Problem-Fans:Botschafter einbestellt

Im Stadion verhalten sich die russischen Anhänger beim Spiel gegen die Slowakei besonnen, aber die Lage bleibt angespannt. Moskau wittert eine "anti-russische Stimmung" und eskaliert den Streit auf diplomatischer Ebene.

Von Johannes Aumüller, Lille/München

Der Umgang der französischen Behörden mit gewaltbereiten Russen bei der Fußball-EM wird zunehmend zum Politikum. Russlands Außenminister Sergej Lawrow kritisierte am Mittwoch in Moskau die Festnahme Dutzender Russen in Frankreich. Er sehe darin einen Verstoß gegen internationale Regeln, sagte Lawrow der Agentur Interfax. Zudem wurde der französische Botschafter in Moskau einbestellt. Diesem, so hieß es, sei deutlich gemacht worden, dass ein "weiteres Schüren von anti-russischer Stimmung" die "Atmosphäre der russisch-französischen Beziehungen deutlich belasten" könne.

Nachdem am Samstag russische Hooligans in Marseille englische Fans angegriffen hatten, hatte die französische Polizei am Dienstag einen Bus gestoppt und 43 Russen festgesetzt; elf davon sind inzwischen wieder frei. Selbst Lawrow äußerte Kritik am Verhalten einiger seiner Landsleute: "Es ist inakzeptabel, wie sich einige unserer Bürger benommen haben, die mit Feuerwerkskörpern ins Stadion gekommen sind", so der Außenminister.

Nach den Vorfällen beim Spiel gegen die Engländer hatte die Europäische Fußball-Union Uefa im Wiederholungsfall der russischen Mannschaft mit dem EM-Ausschluss gedroht. Die Partie der Russen am Mittwoch in Lille war deshalb mit Spannung erwartet worden. Rund 12 000 russische Anhänger hielten sich in der Stadt auf. Den ganzen Tag über kreisten Hubschrauber über dem Stadion, die Zahl der Sicherheitskräfte war deutlich erhöht. Aus Sicherheitsgründen wurden auch 350 Bars bis Freitagmorgen geschlossen. Generell waren die Möglichkeit zum Erwerb von Alkohol stark beschränkt.

Am Mittwochabend zog die Polizei Bilanz: 16 Menschen hatte sie in Gewahrsam genommen. Michel Lalande, der Präfekt des Départements Nord, sprach dennoch von einer "extrem beruhigenden Bilanz". Unter den Festgenommen befinden sich sechs Russen, die an den Ausschreitungen in Marseille beteiligt waren. Zudem wurde ein Zug aus London auf dem Weg nach Calais gestoppt und fünf Insassen wegen Trunkenheit festgenommen. Der Präfekt ordnete die Ausweisung dreier Russen und eines Ukrainers wegen Störung der öffentlichen Ordnung an. Größere Ausschreitungen gab es vor dem Spiel nicht, erst am Abend kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und etwa 300 englischen Fans, die in der Innenstadt randalierten und Autos beschädigten. Die Polizei setzte Tränengas ein, mindestens zwei Menschen wurden verletzt. Indirekt kritisierte am Mittwoch auch die Bundesregierung einige Reaktionen aus Moskau, die es nach den Krawalle zwischen russischen und britischen Hooligans gegeben hatte. "Da wird zum Teil von Hooligans ein wirklich widerwärtiger Gewaltkult gepflegt, der das Gegenteil des Grundgedankens von Sport ist", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert auf die Frage, wie die Bundesregierung solche Reaktionen bewerte. Das solle man nicht klein reden, wie das zum Teil internationale Stimmen in den vergangenen Tagen getan hätten. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sagte nach einem Treffen mit seinem französischen Kollegen Bernard Cazeneuve, er finde es empörend, wenn angebliche Fans auf nichts anderes als Gewalt aus seien: "Das braucht eine starke Antwort des Rechtsstaates."

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