Prozess um Wettskandal:"Die anderen werden umfallen"

Zwei Millionen Euro Wetteinsätze, 370.000 Euro Bestechungsgelder, 1,6 Millionen Euro Gewinn: Beim Bochumer Prozess-Auftakt zur größten Wettaffäre im Fußball kündigen zwei Angeklagte ihre Teilgeständnisse an.

Ulrich Hartmann

Das Verlesen der Anklage dauerte genauso lange wie ein Fußballspiel. 90 Minuten las der Staatsanwalt Andreas Bachmann ohne Punkt und Komma; wie beim Schnelllesewettbewerb trug er von seiner 40-seitigen Lektüre alle Details über 32 vermutlich manipulierte Fußballspiele in Deutschland und Europa vor und damit jede kleinste Information über eingesetzte Bestechungsgelder, bei Wettbüros gesetzte Beträge sowie erzielte Gewinne oder erlittene Verluste aller Beteiligten.

Internationaler Wettskandal erschuettert Fussball

Prozessauftakt in Bochum: Vier Männer werden in 38 Fällen von "banden- und gewerbsmäßigem Betrug" für die Manipulation von 32 Fußballspielen in sechs Ländern verantwortlich gemacht.

(Foto: ag.ddp)

Die vier Angeklagten verzogen während der Lesung keine Miene, fast schien es, als langweilte sie die Bilanz jener Wettbetrügereien, die ihnen von der Staatsanwaltschaft Bochum angelastet werden und die nun Bestandteil jenes Prozesses vor dem Bochumer Landgericht sind, in denen es um die ersten Anklagen in dieser vor elf Monaten bekannt gewordenen größten Wettbetrugsaffärel des Fußballs geht. Jetzt hat diese Affäre Gesichter bekommen.

Führungsebene der Wettbande

Nürettin G., zum Beispiel, ein bulliger Typ. Der 35-jährige Türke aus dem niedersächsischen Lohne hat einen kahlrasierten Schädel und trägt eine schwarze Jacke. Er ist der Typ Türsteher oder Boxer und schaut chronisch grimmig. Bis zu seiner Inhaftierung vor elf Monaten betrieb er Wettbüros in Norddeutschland. So stellt man sich jemandem aus dem kriminellen Wettmilieu vor - dass es aber den typischen Wettbetrüger so gar nicht gibt, zeigen die anderen drei Männer auf der Anklagebank: der 55-jährige Türke Tuna A. aus Mönchengladbach, der in blauem Hemd und grauem Blazer wie ein Versicherungsvertreter aussieht; der 35-jährige Serbe Stevan R. aus Lippstadt, der in einer oliven Jeansjacke unscheinbar wirkt, und der 32-jährige Deutsche Kristian S. aus Schweinfurt, der ein weißes Hemd trägt zum dunklen Sakko und gegeeltem Haar; Typ Fußballprofi, der er ja einst wirklich war. Nürettin G. und Tuna A. werden zur Führungsebene der Wett-Bande gezählt, Stevan R. und Kristian S. dienten zur Kontaktaufnahme zu betrugsbereiten Fußballspielern.

Die vier Männer haben seit fast elf Monaten in den Vollzugsanstalten Essen, Bochum, Hagen und Werl auf den Prozess gewartet. Sie haben mit anderen Männern zusammengearbeitet, "in einer Bande", wie es im Anklagesatz heißt, unter anderem mit dem mutmaßlichen Drahtzieher Ante Sapina aus Berlin. Die vier Männer werden in 38 Fällen von "banden- und gewerbsmäßigem Betrug" für die Manipulation von 32 Fußballspielen in sechs Ländern verantwortlich gemacht, bei denen im Jahr 2009 mit Wetteinsätzen von zwei Millionen Euro und Bestechungsgeldern von 370000 Euro rund 1,6 Millionen Euro Wettgewinne realisiert worden sein sollen. Bis Ende Oktober sind vier weitere Verhandlungstage angesetzt. Der Prozess wird aber vermutlich länger dauern.

"Mein Klient ist ein kluger Mann"

"Fußball ist Zukunft", steht auf der Tasche von Norbert Weise. Weise ist Stellvertretender Vorsitzender im Kontrollausschuss des Deutschen Fußballbunds und notierte in der ersten Reihe des Zuschauerraums fast jede Silbe, die im Saal C240 des Bochumer Landgerichts über die Lautsprecher ging. Für den DFB ist dieser erste Prozess im neuen Wettbetrug wegweisend, er hat auch deshalb zwei Kontrollausschussmitglieder als Beobachter entsendet, weil er sich von der Staatsanwaltschaft nicht gut genug informiert fühlte. Auch der europäische Fußballverband Uefa hat mit dem Bochumer Rechtsanwalt Michael Emde einen Prozessbeobachter beauftragt. Die drei Männer sowie etwa 100 weitere Zuschauer und Berichterstatter haben am Mittwoch beim Verlesen der Anklageschrift allerhand über Nürettin G. und die anderen drei erfahren.

Der 35-jährige Türke dient der Staatsanwaltschaft als eine Art Kronzeuge, er fing nicht lange nach seiner Verhaftung im November 2009 an, die Ermittler mit umfangreichen Informationen über das Wettmilieu, die Prozesse der Spielmanipulation und viele Beteiligte auszustatten. "Mein Klient ist ein kluger Mann", sagt sein Anwalt Jens Meggers, "er weiß, dass die anderen Angeklagten irgendwann umfallen, und dann ist es gut, wenn man als Erster ausgesagt hat." Meggers glaubt, dass G. für diese Haltung vom Richter Carsten Schwadrat beim Strafmaß "einen guten Rabatt" bekommen wird.

250 verdächtigte Personen

Nürettin G. und Tuna A. sitzen buchstäblich in der ersten Reihe. Beide sollen zusammen an 24 Spielmanipulationen beteiligt gewesen sein, beide sind "teilgeständig", wie Staatsanwalt Bachmann sagt. Vor allem die umfangreichen Aussagen von Nürettin G. sollen den Ermittlern viele Details über die 17 in Deutschland und 15 im Ausland manipulierten Spiele gebracht haben. Aufgearbeitet ist diese neue Affäre jedoch selbst nach einem ersten Urteilsspruch in Bochum nicht.

Die Spiele, Bestechungsgelder und Gewinne dieser vier Angeklagten machen nur etwa ein Fünftel des bislang kalkulierten Gesamtbetruges aus. Bei rund 250 verdächtigten Personen und etwa 300 manipulierten Spielen insgesamt wird es bis zur kompletten Aufarbeitung des Skandals Jahre dauern. Das ist erst der Anfang.

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