Premier League:Newcastle: Ein Synonym für alles, was schlecht läuft in Englands Fußball

Aston Villa v Newcastle United - Barclays Premier League

Treu, aber enttäuscht: Newcastle-Fans beim Kellerduell gegen Aston Villa in der vergangenen Woche.

(Foto: Philip Brown/Reuters)

Newcastle United hat 50 000 Fans pro Spiel, ist einer der reichsten Klubs und trotzdem Absteiger. Ein Lehrstück, wie es nicht geht.

Von Sven Haist, Newcastle

Als der Anker der Tuxedo Princess im Sommer 2008 gelöst wurde, haben die Einwohner Newcastles erleben müssen, wie es sich anfühlt, wenn der eigenen Stadt ein Stück ihrer Identität verloren geht. Das irische Fährschiff verkörperte das vielfältige, nie still stehende Nachtleben am Bigg Market. Drei Jahrzehnte lang reisten die Inselbewohner in die Universitätsmetropole im Nordosten, um auf dem Partyboot Cocktails zu schlürfen, in den Sonnenaufgang zu tanzen oder einfach der Klaviermusik auf dem Deck zu lauschen. Mit der Zeit setzte der Zerfall ein, das Schiff wurde marode, und nach einem rauschenden Abschlussfest brach es auf ins weite Meer.

Es war nach das Ende einer Ära, aber die alte Kohlestadt hatte ja noch ein zweites Wahrzeichen: den 123 Jahre alten Fußballverein Newcastle United ein Leuchtturm des Nordens in Englands Fußball. Doch auch dieses Wahrzeichen ist gerade mal wieder ziemlich marode.

Mike Ashley führt den Klub wie ein Kaufmann: billig einklaufen, teuer verkaufen

Seit Dienstagabend der vergangenen Woche steht fest: Newcastle United ist zum zweiten Mal nach 2009 aus der Premier League abgestiegen, gemeinsam mit Norwich City und Aston Villa. Newcastlehat sich in England den Spitznamen "sleeping giant" erworben, aber riesenhaft ist derzeit nur wenig im Norden Englands. Eigentümer Mike Ashley hat es geschafft, den Verein von seinen Emotionen - sprich den Menschen - zu befreien, um ihn nach kaufmännischem Prinzip zu führen: billig einkaufen, teuer verkaufen. Newcastle ist gerade ein Synonym für alles, was schlecht läuft in Englands Fußball.

Für etwa 170 Millionen Euro erwarb Mike Ashley, 51, im Sommer 2007 den Klub. Zu seinem Geschäftsimperium gehört auch der Sportartikelhersteller Sports Direct. In der Anfangszeit verfolgte der Milliardär regelmäßig die Partien Newcastles auf der Tribüne mit den Fans, nicht selten sah man ihn biertrinkend in den umliegenden Pubs. Zusätzliche Beliebtheit sicherte er sich mit dem Rauswurf des unbeliebten Trainers Sam Allerdyce und der Rückholaktion des Lokalhelden Kevin Keegan. Doch diese Nähe wandelte sich in Distanz um, als Ashleys Adjutant Dennis Wise plötzlich Spieler verpflichtete, die zuvor keiner hatte spielen sehen. Keegan stürmte im September 2008 davon, das Verhältnis zwischen Anhängern und Eigentümer nahm einen irreparablen Schaden.

Seitdem spricht Ashley kaum mehr mit der Öffentlichkeit. Über die Klubmedien sendet er Botschaften aus, die zuvor seine Beratungsagentur und die Kommunikationsabteilung des Klubs weichgekocht haben. Seine Verbündeten finden, dass er zu wenig Anerkennung erhalte für die Tatsache, dass er Newcastle auf gesunde Füße gestellt hat. Er verkaufte Stürmerikone Andy Carrol für 45 Millionen Euro nach Liverpool, ließ zahlreiche junge Spieler aus Frankreich und den Niederlanden einkaufen.

Das Stadion gleicht einer Litfaßsäule

Vor dieser Saison sorgte sich Ashley um sein Investment und legte auf einmal 100 Millionen Euro für neues Personal bereit - das Sportchef Lee Charnley und Chefscout Graham Carr allerdings planlos ausgaben. Ein Rettungsschirm, der sich als Fallbeschleuniger entpuppte, weil sich Teamgeist eben nicht mit Geld kaufen lässt. Die Mannschaft um den früheren Freiburger Stürmer Papiss Demba Cissé passt vorne und hinten nicht zusammen. Selbst die anerkannten Trainerfachkräfte Steve McClaren und Ex-Real-Madrid-Trainer Rafael Benitez, dessen Verbleib an der Tyne fraglich ist, mühten sich vergeblich, zusammen zu puzzeln, was nicht zusammengehört. Die einzige Konstante bei United sind neben Kapitän Fabio Coloccini die Zuschauer, die trotz der sportlichen Misere in Scharen kommen: 50 000 Menschen sind bei jedem Heimspiel.

Am Erscheinungsbild des Stadions lässt sich am besten nachzeichnen, was aus Newcastle United geworden ist: eine Litfaßsäule. Ein Lokalreporter zählte einmal 133 Werbeanzeigen im St. James' Park, die auf Ashleys Sportartikelunternehmen hinweisen. Eine Vergütung erfolgt dafür offenbar nicht. Und so lässt sich inzwischen nicht mehr unterscheiden, ob Newcastle United noch für sich selbst wirbt oder schon vollständig instrumentalisiert wurde als Marketingobjekt des Mike-Ashley-Kosmos.

Durch den Abstieg hat sich das mit der Vermarktung erst einmal auf unbestimmte Zeit erledigt. Die Spiele der Championships finden meist unter dem Radar der Öffentlichkeit statt - zumindest im Bezahlfernsehen. Als Trostpreis für die Schinderei, die United angesichts einer Liga mit 24 Mannschaften und nur zwei direkten Aufstiegsrängen bevorsteht, spendiert der neue Fernsehvertrag auf der Insel den Absteigern in den kommenden drei Jahren einen Solidaritätsbeitrag von ungefähr 90 Millionen Euro. Aber Geld ist ja eigentlich ohnehin das, was Newcastle United überhaupt nicht fehlt.

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