Premier League:Huddersfield - der größte Außenseiter am Geldbrunnen

Huddersfield Town - David Wagner

David Wagner am Trainingsgelände von Huddersfield.

(Foto: dpa)
  • Huddersfield Town startet in die Premier League. Der Klub von David Wagner bezeichnet sich selbst als "größter Außenseiter aller Zeiten".
  • Auf dem Transfermarkt konnte der Aufsteiger nicht agieren wie die Konkurrenz.
  • Wagner setzt daher voll auf Teamgeist.

Von Sven Haist, London

Darren Bryant ist am vergangenen Montag zu Huddersfield Town gewechselt - ablösefrei. Die Verpflichtung fand bestenfalls marginale Aufmerksamkeit in englischen Medien, selbst auf der Webseite des Klubs hatten sich nach drei Tagen nur knapp 3000 Besucher für diese Meldung interessiert. Genauso schnell, wie die Nachricht auftauchte, verschwand sie wieder in den Weiten des Internets.

Von Relevanz war auch gar nicht der Inhalt des Schreibens, in dem zum Beispiel stand, dass Bryant zweimal ausgezeichnet wurde als "Yorkshires Finanzdirektor des Jahres", sondern die Tatsache, dass der englische Fußballklub Huddersfield Town jetzt erstmals überhaupt einen Finanzdirektor hat. Diese Position sei infolge des Aufstiegs in die Premier League kreiert worden, hieß es in der Mitteilung. Allerdings sollen sich zuvor schon auch Leute um das Budget des Vereins gekümmert haben, nur eben ohne Finanzdirektor.

Im April 2008 kaufte sich Kindheitsfan Dean Hoyle in den Verein ein, mittlerweile hat er sich diesen komplett einverleibt. Durch den Aufbau und späteren Verkauf eines Grußkarten-Unternehmens stieg Hoyle zum Multimillionär auf. Weniger erfolgreich verlief zunächst das Projekt Huddersfield: Unter seiner Führung häuften sich bis zum Ende der Saison 2015/16 mehr als 40 Millionen Euro Verlust an.

In der "Championship", der zweiten Liga, löst so etwas kein Befremden aus. Eher befand sich Huddersfield in guter Gesellschaft, viele Klubs leben in der englischen Zweitklassigkeit über ihre Verhältnisse. Oft begleicht dann der Eigentümer mit seinem Privatvermögen die Prasserei - in der Hoffnung, der jeweilige Verein gelangt irgendwann doch einmal an den Geldbrunnen Premier League.

Ein Aufstieg garantiert den Klubs aktuell mindestens 160 Millionen Euro durch Fernseheinnahmen. Zu den etwa 110 Millionen Euro in der Premier League kommen im Fall des direkten Rückwegs in die zweite Liga noch einmal rund 50 Millionen Euro hinzu, sozusagen als Trostpreis. Das verführt zum risikoreichen Handeln.

Sportlich ist in Huddersfield die Idee aufgegangen, sich dem deutschen Trainer David Wagner anzuvertrauen. Bei seiner ersten Profistation genügten Wagner, 45, eineinhalb Saisons, um den absturzgefährdeten Klub grundlegend zu erneuern.

Im Auswärtsspiel bei Crystal Palace siegte Huddersfield nun an diesem Samstag direkt mit 3:0 und ist damit zwischenzeitlich Tabellenführer der Premier League.

Es ist ein Traum-Einstand nach der 45 Jahre langen Abwesenheit des Klubs von der ersten Liga. Über die Textilindustriestadt Huddersfield, in der 150 000 Einwohner leben, wissen die Engländer kaum Bescheid; nicht mal Fernzüge machen halt in der Provinz zwischen Manchester und Leeds. Die Neugier geht vielmehr zurück auf die jüngsten Erfolge - und das medienwirksame Auftreten Wagners. In der Vorbereitung erklärte er etwa, sein Team sei in der Premier League kein Außenseiter, auch kein großer Außenseiter, sondern: "der größte Außenseiter aller Zeiten".

Die 20 Klubs investierten mehr als eine Milliarde Euro

Gemeinhin neigen die Menschen auf der Insel dazu, die kleinen Vereine zu vernachlässigen. Der Abstiegskampf steht in England weit weniger im Fokus als das Meisterschaftsrennen. Auch in dieser Saison sind die Fragen an der Tabellenspitze zu drängend, um sie zu vernachlässigen: Bricht Chelsea erneut ein nach einem Meistertitel? Wie verkraftet Tottenham den Stadionumzug ins Wembley? Wer gewinnt das Trainerduell in Manchester zwischen Guardiola (City) und Mourinho (United)? Erfüllt Jürgen Klopp Liverpools Sehnsucht nach der ersten Meisterschaft seit 1990? Kann Arsenal nach Rang fünf zurückschlagen? Zur Saisoneröffnung gab es in einem wilden Match ein 4:3 (2:2) gegen Leicester.

Im Hinblick auf die Saison investierten die 20 Erstliga-Klubs bislang mehr als eine Milliarde Euro in neue Spieler. Ein Drittel dieser Summe stammt aus Manchester, die Branchengiganten City und United versuchen sich dort Pokale einzukaufen. ManCity legte für die Restaurierung der eigenen Abwehr mehr als 200 Millionen Euro hin, ManUnited allein 85 Millionen Euro für Evertons Stürmer Romelu Lukaku. Bis hierhin war dies in diesem Sommer der teuerste Transfer in England.

Wagner hat sein Büro im Container

In der Liste der kostspieligen Zugänge wird Huddersfield erst auf Position 30 geführt: für 13 Millionen Euro kam der Angreifer Steve Mounié aus Montpellier. So viel Geld hat der Verein für einen Spieler noch nie gezahlt, doch im Vergleich zu den Summen der Top-Teams klingt das trotzdem wie ein Schnäppchen. Wie soll der Aufsteiger da sportlich mithalten können mit dem Establishment?

Im vergangenen Jahrzehnt gelang es bloß Birmingham City, als Neuling die erste Saison in der Premier League auf einem einstelligen Tabellenplatz abzuschließen, und 40 Prozent der Aufsteiger stiegen sogar umgehend wieder ab. Orientieren kann sich Huddersfield am AFC Bournemouth. Der Verein aus dem Küstenstädtchen im Süden Englands gehört zu den kleinsten, die es je in die Premier League geschafft haben, aber seit zwei Jahren hält sich Bournemouth über den Abstiegsrängen. Der Klub hat für sich eine Nische entdeckt. So wie sie jetzt Huddersfield sucht.

Eine Antwort, wie der Ligaverbleib gelingen könnte, gibt David Wagner am Telefon. Das Trainingsgelände in Huddersfield gleicht einer Baustelle, in den nächsten Monaten entsteht ein neuer Gebäudetrakt. Wagner hat deshalb sein Büro weiterhin im ersten Stock eines Containers. Immerhin hängen mittlerweile ein paar Bilder an der Wand: "Für unsere Verhältnisse haben wir exorbitant investiert in den Kader", sagt er, "aber verglichen mit der Konkurrenz ist das noch mehr als überschaubar." Mit Ausgaben von zirka 40 Millionen Euro hält sich der Verein derzeit im Mittelfeld der Transfertabelle auf.

Huddersfield gelang es, die Aktivitäten auf dem Transfermarkt zügig abzuschließen. Notwendig wurden die personellen Umbauten, weil der Kader schmal besetzt und die Qualität bisher nicht auf die Premier League ausgerichtet war. Die deutsche Enklave im Team mit fünf Profis baute Wagner weiter aus: Vom Aufstiegs-Playoff-Gegner Reading wechselte Mittelfeldspieler Danny Williams, einst für Freiburg und Hoffenheim in der Bundesliga aktiv, nach Huddersfield. Gesetzt für die Startformation ist aber nur Chris Schindler in der Innenverteidigung. Der Ex-Kapitän von 1860 München verwandelte im Aufstiegsspiel den entscheidenden Elfmeter. Für Schindler bricht die erste Erstliga-Saison an, nachdem ihm dieses Ziel mit den Löwen stets verwehrt geblieben ist. Generell hat Huddersfield nur vier Akteure im Aufgebot, die schon Erfahrung in der Premier League gesammelt haben. "Wir müssen eigene Wege finden und versuchen, Nachteile in Vorteile zu wandeln", sagt Wagner.

Abkehr vom Kick-and-Rush-Stil

Mit der Abkehr vom unstrukturierten Kick-and-Rush-Stil hatte sich Huddersfield in der Championship unter seiner Leitung einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten können. Eine Liga höher dürfte sich der Überraschungseffekt für die Gegner jedoch in Grenzen halten. Wenn, dann besteht die Gefahr für die Konkurrenten darin, den Aufsteiger zu unterschätzen. In der Vorbereitung löste sich Huddersfield aus dem Sog der Spitzenvereine und verzichtete auf eine strapaziöse Marketingreise in ferne Kontinente. Die Verantwortlichen hoffen, über die Fitness und den Zusammenhalt die individuell fehlenden Fähigkeiten zu kompensieren. Selbst ein notorisches Kellerkind wie Auftaktgegner Palace besitzt in dem Belgier Christian Benteke einen Torjäger, der sich ebenso in europäischen Wettbewerben vorzeigen ließe. Wagner sagt: "Wir wollen ganz extrem übers Kollektiv kommen."

Von seinem Vorgesetzten Hoyle hat er eine Jobgarantie erhalten, die auch im Falle eines Abstiegs gilt. Der Verein ist bemüht, jegliche Angriffsfläche, die den Teamgeist gefährden könnte, von vornherein zu vermeiden. Auch die Unterstützung der Fans ist gewiss, die Dauerkarten sind längst ausverkauft. Huddersfield ist euphorisiert durch seinen Fußballklub.

"Ein Klassenerhalt wäre ein vergleichbarer Erfolg wie der erreichte Aufstieg", findet Wagner, "auch wenn wir dafür keine Trophäe kriegen würden." Der Lohn wäre dann eine weitere Spielzeit in der Premier League. Und sehr viel Geld.

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