Positionskämpfe in der Formel 1:Die Kindergarten-WM

F1 Grand Prix of Mexico

Der dritte Dritte: Nach der endgültigen Entscheidung der Jury bekommt Daniel Ricciardo (rechts) spät die Trophäe für Platz drei beim Grand Prix in Mexiko.

(Foto: Mark Thompson/AFP)

Im Ringen um Platz drei bekriegen sich Sebastian Vettel, Max Verstappen und Daniel Ricciardo auf immer unflätigere Weise. Ihre riskanten Manöver könnten sogar noch das Titelrennen beeinflussen.

Von Elmar Brümmer, Mexiko-Stadt

Innerhalb von dreieinhalb Stunden drei Mal den dritten Platz zu vergeben, das schafft nur die Formel 1. Derart ausgiebig war das Hin und Her von Zeitstrafen und nachträglichen Vor- und Zurückstufungen, dass die Zuschauer verwirrt wurden, zwischenzeitlich der falsche Dritte auf dem Podium stand, und der Kampf um Platz eins und zwei fast zur Nebensache geriet.

Dabei war Lewis Hamilton beim Großen Preis von Mexiko der zweite Sieg nacheinander über Nico Rosberg gelungen. Damit hält er einerseits das Titelrennen mindestens bis zum vorletzten WM-Lauf in Brasilien am übernächsten Wochenende offen. Andererseits liegt er jetzt 19 Zähler zurück, ein Sieg des Wiesbadeners in São Paulo, und er ist erstmals Champion. Der erbitterte Kampf in Mexiko um Platz drei zeigt freilich auch, dass alle Planspiele bei den Silberpfeilen jederzeit vom leidenschaftlichen und teils riskanten Wettstreit neben ihnen beeinflusst werden können. Red Bull Racing und Ferrari liefern sich gerade eine Art Stellvertreter-WM.

Arrabbiato nennt Sebastian Vettel das Klima: zornig. Der Heppenheimer war nach 71 Runden von Rang vier auf Platz drei heraufgestuft worden, weil Widersacher Max Verstappen wegen Abkürzens mit einer Fünf-Sekunden-Strafe belegt worden war. Doch die Freude währte nur kurz. Wegen eines eigenen Vergehens wurde Vettel dann auf Platz fünf zurückgereicht, nachdem herauskam, dass er im Duell mit Daniel Ricciardo gefährlich beim Spurwechsel bremste. Ricciardo vermied mit großer Fahrkunst eine Kollision und kam nur als Fünfter ins Ziel. Nicht gerade förderlich in den Verhandlungen dürfte gewesen sein, dass Vettel während des Rennens Renndirektor Charlie Whiting mit einem doppelten "Fuck you" provozierte. Vettel bekam jedenfalls zehn Sekunden aufgebrummt, dazu zwei Strafpunkte im Register - immerhin sah der Weltverband Fia von weiteren Sanktionen wegen der Pöbeleien ab.

Die Addition aller Strafen machte Ricciardo schließlich zum Dritten. Vettels ehemaliger Rennstall, für gnadenlose Vermarktung bekannt, schickte seine beiden Fahrer in der Dunkelheit noch einmal auf das Podium. Statt der 135 000 Zuschauer waren nur noch ein paar Gabelstaplerfahrer anwesend, aber bei der gespielten Pokalübergabe von Verstappen an Ricciardo - sogar mit Hostessen-Doubles - ging es ja um Symbolkraft.

"Er soll sich eine andere Ausdrucksweise zulegen", sagt Verstappen über Vettel

Die Rennstrecke in Mexiko lädt zu Manövern mit Tempo-Überschuss ein, durch ihre langen Geraden und flüssigen Schikanen. Gleich beim Start ritten Hamilton und Rosberg - bedrängt von Verstappen - aus und kürzten die Kurven ab. Das blieb unbestraft, weil beide keinen Vorteil hatten und die Kommissare wohl nicht in den Titelkampf eingreifen wollten. Der Niederländer kollidierte sogar kurz mit Rosberg, was verdeutlichte, wie schnell ein zweistelliger Punktevorsprung dahin sein kann - und wie schwer es für den Führenden ist, sich aus allem rauszuhalten und trotzdem den Rivalen Hamilton nicht davonziehen zu lassen. Hätte Verstappen nicht bloß das Rad, sondern das Auto getroffen, wäre das Rennen für den Tabellenführer wohl vorbei gewesen - und der Vorsprung auf einen Zähler geschwunden. Rosberg sagte: "Ich dachte, mein Auto fällt auseinander."

Was sich dahinter abspielt, gibt eine Vorahnung für die neue Saison. Dann wird das Reglement drastisch verändert, und Red Bull plant den Sprung zurück an die Spitze. Der Vorsprung von Mercedes sei nicht mehr so groß, man werde selbst noch wettbewerbsfähiger sein, heißt es bei dem Rennstall. Ferrari hat bereits seinen zweiten Rang verloren, mit einem launischen Auto, einer verunsicherten Mannschaft und einem führungsschwachen Team. Dass Vettel trotzdem fähig war, sich von Startplatz sieben aus noch vor Verstappen und Ricciardo zu setzen, spricht für sein Können und seinen Ehrgeiz. Wie er es getan hat, ist symptomatisch für die neue Härte. Diese Saison ist spannender als es der Mercedes-Alleingang (der 17. Sieg des Jahres am Sonntag bedeutet Formel-1-Rekord) vermuten lässt.

"Ich war wohl länger auf der Schule als er", sagt Vettel über Verstappen

Ferraris unter Druck stehender Teamchef Maurizio Arrivabene, der vergeblich versuchte, Vettel zu beruhigen, sprach von einem ungerechten Urteil: "Die Bürokratie hat uns einen verdienten Podiumsplatz gestohlen." Dass Vettel wegen kombinierten Bremsens und Lenkens bestraft wurde, ist nicht ohne Ironie. Diese Sanktion wird ja auch "Verstappen-Regel" genannt, weil dieser seine Gegner zu oft auf diese Art ausbremste, "die Tür zumachte", wie es heißt. Ricciardo sagte nun: "Seb hat das gemacht, worüber sich alle beschwert haben." Vettel wollte aber auch lange nach dem Rennen nicht einsehen, dass er sich sein Comeback selbst kaputt gemacht hatte. Die beiden Aktionen, als sich der Ferrari im Sandwich der Red-Bull-Rennwagen befand, verschwimmen für ihn wohl zu einem großen Ärgernis, überhaupt hat sich in ihm einiges angestaut. Häufig beschimpft der 29-Jährige zurzeit die Gegner übers Helmmikrofon. "Er hat vor niemanden Respekt, im Moment ist er ein frustrierter Typ", sagt Verstappen, "er sollte zurück in den Kindergarten oder sich eine andere Ausdrucksweise zulegen."

Provokateur Verstappen, der zuvor vor laufenden Kameras kurz vor der Siegerehrung weggeschickt wurde, bekam wieder Oberwasser: "Wenn wir uns alle an die Regeln halten würden, gäbe es keinen Grund mehr, nach einem Rennen enttäuscht zu sein." Vettel legte nach: "Ich war wohl länger auf der Schule als er."

Prompt schalteten sich die Renn-Weisen ein. Mercedes-Teamaufseher Niki Lauda nannte Verstappen einen "Wiederholungstäter", der zu "großkopfert" fahre: "Die Wut der anderen Fahrer wird immer größer, irgendwann werden sie dem eine geben." Und Helmut Marko, der Red-Bull-Talentscout und Entdecker von Vettel wie Verstappen, mahnte: "Die ganze Situation ist eines vierfachen Weltmeisters nicht würdig."

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