Premier League:Schweinsteiger setzt die Segel

Manchester United siegt zum Saison-Auftakt, doch van Gaals Elf fehlt das explosive Draufgängertum früherer Jahre.

Von Raphael Honigstein, London

Nicht in Manchester angesiedelte Bands werden im Old Trafford eigentlich aus lokalpatriotischen Beweggründen boykottiert. Der Stadion-DJ aber erlaubte sich in der Halbzeitpause einen Griff in den verbotenen Plattenkoffer. "That's Entertainment" von The Jam aus London schallte am Samstagmittag durch die rot-silberne Schachtel: ein schmissiges, inhaltlich bitterböses Stück über soziale Missverhältnisse im Großbritannien von 1980, mit einem Refrain, der auch mit Blick auf die erste Hälfte von Manchester United als kleine sarkastische Frechheit zu verstehen war. Gute Unterhaltung hatte die Saison-Premiere im Theater der Träume bis zur Pause nicht geboten, nur ein hektisches, gleichzeitig seltsam lahmes Spiel mit einer hochsommerlichen Fehlpass-Quote und zwei Mannschaften, die laut United-Trainer Louis van Gaal nicht mit dem gegenseitigem Pressing-Druck zurechtkamen.

Am Ende gewann der englische Rekordmeister gegen Tottenham Hotspur 1:0 (1:0) - mit der passenden Pointe: Den Treffer für die Red Devils hatte Spurs-Verteidiger Kyle Walker mit einem missglückten Abwehrversuch erzielt (21.). Selber auf das Tor der Gäste zu schießen, war United in den ersten 45 Minuten kein einziges Mal gelungen. "Wir haben dominiert und die besseren Chancen gehabt", grämte sich Tottenham-Coach Mauricio Pochettino. Auch nach dem Seitenwechsel war das unfertig wirkende Heimteam nur vereinzelt in den gegnerischen Strafraum gelangt.

Premier League: Gleich da, wo es zur Sache geht - aber nicht immer auf der Höhe des Geschehens: Bastian Schweinsteiger (in rot) beim Premier-League-Debüt.

Gleich da, wo es zur Sache geht - aber nicht immer auf der Höhe des Geschehens: Bastian Schweinsteiger (in rot) beim Premier-League-Debüt.

(Foto: Jon Super/AP)

Van Gaal tadelte hinterher im typischen Schulrektor-Duktus einen Reporter, der die schwache Leistung thematisierte ("Warum fragen Sie nicht nach dem Ergebnis? Diese Frage ist schon wieder bisschen suggestiv"), zeigte sich dann aber mit der Kritik einverstanden. "Sie haben recht. Wir hatten Glück. Heute war am wichtigsten, dass wir gewinnen. Nachdem, was letztes Jahr passiert ist, war der Druck heute sehr hoch. Vielleicht habe ich zu viel Druck aufgebaut." Der Niederländer hatte vor zwölf Monaten sein erstes Ligamatch zu Hause 1:2 gegen Swansea verloren. Die drei Punkte zum Auftakt stimmten ihn an seinem 64. Geburtstag ("Kennen Sie das Lied von den Beatles?") nun fröhlich. Er gehe am Abend in sein Lieblingsrestaurant, verkündete er zum Schluss noch.

Der Deutsche habe "im Urlaub zu viel Sauerkraut gegessen", lästert eine Boulevard-Zeitung

Und dürfte sich anschließend über die unerwarteten Geschenke des FC Chelsea (nur 2:2 gegen Swansea City)

und des FC Arsenal (0:2 gegen West Ham) gefreut haben. Der Druckabfall könnte in Manchester allerdings nur von vorläufiger Natur sein. Van Gaals Elf fehlt weiterhin das explosive Draufgängertum früherer Jahre. Der neue Rechtsverteidiger Matteo Darmian vom AC Turin war der beste von fünf, für knapp 100 Millionen Euro eingekauften Zugängen, die in der seit Alex Fergusons Weggang vor zwei Jahren unaufhörlich im Umbau befindlichen Truppe ihre Rollen finden müssen. Mittelfeldspieler Morgan Schneiderlin (Southampton) und Memphis Depay (Eindhoven) entfalteten nur dezente Wirkung, im Tor fiel Sergio Romero zunächst mit Schwächen auf, stabilisierte sich aber im Laufe der Partie. Romero vertrat David De Gea, der von Real Madrid umworben wird und laut van Gaal noch nicht die nötige Konzentration aufbringt. Der 24-Jährige saß neben Victor Valdes, dem ehemaligen Barcelona-Stammkeeper, auf der Tribüne. Van Gaal hat den 33-Jährigen suspendiert, weil er angeblich nicht für die Reserve spielen wollte. Dem Anschein nach wurde ihm darüberhinaus die Klubuniform weggenommen. Valdes erschien als einziger United-Profi ohne Klubkrawatte und Wappen auf dem Sakko im Stadion.

Bastian Schweinsteiger, eine halbe Stunde vor Schlusspfiff mit frenetischem Applaus als Einwechselspieler begrüßt, trug zwar die korrekte Hose, selbst das war jedoch ein Thema. Den Sunday Telegraph erinnerte das weit geschnittene Stück an das "Großsegel von Ben Ainslies Yacht beim America's Cup", der deutsche Kapitän habe vielleicht "im Urlaub zu viel Sauerkraut gegessen", lästerte der Sunday Express. An die englische Härte in den Gazetten wird sich der 31-Jährige gewöhnen müssen; vieles ist dabei nicht so ernst gemeint, wie es sich auf Deutsch liest. Rein fachlich betrachtet stand Schweinsteiger als Ball-Kontrolleur und Kollegen-Ankurbler seinem neuen Team gleich gut zu Gesicht; er zeigte "Autorität" (Sunday Times), sah eine gelbe Karte nach einem taktischen Foul (68.) und bereitete eine gute Torchance vor. Den Mangel an Geschwindigkeit und Schärfe im Spiel der Roten konnte er aber nach leichten Fitnessproblemen in der Vorbereitung noch nicht beheben.

Zu viel Tempo legte derweil nach dem Geschmack von José Mourinho Teamärztin Eva Carneiro bei der Behandlung von Eden Hazard hin. Carneiro war in der Schlussphase des 2:2 zwischen Meister Chelsea und Swansea auf den Rasen gestürmt, um den Belgier zu behandeln; die müde wirkenden Londoner waren nach dem Platzverweis für Keeper Thibaut Courtois (52.) so kurzzeitig zwei Mann weniger. Das blieb zwar ohne Folgen, aber Mourinho gab sich unversöhnlich. "Auch ein Doktor muss das Spiel verstehen", echauffierte sich der Portugiese nach dem leicht missglückten Saisonstart der Blues.

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