Portugal:Polen vs Portugal - Grandiose Chance für Ronaldo

Portugal: Wer ist der Beste im ganzen Land? Cristiano Ronaldo schöpft Kraft aus der Konkurrenzsituation mit Lionel Messi.

Wer ist der Beste im ganzen Land? Cristiano Ronaldo schöpft Kraft aus der Konkurrenzsituation mit Lionel Messi.

(Foto: AFP)

Was hat der Rücktritt von Lionel Messi mit Ronaldos Leistungen bei dieser EM zu tun? Der Portugiese könnte nun besonders auftrumpfen - oder komplett blockieren.

Von Javier Cáceres, Paris

Wenn laut der Chaostheorie von Edward Lorenz schon der Schlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann - welchen Effekt wird dann erst der Rücktritt von Lionel Messi aus der argentinischen Nationalmannschaft auf die Europameisterschaft in Frankreich haben?

Am frühen Montagmorgen mitteleuropäischer Zeit hatte Messi, 29, die Fußballwelt zum Beben gebracht, als er einen Schritt ankündigte, den er schon nach der Copa América 2011 vollziehen wollte. Er war es damals satt, in Argentinien als vaterlandsloser Geselle geschmäht zu werden. "Das war's für mich mit der Nationalmannschaft", sprach also Messi am Montag, nachdem er zuvor beim Copa-América-Finale in East Rutherford, USA, gegen Chile im Elfmeterschießen gescheitert und mit Argentiniens A-Nationalmannschaft neuerlich titellos geblieben war.

Mit der EM hat das mehr zu tun, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Denn Messi und eine Figur, die in Frankreich noch dabei ist, verhalten sich zueinander wie kommunizierende Röhren. Ihr Name: Cristiano Ronaldo, 31 und Kapitän der portugiesischen Nationalelf, die an diesem Donnerstag in Marseille gegen Polen (21 Uhr im SZ-Liveticker) um den EM-Halbfinaleinzug kämpft.

Ronaldo und Messi treiben sich gegenseitig an

"In gewisser Weise brauchen beide einander. Jeder pusht den anderen zu neuen Höhen, zu neuen Torrekorden", schrieb der künftige Trainer des FC Bayern München, Carlo Ancelotti, in einer Kolumne für den englischen Telegraph. Ancelotti weiß das umso besser, als er einst Ronaldo bei Real Madrid trainierte und einen privilegierten Blick auf den faszinierenden Kampf zweier begnadeter Fußballer um die Weltherrschaft hatte: hier Ronaldo, der Gebieter über Real Madrids Bernbaéu-Stadion, dort Messi, der kleine Gigant aus dem Camp Nou Barcelonas.

Zweikämpfe um die Hegemonie auf dem Rasen hat es früher schon gegeben: Alfredo Di Stéfano gegen Laszlo Kubala, Pelé gegen Eusébio, in gewisser Weise Johan Cruyff gegen Franz Beckenbauer. Nur Diego Maradona strahlte in den 80ern stärker als jeder andere seiner Generation. Eine auf persönlichem Level derart fruchtbare Dichotomie wie zwischen Messi und Ronaldo hat es im Fußball nie gegeben. "Gäbe es den anderen nicht, hätten wahrscheinlich entweder Cristiano oder Messi den Goldenen Ball (für den Weltfußballer des Jahres, d. Red.) acht Mal gewonnen, statt drei Mal der eine und fünf Mal der andere. Vielleicht wären die beiden, wenn sie vom anderen nicht angetrieben worden wären, nie so hoch geflogen", schrieb Ancelotti.

Ronaldo nannten sie "El Ansia", in etwa "der Verbissene"

Dass Messi nun auf jeden weiteren Versuch verzichten will, einen Titel mit dem Vizekusen des amerikanischen Subkontinents zu gewinnen, stellt Ronaldo vor die grandiose Chance, Messi insofern zu übertrumpfen, als er sein Land zu einem internationalen Titel führen und Messi in einer Sparte übertrumpfen kann. Die Frage ist nur, was das bei Ronaldo auslöst.

"El Ansias" nannten sie Ronaldo vor Jahren bei Real Madrid, in etwa: "der Verbissene", wegen seiner rastlosen Begierde nach Anerkennung und Ruhm. Die Spöttelei ist längst verschwunden. Mag er auch noch so intensiv den eigenen Nabel betrachten, ein Spieler, der wie Ronaldo jährlich für mehr als 50 Tore (und Siegprämien) pro Saison bürgt, erringt früher oder später den Respekt der Kameraden. Doch die Verbissenheit treibt ihn nicht nur an. Sie blockiert ihn mitunter. Auch diesmal?

"Er neigt dazu, die Dinge zu forcieren, und ist nicht weit von der Lächerlichkeit entfernt, wenn er unmögliche Freistöße aus 40 Meter Entfernung probiert", sagte der französische Weltmeister von 1998, Youri Djorkaeff, der Zeitschrift France Football, und klang dabei verständnislos: "Er muss doch niemandem mehr etwas beweisen." Theoretisch richtig. Nur: Das Spieglein, mit dem Ronaldo täglich dialogiert, ist fordernd. "Wenn Ronaldo ohne Tor bleibt, ist es, als bekomme er nichts zu essen", sagte Portugals Nationalcoach Fernando Santos nach dem Achtelfinalsieg in der Verlängerung gegen Kroatien.

Schweden etwa hing und scheiterte an Ibrahimovic

Das meinte er überaus anerkennend. "Von einem Spieler wie ihm erwarten alle zehn, 15 Torschüsse. Gegen Kroatien gab er nur den Schuss ab, der zum Tor von Quaresma führte, ansonsten keinen. Schon wahr. Aber in Sachen kollektiver Teilhabe war er ein fantastischer Spieler", fügte Santos hinzu. Umgekehrt lässt sich sagen, dass Portugal im Gegensatz zu anderen Mannschaften mit überragenden Figuren einen schwächeren Grad an Abhängigkeit aufweist. Schweden hing und scheiterte an Zlatan Ibrahimovic; Wales kam durch und dank Gareth Bale weiter. Ronaldo hat Quaresma, Nani, Renato im Rücken, und das sind mehr als passable Begleitmusiker.

Ronaldo selbst hat bei der EM zwei Tore erzielt, er ist der erste Spieler, der bei vier Endrunden erfolgreich war. Er ist der Spieler mit den meisten Endrundeneinsätzen (18), nun wankt der nächste Rekord. In der ewigen EM-Torjägerliste steht Ronaldo mit acht Toren auf Rang zwei. Ein Tor noch, und er stellt sich auf eine Stufe mit dem Franzosen Michel Platini, der seine neun Treffer allerdings in einem Turnier erzielte (Frankreich 1984). Ronaldo interessiert etwas anderes: Er will Messi in einer weiteren Rubrik überragen als der Körpergröße - und den von Messi verursachten Schmetterlingseffekt nutzen, um seine Nationalelf zum ersten Mal überhaupt zu einem Titel zu führen.

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