Brasilien, die am 12. Juni beginnt, stellt die deutsche Public-Viewing-Kultur mit einem Mal vor eine Herausforderung: Die Zeitverschiebung zwischen Südamerika und Westeuropa führt dazu, dass viele Spiele nach deutscher Zeit erst spät am Abend oder nachts angepfiffen werden. Das wiederum verträgt sich nur schwer mit den deutschen Lärmschutzbestimmungen. Damit auch in diesem Sommer wieder gemeinschaftlich gejubelt - und auch getrauert - werden kann, hat das Bundeskabinett in Berlin an diesem Mittwoch eine Sonderregelung beschlossen. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.

Wie spät beginnen jeweils die Spiele?

In der Vorrunde beginnen die Spiele der Fußball-WM zwischen 18 Uhr abends und 3 Uhr morgens deutscher Zeit. Deutschland spielt in Gruppe G und tritt für hiesige Zuschauer zu einer recht angenehmen Zeit an: Anstoß gegen Portugal ist am 16. Juni um 18 Uhr deutscher Zeit, gegen Ghana geht es am 21. Juni um 21 Uhr los, und Anpfiff in der Partie gegen die USA ist am 26. Juni abermals um 18 Uhr. Im gesamten Turnier wird knapp die Hälfte der insgesamt 64 Begegnungen erst um zehn Uhr abends oder später angepfiffen. Um 3 Uhr morgens findet während der gesamten WM bloß eine Partie statt: Am 15. Juni spielt die Elfenbeinküste gegen Japan.

Die gute Nachricht: Nach dem Ende der Gruppenphase wird dann durchweg zwischen 18 und 22 Uhr deutscher Zeit angestoßen - kommt es dann allerdings zur Nachspielzeit oder zum Elfmeterschießen, kann so manche Partie nach Mitternacht enden. Das Finale am 13. Juli in Rio de Janeiro wird schließlich um 21 Uhr deutscher Zeit angepfiffen - in der brasilianischen Metropole ist es dann gerade 16 Uhr am Nachmittag.

Was genau hat das Kabinett nun beschlossen?

Was genau hat das Kabinett nun beschlossen?

An diesem Mittwoch hat das Bundeskabinett in Berlin einen Entwurf abgesegnet, den das Umweltministerium erarbeitet hat. Das Papier liegt der SZ vor: Unter dem etwas sperrigen Titel "Verordnung über den Lärmschutz bei öffentlichen Fernsehdarbietungen im Freien über die Fußball-WM 2014" verbirgt sich ein verwaltungsrechtlicher Kunstgriff, der es den Städten und Gemeinden ermöglicht, auch spät abends noch Public Viewing genehmigen zu können - ohne die Sonderregel wären ihnen dabei die Hände gebunden.

Der Trick geht so: Öffentliche Fernsehübertragungen werden für die Dauer der Fußball-WM einfach rechtlich mit Sportanlagen gleichgesetzt - für sie gelten nämlich andere Bedingungen als für die meisten anderen Veranstaltungen. So können ausnahmsweise auch nach 22 Uhr noch Spiele gezeigt werden, ohne dass jubelnde Fans sich auf die Lippen beißen müssten. "Das gemeinschaftliche Fußballgucken unter freiem Himmel gehört zu einer Fußball-Weltmeisterschaft einfach dazu. Bei einem solchen Anlass halte ich Ausnahmen vom Lärmschutz für gerechtfertigt", sagte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Den Kniff hat die Bundesregierung erstmals 2006 angewandt sowie danach bei allen weiteren Welt- und Europameisterschaften. Diesmal finden die Spiele allerdings teils deutlich später statt als in den Jahren zuvor, daher kommt der Regelung nun ein besonderes Gewicht zu.

Wer entscheidet am Ende über das Public Viewing?

Mit der Sonderverordnung gibt die Bundesregierung den Städten und Gemeinden also die Möglichkeit, überhaupt Public Viewing zu so später Stunde zuzulassen - ob sie es tatsächlich genehmigen, ist den Kommunen überlassen. In den meisten Städten entscheiden die Ordnungsämter über entsprechende Anträge. Dabei haben die Behörden einen Ermessensspielraum. Ausschlaggebend für die finale Entscheidung sind zum Beispiel "das Publikumsinteresse und die Bedeutung des Spiels für den Turnierverlauf, die Abstände zu Wohnbebauung und schutzbedürftigen Einrichtungen, die Sensibilität des Umfeldes (...) sowie Umfang, Anzahl und Aufeinanderfolge der zugelassenen Ausnahmen".

Kurz: Wie wichtig ist ein Spiel? An welchem Tag findet es statt? Und wo ist die Leinwand aufgebaut?

Welche Folgen hat das späte Public Viewing?

Wo wird Public Viewing im Sommer angeboten?

Das steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht im Detail fest, denn in den meisten Städten sind die Vorbereitungen noch im Gange: In Hamburg, wo der Senat bereits im Februar eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen hat, steht die Genehmigung einer Public-Viewing-Anlage auf dem Heiligengeistfeld kurz vor dem Abschluss. "Formsache", heißt es dazu aus der Bezirksverwaltung.

In München hat die zuständige Verwaltung noch nicht über die Anträge entschieden, im Kreisverwaltungsreferat will man erst die Entscheidung des Bundeskabinetts und die Reaktion der bayerischen Landesregierung abwarten. Dennoch gehen die Betreiber des Münchner Olympiaparks fest davon aus, dass auch in diesem Jahr wieder Public Viewing im Olympiastadion möglich sein wird - in der Vergangenheit, etwa beim Champions-League-Finale 2012, waren fast 70 000 Zuschauer gekommen.

Bei besonders späten Spielen wolle man die Rahmenbedingungen in jedem einzelnen Fall prüfen, kündigte eine Sprecherin der Münchner Verwaltung an. Ob es im Juni auch in der Hauptstadt wieder eine Fanmeile zwischen dem Brandenburger Tor und der Siegessäule geben wird, ist derzeit allerdings noch unklar. In vielen Fällen werden die Behörden erst dann abschließend entscheiden, wenn die Sonderverordnung in Kraft getreten ist. Dazu muss neben dem Kabinett auch der Bundesrat seine Zustimmung geben. Diese werde aber nicht vor Mitte Mai erwartet, heißt es aus dem Bundesumweltministerium.

Welche Folgen hat das späte Public Viewing?

Nicht nur für Fans hat die geplante Sonderregelung für die WM-Zeit Folgen: Gastronomen und Caterer werden vielerorts teils deutlich länger arbeiten müssen, um Hunger und Durst der Fußball-Nachtschwärmer zu stillen. "Arbeitnehmer in Restaurants und Gaststätten, die durch das Public Viewing länger arbeiten als sonst, haben Anspruch darauf, dass ihre Überstunden bezahlt werden. Auch kommen nachts entsprechende Zuschläge hinzu", sagt eine Sprecherin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

Auch Anwohner müssen sich während der WM-Wochen auf einige Veränderungen einstellen: Wer in der Nähe einer Public-Viewing-Anlage wohnt und sich nicht jedes Mal zum kollektiven Mitfiebern motivieren kann, für den kann es in diesem Jahr ein Sommer mit besonders wenig Schlaf werden. "Anwohner im Umfeld einer Großleinwand müssen dann in den sauren Apfel beißen", sagt Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbunds. "Und die Sonderregelung ist auch kein Freibrief für Außengastronomie oder private Veranstaltungen." Will heißen: Auch wenn Kabinett und Bundesrat die Verordnung nun beschließen, muss in Biergärten und auf privaten Balkonen für gewöhnlich gegen 22 Uhr Ruhe sein.

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