Premier League:He'll never walk alone

Kaum ein Spieler steht so für Identifikation und Vereinstreue wie Steven Gerrard. Nach 27 Jahren beim FC Liverpool spielt er sein letztes Spiel vor den eigenen Fans. Und die Anfield Road weint.

Als Steven Gerrard am Samstag an die altehrwürdige Anfield Road fährt, ist zunächst alles wie immer. Der Kapitän des FC Liverpool steigt wie vor jedem Heimspiel am Mahnmal für die Opfer der Hillsborough-Katastrophe aus seinem Auto und liest die Namen derjenigen, "die nie mehr nach Hause kommen", wie er in seiner Autobiografie schrieb. Er hält dann wie jedes Mal inne, wenn er bei Jon-Paul Gilhooley, "zehn Jahre alt", angekommen ist. Seinem Cousin, über den Gerrard einmal sagte: "Ich spiele für Jon-Paul."

Und trotzdem wird nichts so sein wie in den 17 Jahren zuvor. Denn Gerrard wird sich zum letzten Mal als Profi der Reds auf den Weg zu "seinem" Stadion machen. Das Spiel gegen Crystal Palace am Samstag ist sein letztes an der Anfield Road und das muss er auch noch 1:3 verlieren. Gerrard wurde trotzdem nach Spielschluss euphorisch gefeiert, alle Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen. Gänsehautatmosphäre herrschte schon vor der Partie. Gerrard betrat mit seinen drei Töchtern als letzter Spieler den Rasen, beide Mannschaften bildeten ein Spalier. Der sichtlich gerührte 34-Jährige wurde von den Fans mit Sprechchören und Liedern bedacht. Nach über 700 Spielen. Im Juni wird er sich für 18 Monate LA Galaxy anschließen. Nach 27 Jahren im roten Trikot, davon 17 in der ersten Mannschaft.

"Ich denke, es wird emotional", sagt Gerrard. Und das war eine typisch englische Untertreibung. Die Anfield Road mit der berühmten Hintertortribüne Kop weinte. "Ich habe vor Fans fast überall in der Welt gespielt, aber ich muss euch sagen, ihr seid die Besten", sagte Gerrard nach dem, Spiel: "Ich habe jede Minute genossen, und es bricht mir das Herz, nie wieder hier vor diesen Fans spielen zu können."

"Passion" ist sein Lieblingswort

Wer verstehen will, warum an der Merseyside nicht einfach nur ein verdienter Fußball-Profi verabschiedet wird, muss zurück zu den Anfängen. Es war im Jahr 1989, als der glühende Liverpool-Fan Gerrard, der aus dem Vorort Huyton stammt, zur Nachwuchsakademie des FC stieß. Ausgerechnet 1989! Seit dem 15. April 1989, als beim FA-Cup-Halbfinale in Sheffield zwischen Liverpool und Nottingham Forest 96 Menschen starben, ist für die Anhänger der Reds nichts mehr wie zuvor.

Das gilt insbesondere für Gerrard. Der lebt seit seinem ersten Tag bei "seinem" Klub einen Traum, den auch sein Cousin Jon-Paul träumte. Für Gerrard war Liverpool nie nur ein Verein, der Klub war immer seine Passion, sein Lebensinhalt. "Passion", deutsch: Leidenschaft, ist sein Lieblingswort. Und er lebte diese Leidenschaft stets auf dem Platz. Für die Stadt. Für die Reds. Er opferte sich auf für all das. Für Jon-Paul. Und für die anderen 95. Als sich die Tragödie 2014 zum 25. Mal jährte, weinte er bei der Gedenkfeier bittere Tränen.

Er war nie Meister, dem trauert er nach

"Am schlimmsten", meint er jetzt, werde es am Samstag "gegen Ende des Spiels. Dann, wenn es an der Zeit ist, mich von den Fans zu verabschieden, werden die Gefühle richtig hochschießen." All die traurigen Erinnerungen, aber auch die Gedanken an die großen Triumphe. Allen voran an das verrückteste Champions-League-Endspiel der Geschichte, das Gerrard mit Didi Hamann 2005 gegen den AC Mailand in Istanbul nach 0:3-Rückstand noch gewann. Oder an den UEFA-Cup-Sieg 2001 nach dem irrwitzigen 5:4 nach Golden Goal gegen CD Alavés. An zwei FA-Cup-Erfolge und drei Siege im englischen Ligapokal, aber auch an die verpasste Meisterschaft 2014.

Dass er nie Meister war, "ist nicht das Einzige, dem ich nachtrauere", sagt Gerrard, "aber das Wichtigste. Es wäre die Kirsche auf dem Kuchen gewesen." Doch im entscheidenden Spiel der vergangenen Saison gegen den FC Chelsea rutschte ausgerechnet Gerrard aus und ermöglichte den Blues so das Tor, das Manchester City den Titel brachte. "Es gab einige Tiefpunkte, aber das gehört dazu", sagt "Kaiser" Gerrard, "ich gehe erhobenen Hauptes." In Chelsea hätte Gerrard gleich mehrere Meisterschaften feiern können. José Mourinho habe ihm dreimal den Kopf verdreht, sagt er, "aber er wusste, dass ich es nicht tun kann, weil ich den Liverpool Football Club liebe." Trotzdem freue er sich auf etwas Neues.

"In Liverpool ist es manchmal nicht ganz einfach, Steven Gerrard zu sein."

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