Portugals Cristiano Ronaldo:Wenig Magie, viel Cowboy

Seinem Ziel, Weltfußballer des Jahres zu werden, ist Cristiano Ronaldo bei dieser EM nicht näher gekommen. Der Egozentriker sollte der Dreh- und Angelpunkt des portugiesischen Spiels sein - am Ende durfte er nicht mal den womöglich entscheidenden Elfmeter schießen.

Claudio Catuogno

Die Dramaturgie war ganz auf ihn zugeschnitten. Fünf Elfmeter - und er schießt den letzten. Den entscheidenden vielleicht. Aber dann stand Cristiano Ronaldo im Mittelkreis, blickte fassungslos in den Himmel von Donezk - und trottete vom Feld. Die anderen hatten es aus der Hand gegeben, Moutinho, Alves, er selbst konnte nur noch tatenlos zusehen. Aus den Lautsprechern erklang Viva España, damit endete sein Abend. Dabei hatte er so vielversprechend begonnen.

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Die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben: Cristiano Ronaldo scheidet mit Portugal im EM-Halbfinale aus.

(Foto: AFP)

Als letzte Amtshandlung vor dem Anpfiff hatte Cristiano Ronaldo noch schnell einen Seitenwechsel veranlasst, deshalb hatte Paulo Bento beste Sicht auf seinen Kapitän. Wenn Ronaldo die linke Seite der Portugiesen entlang wetzte, kam er jedes Mal an seinem Trainer vorbei. Und Bento gefiel, was er sah. Wenn Ronaldo den Ball am Fuß führte, kam wenigstens ein kleines bisschen Magie in dieses Halbfinale. Und Ronaldo sollte ja wieder der Dreh- und Angelpunkt sein des portugiesischen Spiels.

Besonders zufrieden war Bento mit einer Szene aus der 33. Minute. Die Spanier hatten wieder begonnen, sich den Ball zuzuschieben, die Zuschauer pfiffen, dann kam ein Pass Richtung Mittelfeld. Am Spielfeldrand sah Bento, wie Cristiano Ronaldo angeflogen kam - und den Ball mit ultimativer Entschlossenheit ins Aus spitzelte. Die Szene wird es in keine Zusammenfassung schaffen, auch in den EM-Highlights dürfte sie fehlen.

Aber für Bento war sie mehr wert als zum Beispiel Ronaldos Turbo-Sprint bis zur Grundlinie samt Flanke, die Hugo Almeida verfehlte (13.), mehr als Ronaldos Weitschuss aus der Drehung (24.), als mancher Angebertrick, den er wieder routinemäßig in sein Spiel flocht, oder als sein Schuss knapp am Pfosten vorbeiging (31.). Am Abend vorher hatte der portugiesische Nationaltrainer ja feierlich verkündet, man werde im Halbfinale "die Mannschaft mit der größten Motivation und mit dem größten Stolz der Welt" erleben.

Wahrscheinlich gibt es keinen besseren Beleg für so eine pathetische These, als wenn sich der größte Künstler des modernen Fußballtheaters plötzlich als malochender Komparse in jeden Ball schmeißt. Durchaus entgegen seiner sonstigen Gewohnheit.

Ohne Ronaldo ist Portugal nur die Hälfte wert

Das Viertelfinale gegen Tschechien (1:0), das den Portugiesen dieses Halbfinale eingebracht hatte, ist nicht ohne Grund unter dem Label CR-CR7 zusammengefasst worden. Czech Republic gegen Cristiano Ronaldo, den Siegtorschützen mit der Nummer Sieben. Diesmal kam die Abkürzung RM7-RM/FCB der Sache am nächsten. Die Sieben von Real Madrid (also: Ronaldo) gegen seine Kumpels vom spanischen Meister (Iker Casillas, Sergio Ramos, Álvaro Arbeloa, Xabi Alonso) sowie gegen die Dauerrivalen vom FC Barcelona.

Das machte das Halbfinale für den 27-Jährigen zum besonderen Spiel. Und nebenbei ging es natürlich noch um die Kleinigkeit, dass Ronaldo seine Portugiesen ins zweite Endspiel ihrer EM-Geschichte befördern konnte, sowie um den Nebeneffekt, dass Ronaldo dann seinem Lebensziel einen gewaltigen Schritt näher kommen würde: Weltfußballer des Jahres zu werden anstelle des Weltfußballers der vergangenen Jahre: Lionel Messi aus Argentinien.

Portugal ist nicht nur Ronaldo, das hatte Paulo Bento vom ersten EM-Tag an betont. Aber was auch jeder weiß: Ohne Ronaldo ist Portugal nur die Hälfte wert. Dass es bei ihm bisweilen ein schmaler Grat ist zwischen Magie und Comedy, ist ebenfalls bekannt - auch dieser Aspekt spielte gegen Spanien wieder eine Rolle. Die 16. Minute zum Beispiel, ein Freistoß von der rechten Seite, herausgeholt von ihm selbst. Ronaldo misst den Ablauf ab wie ein Hochspringer. Rammt seine Stollen wie ein Cowboy in den Rasen. Läuft an. Die Leute erheben sich - und Ronaldo knallt den Ball aus vier Metern in eine spanische Zwei-Mann-Mauer. Nun ja.

Der Freistoß wurde dann gewissermaßen das Motto dieses ansonsten höhepunktfreien Spiels: Während die deutsche Elf in der Vorrunde fast ohne Foul gegen CR7 ausgekommen war, bremsten ihn die Spanier oft rustikal. Das brachte vor allem in der zweiten Halbzeit Gefahr: Cowboy-Freistoß um Cowboy-Freistoß setzte Ronaldo ab. Aber sie alle flogen über die Latte. Und den letzten Konter (89.) schloss er mit einem Schuss in die Wolken ab. 60 Tore hat er diese Saison für Real geschossen, in 54 Spielen, eine gewaltige Quote. Diesmal blieb ihm sogar der letzte Schuss, der vom Elfmeterpunkt, verwehrt.

Schade eigentlich, dass das Finale nun ohne ihn auskommen muss. Auch wegen Geschichten wie dieser, die zum Abschied noch schnell erzählt werden soll: Ob es für Portugal ein Problem oder ein Vorteil sei, dass 95 Prozent der ukrainischen Frauen zu kreischen anfingen, wenn Ronaldo auftauche, hatte ein ukrainischer Journalist Bento am Dienstag gefragt.

Am Anfang des Turniers hätte Bento vermutlich mit einem Verweis auf die Kraft des Kollektivs geantwortet. Nun sagte er grinsend: "Ich hoffe, dass er die letzten fünf Prozent der Frauen auch noch für sich gewinnt." Ja, Paulo Bento ist wirklich voller Selbstsicherheit gewesen vor diesem Spiel. Portugal sollte wie Portugal spielen, das war seine Taktik. 120 Minuten ist sie auf beachtliche Weise aufgegangen.

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